Eigentlich hätten die Panama Papers 2017 der ultimative „Weckruf” sein müssen (um den in letzter Zeit so arg strapazierten Begriff wenigstens einmal zu verwenden). Die Alarmglocken schrillten aber weiter. Ungehört. Denn die Anwaltskanzlei der damals in Panama Ciudad geleakten Dokumente über reine Briefkastenfirmen hieß Mossack Fonseca. Ramón Fonseca war Berater des Präsidenten Juan Carlos Varela und bis zu den Panama Papers Vizepräsident der Regierungspartei Partido Panameñista. Der deutschstämmige Jürgen Mossack – der Vater habe eine SS-Vergangenheit, schreibt Wikipedia – hatte eine eigene, auf Briefkastenfirmen spezialisierte Kanzlei, ehe er sich mit Fonseca zusammentat. Beide Buhmänner verschwanden von den Angriffsflächen der ersten Reihe, die panamaische Regierung behauptete flugs, ihre Gesetzgebung sei nun in Einklang mit internationalen Vorschriften zur Geldwäschebekämpfung gebracht.

300 Milliarden US-Dollar jährlich entgehen Lateinamerika laut der für den Kontinent zuständigen UN-Wirtschaftskommission CEPAL durch Steuertrickserei, Deutschland ebenso etliche Milliarden. Nach den Panama Papers übernahm die hessische Steuerverwaltung federführend zusammen mit dem BKA deren Auswertung. Seit Februar 2021 ist sie abgeschlossen. Ergebnis: 38,4 Millionen Euro Rückforderung. Mehr konnten die (zu wenigen) Fahnder nicht finden. Ein Klacks.

Die Aufregung ebbte bald ab. Bei den schon 2014 aufgetauchten LuxLeaks über Steuervorteile für Big Business in Luxemburg zwischen 2002 und 2010 geschah noch weniger. Bis 2009 hieß der fragliche Finanzminister Jean-Claude Juncker. Der fungierte von 1995 bis 2013 teils gleichzeitig auch als Premierminister Luxemburgs. Gleich danach und bis 2019 wechselte er auf den Sessel des EU-Kommissionspräsidenten. 2017 kam es zum Gerichtsverfahren in Sachen LuxLeaks. Und zur Verurteilung … zweier Whistleblower!! Merke: Ausplaudern gilt nicht, auch nicht bei Straftaten. Das System blieb intakt, und das Thema verlor sich bald erneut in der Versenkung. Ein halbes Jahr nach den Panama Papers folgten die Paradise Papers. Nerv! Man seufzte tief durch.

2021 dann die Pandora Papers. War der Vermögensverschleierung offshore nicht längst ein legaler Riegel vorgeschoben? Mitnichten! Ausgerechnet einen Tag, bevor eine weltweite Öffentlichkeit von den Pandora Papers erfuhr, stellte der Rat der europäischen Finanzminister Anfang Oktober die halbjährlich aktualisierte Liste der Steuerparadiese vor. Sie ist um drei Länder kürzer geworden: Anguilla, Dominica und die Seychellen, die bei den Pandora Papers eine besondere Rolle spielen. Nicht aufgenommen wurden die britischen Virgin Islands in der Karibik, wo zwei Drittel der in den Pandora Papers genannten Briefkastenfirmen aufgestellt sind, darunter die von Tony Blair.
Natürlich werden auch die USA (etwa der in den Pandora Papers besonders prominente Bundesstaat Delaware) nicht genannt, auch nicht die Schweiz (mit einer hohen fünfstelligen Zahl an Briefkastenfirmen), Österreich, Irland, Luxemburg oder Deutschland, wo man trefflich Steuern hinterziehen kann, wenn man nur reich genug ist. Oder die Niederlande. Der dortige Finanzminister Wopke Hoekstra, der die jetzige Liste der Steuerparadiese mit verantwortet, zog für seine Briefkastenfirma die britischen Virgin Islands vor. Und wo wir mal dabei sind: Der tschechische Noch-Premierminister Andrej Babis war 2014-2017 Finanzminister und hat als solcher die sich an den Panama Papers orientierenden Regeln gegen Geldwäsche mitverhandelt und abgesegnet. Gleichzeitig steckte sein Geld in einer Briefkastenfirma, um für 22 Millionen Euro ein Schloss in Südfrankreich zu kaufen.

