Die Besprechung eines Buches mit 33 Beiträgen kann den einzelnen Texten nicht gerecht werden und dies kann für den Rezensenten nur heißen, das auch gar nicht erst zu versuchen. Dabei spielt es dann keine Rolle, dass die Artikel in Qualität und Überzeugungskraft durchaus differieren. Das liegt nicht nur in der Natur eines solchen Sammelbandes, sondern auch am Anspruch der Herausgeberinnen, einen Überblick über eine Debatte geben zu wollen, die in vielerlei Hinsicht erst beginnt, sich noch sortieren muss.
Damit wären wir mitten drin in einem ersten auffälligen Punkt. Die Idee, einen ila-Schwerpunkt zum Thema Gemeingüter zu machen, war nicht zuletzt von unserer Autorin Silke Helfrich angeregt, die einigen von uns auch ein paar Einblicke und Eindrücke verschaffte. Beim ersten Gespräch in der Redaktion war bei vielen dennoch das Gefühl sehr stark, es mit einem nicht deutlich fassbaren Thema zu tun zu haben, das sich entzieht, bei der Betrachtung verändert, dessen ProtagonistInnen sich selbst nicht ganz sicher sind, was alles dazugehört. Dieser Eindruck könnte durch einige Beiträge im Buch durchaus bestätigt werden. Zwar ist es leicht nachvollziehbar, dass ein moderner Begriff von Gemeingütern nicht sozusagen landwirtschaftlich konnotiert bleiben kann, wie wir es aus dem deutschen Wort Allmende noch kennen. Deshalb verwenden die Texte meist das Wort Gemeingüter, regelmäßig tun sie es dort, wo es sich um Übersetzungen des englischen commons handelt. Dass unter eine solche Kategorie freie Software oder Copyleft-Lizenzen zu fassen sind, leuchtet ebenfalls unmittelbar ein. Aber warum man ausdrücklich auf Vorteile für die eigenen Mitglieder und Ausschluss der Fremden orientierte Institutionen wie landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (Sunita Narain, Wenn Märkte wirklich für Menschen arbeiten) oder gar Staatsbürgerschaft (José Esteban Castro, Gemeingüter und (Staats-)Bürgerschaft) als Gemeingüter auffassen sollte, ist ein Vorschlag, über den man diskutieren kann.
Dabei ist der zugrunde liegende Gedanke durchaus nachvollziehbar, auch wenn er in allzu vielen Beiträgen aus einer Abwehrargumentation entwickelt wird. Seit vor vier Jahrzehnten erstmals von der „Tragödie der Gemeingüter“ die Rede war, lässt der Autor des entsprechenden Textes, Garrett Hardin, die ProtagonistInnen nicht mehr los. Sein Hinweis, dass ungeregelte Nutzungsrechte und fehlende Wartungspflichten zu einer Übernutzung von Ressourcen führen können, ist für nicht mit Eigentums- oder Besitzrechten belegte Ressourcen wie etwa saubere Luft durchaus richtig. Auf viele Gemeingüter trifft er nicht zu, weil immer dort, wo sie in ein wie auch immer geartetes Rechtssystem eingebettet sind, Rechte und Pflichten geregelt sind. Die im Gefolge von Hardins Formulierung inszenierte umfassende Polemik gegen jede Art von Gemeingütern weisen die ProtagonistInnen durchaus zu Recht zurück. Für Gemeingüter müssen Nutzungsrechte und Erhaltungspflichten verabredet werden – allerdings ist noch lange nicht alles, wofür Nutzung und Erhaltung durch mehrere Personen verabredet sind, deshalb notwendig ein Gemeingut, wie es bei der Lektüre einiger Texte scheinen könnte.
