Kolumbien gilt als das lateinamerikanische Land mit der fortschrittlichsten Gesetzgebung für LGBTI. Welche Fallstricke gibt es dennoch?
Wir müssen das Narrativ von der fortschrittlichen Gesetzgebung einordnen. Bei den LGBTI-Rechten gibt es zwar Errungenschaften, aber sie sind Ergebnis von Kämpfen. Dem Staat fällt es schwer, diese dann in Gesetze zu gießen, sie umzusetzen und dafür zu sorgen, dass sich daran gehalten wird. Beispiele für Meilensteine sind die Ehe für alle und das Antidiskriminierungsgesetz.
Trans Personen sind aber nach wie vor die vulnerabelste Bevölkerungsgruppe und sind viel Gewalt ausgesetzt. Die Gesellschaft ist daran gewöhnt, unsere Körper als wertlos und wegwerfbar anzusehen. Es gibt keinen sozialen Aufschrei dagegen. Bei Schwarzen trans Personen verstärkt sich das, weiße trans Personen werden eher akzeptiert. Das ist die koloniale Hinterlassenschaft. Die Erzählung von den Errungenschaften und auch die Bewegungen, die diese Rechte verteidigen, sind rassistisch voreingenommen, ebenso die Institutionen. Die Grammatik der Rechtsprechung ist rassistisch geprägt. Es gibt eine differenzierte Behandlung, und im Diskurs um die Rechte der LGBTI-Community spielen die Rechte der trans Personen nur eine marginale Rolle.
Aktuell treiben trans Organisationen, Aktivist*innen und Forscher*innen das „Ley integral trans“ voran, ein umfassendes Gesetz für trans Personen. Damit wird versucht, die historischen, politischen und strukturellen Bedingungen für trans Menschen mit zu berücksichtigen. Zum Beispiel haben trans Menschen in Kolumbien am allerwenigsten Zugang zu höherer Bildung. Trans Frauen sind quasi dazu verdammt, in der Prostitution oder als Stylistin zu arbeiten. Dass wir aktuell das erste Mal eine linke Regierung haben, hilft unseren Anliegen. Es gibt eine gewisse Offenheit gegenüber unseren Forderungen.
Wenn du als trans Person eine Familie gründen möchtest in Kolumbien: Würden dir alle Wege offenstehen, also zum Beispiel Adoption, gute Begleitung im Krankenhaus, Zugang zu Technologien wie künstlicher Befruchtung?
Nein. Deswegen versucht das „Ley integral trans“ den Akzent darauf zu legen, trans Leben gesellschaftlich zu ermöglichen. Hierzulande sind die Vorstellungen von Familie absolut heteronormativ und zweigeschlechtlich. Das ganze Gesundheits- und Bildungssystem ist nach diesen Vorstellungen ausgerichtet. Eine Familie jenseits dieser Binarität ist darin nicht vorgesehen. Es muss darum gekämpft werden, dass die Rechte für diejenigen, die eine Familie gründen wollen und nicht in dieses Schema passen, gewährleistet werden.
In Kolumbien gibt es drei Fälle von trans Schwangerschaften. Ich habe nun die erste Schwangerschaft einer Schwarzen trans Person in Kolumbien verfilmt und dabei die dreifache Negation dokumentiert, der diese Familie ausgesetzt ist – aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Sexualität und weil sie Schwarz ist. Ich konnte die Reise meiner guten Freundin Valerie, einer trans Frau, die ich noch von der Uni kenne, und des trans Mannes Mateo, der schwanger war, aus nächster Nähe mitverfolgen.
Sie haben sehr viel Gegenwind bekommen. Ihnen wurde quasi abgesprochen, überhaupt fähig zu sein, eine Familie zu gründen, Mutter und Vater zu sein und ein Kind großzuziehen. Es gibt so viele Vorurteile, gegen die man permanent ankämpfen muss – auf allen Ebenen. Gegenüber dem Staat, wenn es darum geht, medizinische Begleitung zu bekommen, oder in der Öffentlichkeit, wenn man als Familie beim Einkaufen im Supermarkt angestarrt wird.
Die Begleitung einer Schwangerschaft berührt sehr intime Punkte. Wie habt ihr da zusammengefunden?