Nun wird richtig eingewendet, dass Briefkastenfirmen nicht per se sträflich sind. Auch die EU-Liste der Steuerparadiese sei keine black list, sondern eine Aufstellung von Ländern als Mahnung an sie, besser mit EU-Behörden zu kooperieren; das sind im Moment ganze neun. Eher ablenkend wirkt der säuerliche Einwand, nur ein Teil, nämlich eher unwichtige Länder, mit Ausnahme von Hoekstra und Babis nur Politiker ohne Einfluss auf Europa, ohnehin wenig ernst zu nehmende Schlagerstars (Shakira), Sportler (Pep Guardiola) oder Autoren (Vargas Llosa) würden in den Enthüllungen erwähnt.

Gerne kann das ICIJ, das Konsortium von weltweit investigativen Journalist*innen, die Liste der fiesesten Steuertrickser des Nordens nachliefern. Die wirklichen Hausaufgaben müssen aber nicht Journalist*innen, sondern Regierungen und Gesetzgeber*innen machen. Erstens: Banken, Treuhänder und Wirtschaftsanwält*innen an die Kandare nehmen. Warum dürfen sie Konstrukte entwickeln und verkaufen, die zweifellos nicht dem Verstauen überflüssigen Kleingeldes dienen, sondern dem schamlosen Verstecken großer Summen Geldes in intransparenten Scheinfirmenverschachtelungen zu offensichtlich kriminellen Zwecken? Zweitens: ehrlich sein und offenlegen, warum die bislang erlassenen Antisteuervermeidungsmaßnahmen lediglich Kosmetik sind.
Weltweit zuständig in der Angelegenheit ist lediglich eine Task Force, die FATF –Financial Action Task Force, bestehend aus derzeit 206 Ländern und Organisationen. Sie erstellt Studien und Berichte zum Thema, gibt Standards vor und Empfehlungen heraus – nachdrückliche, keine verpflichtenden. Die letzte Plenarversammlung der FATF, am 19.-21. Oktober 2021 in Paris, unter dem derzeitigen Vorsitz von Marcus Pleyer, Ministerialdirigent im Bundesfinanzministerium, konnte lediglich feststellen, es werde immer noch nicht genug getan, um Kriminelle davon abzuhalten, illegitimen Reichtum und illegitime Aktivitäten hinter komplexen Unternehmensstrukturen und in Offshorebanken zu verstecken. Immerhin heißen die steuerhinterziehenden Reichen hier „Kriminelle”. Es brauche in jedem Land Register mit den Namen der wahren Nutznießer solcher Konstrukte. Die GAFILAT, der lateinamerikanische Zweig der FATF, unterstützt dieses Ziel, hat aber seit den Ereignissen des 11. September 2001 die Terrorismusfinanzierung gleich hoch gehängt wie Geldwäsche. Damit rücken die kriminellen Reichen ein bisschen aus dem Blickfeld.

Das kommt nicht ungelegen. Anders ausgedrückt, dass die FATF und GAFILAT ungehörte Rufer in der Wüste sind, ist zielführend. Die Regierungen der lateinamerikanischen Länder, aus denen die in den Pandora Papers enttarnten kriminellen Reichen kommen und wo viele von ihnen Gesetzgebungen mitbestimmen, sind GAFILAT-Mitglieder.