Ich denke, dass das Kinderkrankheiten einer Debatte sind, die sich verflüchtigen werden, wenn sie weiter entwickelt ist, und finde es richtig, dass die Herausgeberinnen solche kleinen Schwächen nicht geglättet haben. So bekommt der/die LeserIn einen ehrlicheren Eindruck auch der Widersprüchlichkeiten und Probleme. Das wird auch noch bei anderen Aspekten deutlich, ich möchte nur noch einen erwähnen. In einigen Texten wird durchaus sehr frei mit Kategorien der politischen Ökonomie und auch der bürgerlichen Volkswirtschaft umgegangen. Was Geld ist zum Beispiel und welche Rolle die Geldwirtschaft im ökonomischen Prozess spielt, fassen einige Autoren sehr eigenwillig und jenseits all dessen, was die Fachwissenschaften dazu sagen. Nun muss erstens auch das Fachwissen nicht richtig sein – im Falle der kapitalistischen Warenwirtschaft allerdings würde ich schon behaupten, dass man ihre katastrophale Wirkung für alle gemeinwesenbasierten Prozesse nicht verstehen kann, wenn man die Rolle des Geldes als abstrakte, rein quantitative Form des Wertes nicht versteht. Nur weil er diese Form hat, kann Reichtum scheinbar unbegrenzt vermehrt werden und löst den Zwang nach beständigem Wachstum aus. Aber zweitens geht es in den angesprochen Texten (z.B. Frank Augsten, Die Bodenfrage neu stellen: Aber wie?) letztlich nicht um diese ökonomischen Kategorien, sondern um die politische Argumentation eines anderen Aspekts. Und drittens gibt es im Buch dann durchaus Artikel, die genau solche Fragen ansprechen und geraderücken (z.B. Ulrich Duchrow, Kann ein Mensch seine Mutter besitzen?).
Silke Helfrich selbst (wie auch einige andere AutorInnen, beispielhaft Christian Siefkes, Die Commons der Zukunft) argumentiert ausdrücklich dafür, mit dem Ansatz der Gemeingüter ein neues Paradigma des Denkens zu verbinden. Sie begreift „die gegenwärtige Krise (als) nicht nur sozialer und ökologischer Natur. Sie betrifft nicht nur unsere (industrielle – Klammer im Original – ) Produktions- und Verwertungsweise und die entsprechenden institutionellen Strukturen. Sie ist vor allem eine Krise des Denkens: Konservatives Denken ist in konservierendem und konserviertem Denken erstarrt. Liberales Denken hat nie Antworten auf die vielschichtigen Desintegrationsprozesse, die mit der Erosion der Commons verbunden sind, formuliert… Und das Denken weiter Teile der Linken hat sich seit Jahrzehnten in den Dichotomien Staat versus Markt, Kooperation versus Konkurrenz, Privateigentum versus staatliches Eigentum eingerichtet… Dichotome Denkweisen erscheinen wenig hilfreich und lösungsorientiert. Sie vermögen es nicht, hinreichend Orientierung für neue Essenzen und Konstruktionsprinzipien einer so innovativen wie ressourcenschonenden Wirtschaftsweise zu entwerfen.“
Man muss nicht jeden Schritt, der auf einem solch anspruchsvollen Weg vorgeschlagen wird, mitgehen, um dennoch das Potenzial des Ansatzes anzuerkennen. Das Buch ist eine wichtige Hilfe bei der Orientierung, die AutorInnen sind in der Regel exzellente KennerInnen ihres Fachs, oft wissenschaftliche ExpertInnen und politische AktivistInnen in einer Person. Von manchen hätte man sich längere Texte gewünscht, aber dann muss man wohl deren Eigenveröffentlichungen zur Hand nehmen. Faszinierend finde ich als langjähriger Aktivist für ein bedingungsloses Grundeinkommen, dass Silke Helfrich hierauf ausdrücklich Bezug nimmt, indem sie die Forderung nach einem solchen Grundeinkommen als eine bezeichnet, „die eine Allmendebewegung verbinden kann“. Diese Vorstellung hat gegenüber vielen Vorschlägen, zu Altem zurückzukehren, das Potenzial, Neues zu verbinden. Vielleicht käme so ja neuer Wein in einem neuen Schlauch zusammen.
Silke Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter, zahlreiche Abbildungen; oekom Verlag, München 2009, 288 Seiten, 24,90 Euro