Ich hatte mich so gefreut, als sie mir ihre Entscheidung mitteilten. Ich spürte, dass ihre Geschichte politisch sehr bedeutsam ist. Sie haben dem Dokumentarfilm zugestimmt, weil ich ihn mache und sie sich dadurch gut repräsentiert fühlen. Mit diesem Film wollte ich den beiden und ihrem Wagnis Würde verleihen: Als Filmemacherin gebe ich nicht das Drehbuch vor, sondern habe ihnen Werkzeug an die Hand gegeben, damit sie ihre eigene Geschichte erzählen können. Die beiden waren nicht nur Hauptdarsteller*innen, sondern haben sich eingebracht, was die Themenauswahl, den Blickwinkel oder bestimmte ästhetische Fragen betrifft.
Aktuell befindet sich der Film in der Postproduktion. Er trägt den Titel „A-mar“, ein Wortspiel aus dem Verb „lieben“ und dem Namen des Kindes, Mar Celeste. Der Film ist hoffentlich im Mai fertig. Dann soll er auf Filmfestivals weltweit gezeigt werden.
Wie hat das Gesundheitspersonal auf den schwangeren trans Mann Mateo reagiert? In einem Interview hast du erzählt, dass die Leute im Krankenhaus partout nicht davon ablassen konnten, Mateo mit dem weiblichen Pronomen zu bezeichnen. Haben sie es irgendwann gelernt?
Das ist eine der Debatten während der Schwangerschaft gewesen, die so viel entlarvt. Bei den Untersuchungen zum Beispiel, die während und nach der Schwangerschaft laufen und deren Ergebnisse in einem speziellen Heft (in Deutschland heißt es „Mutterpass“, d. Red.) dokumentiert werden, soll der Name der Mutter eingetragen werden, weil davon ausgegangen wird, dass die Mutter die schwangere und gebärende Person ist. Ein schwangerer Vater passt da nicht rein. Im Film gibt es diese Szene, wo darüber gesprochen wird, welcher Name jetzt eingetragen werden soll. „Wir tragen jetzt Valeries Namen ein, schließlich ist sie die Mutter.“ Ich schlug vor, einen Streifen darüber zu kleben, auf dem „Name des Vaters“ steht. Mit solchen Vorgaben und dieser Negation musst du dich permanent auseinandersetzen. Natürlich wurde das entsprechende Personal im Gesundheitswesen sensibilisiert, aber es war ein ganz schöner Kampf. Mich hat diese Geschichte darin bestätigt, dass es neue Vorstellungen vom Konzept Familie braucht, von Beziehungen und der Art und Weise, wie Kinder aufwachsen.
Wie war es für Mateo, während der Schwangerschaft seine Hormontherapie zu unterbrechen? Das ist bestimmt ein krasses hormonelles Auf und Ab, ist doch schon eine Schwangerschaft für sich eine ziemlich anstrengende hormonelle Reise.
Mateo war körperlichen Veränderungen ausgesetzt und musste das in sein eigenes Bild von Männlichkeit neu einordnen. Auch für seine Partnerin Valerie war das eine interessante Erfahrung. Und wie die beiden ihre eigene Erzählung geschaffen haben: Du bist jetzt schwanger, das macht dich aber nicht weniger männlich! Mateo hat seine eigene Form von Männlichkeit entdeckt, und die ganzen Erzählungen von Gender mit ihren Zuschreibungen sind schwindelerregend ins Wanken geraten! Das Schöne und gleichzeitig sehr Politische daran ist, dass Mateo seine eigene Geschichte schreibt: Das bin ich, als Mann, als schwangere Person, als Vater, und das brauche ich nicht mit anderen Erzählungen von Männlichkeit abzugleichen.
Eine persönliche Frage zum Schluss: Möchtest du selbst eine Familie gründen?
Die Geschichte von Valerie und Mateo mitzuverfolgen hat mich schon zum Nachdenken gebracht. Ich hatte mich bereits gegen Kinder entschieden, zum einen, weil sich unsere Welt in einem derart komplexen Zustand befindet, dass nicht noch mehr Menschen hinzukommen sollten. Adoption würde auf einem anderen Blatt stehen. Ich bin allerdings ein sehr gemeinschaftlicher Mensch und habe schon so viele junge Leben begleitet und mit großgezogen, dass ich denke, in einer Art erweiterten Großfamilie immer wieder meinen Part übernehmen zu können.
Gute Tanten sind auch wichtig!
Auf jeden Fall. Nun habe ich jemanden kennengelernt, in den ich sehr verliebt bin, und meine Entscheidung beginnt zu wackeln. Wie auch immer, eins ist klar: Das würde ein Kampf werden. Gleichzeitig gilt, je mehr trans Familien es gibt, desto weiter schreiten wir voran in Sachen Normalisierung.
Hier gibt es einen kleinen Einblick in das Leben von Mateo, Valerie und Mar Celeste: https://www.youtube.com/watch?v=NyGBDcGHHDA