14 der 35 „geleakten” Präsidenten kommen aus Lateinamerika, drei davon sind derzeit im Amt: Sebastián Pinera in Chile, Guillermo Lasso in Ecuador und Luis Abinader in der Dominikanischen Republik. Dazu frühere Präsidenten, Minister und führende Staatsbeamte, darunter die Ex-Präsidenten Pedro Pablo Kuczynski aus Peru und Horacio Cartes aus Paraguay oder Wirtschaftsminister Paulo Guedes in Brasilien.
Mit allen Herkunftsländern dieser Steuerhinterzieher größten Stils unterhält die Europäische Union Freihandelsverträge (FTAs) oder ist auf deren Zielgeraden. Die FTAs der EU fördern Geldwäsche und Steuerhinterziehung, so eine vom Europäischen Parlament in Auftrag gegebene und 2016 kurz nach den Panama Papers dort vorgestellte, sehr detaillierte Studie. Denn die FTAs enthalten Kapitel zu Finanzdienstleistungen, die das Bankgeheimnis explizit bekräftigen und keinen automatischen Datenaustausch vorsehen. Die Unterzeichnung solcher FTAs honoriert durch nachdrückliches Wegschauen mangelnde Gesetzgebung und lasche bis inexistente Strafverfolgung in den Partnerländern und wäscht deren Regierungen gleichsam weiß (s. auch ila 396, Juli 2016).

Die noch nicht ratifizierte Modernisierung des EU-Mexiko-Assoziationsabkommens enthält erstmals ein Kapitel zu Antikorruption, ein Zehntel darin zu Geldwäsche. Die FATF-Empfehlungen werden tatsächlich genannt und deren Umsetzung empfohlen. Gleichzeitig wird allen Seiten das Recht auf eigene Gesetzgebung in der Sache ausdrücklich zugesprochen. Das klingt wie mit angezogener Handbremse fahren.

In allen anderen FTAs der EU steht nicht einmal das.

Der Assoziations- und Freihandelsvertrag mit Chile trat 2002/2003 in Kraft. Da war Sebastián Piñera noch Miteigentümer der Fluggesellschaft LAN Chile. Seine Familie war zudem Mehrheitsaktionärin des Bergbauunternehmens Dominga. Nach Piñeras Amtsantritt als Präsident 2010 verkaufte sie einen Anteil von 14 Millionen Dollar an einen anderen Großaktionär offen in Chile und 138 Millionen in drei Quoten über die Virgin Islands. Das letztere Geschäft verschaffte der Familie laut ICIJ in 18 Monaten tausend Prozent Gewinn. Die dritte Quote hing davon ab, dass in der Gegend von Dominga kein Naturschutzgebiet deklariert wurde. Kein Thema unter der Regierung Piñera, klar. Allerdings verfügte Piñera, das Wärmekraftwerk Barrancones, ein Projekt der Firma Suez, woanders zu bauen. Offenbar aus Umwelt- und Indigenenschutzgründen. In Wirklichkeit war Barrancones zu nah an Dominga projektiert, das hätte den Verkaufserlös geschmälert. Piñeras Pressebüro verkündete, der Präsident habe beim Thema Dominga keine Mitsprache. Um sonstige dumme Fragen bis hin zu internationaler Strafverfolgung zu vermeiden, fehlen die Virgin Islands auf der EU-Liste der Steuerparadiese. Das FTA mit der EU schützt zusätzlich.

Ecuador ist seit 2017 Teil des EU-Kolumbien/Peru/Ecuador-Freihandelsabkommens. Ecuadors Präsident und früherer Direktor der Banco Guayaquil, Guillermo Lasso, besitzt laut ICIJ 14 Offshorefirmen, hauptsächlich in Panama, USA und Kanada. Bei einem Referendum parallel zu den Präsidentschaftswahlen 2017 stimmte die Bevölkerung dafür, Präsidenten den Besitz von Unternehmen in Steuerparadiesen zu verbieten. Die Regierung Rafael Correa machte dies zum Gesetz. Lasso wollte da schon Präsident werden. Also strukturierte er seine Geldgeschäfte um, bis zu den Pandora Papers erfolgreich.

Kolumbien ist Teil desselben EU-Abkommens. Dessen jährlich zusammentretender Gemeinsame Rat bespricht viele Themen, sicher aber nicht die Machenschaften der Expräsidenten Andrés Pastrana oder César Gaviria. Letzterer, weiß man jetzt, tütete zusammen mit dem reichsten Kolumbianer, Luis Carlos Sarmiento Angulo, über panamaische Offshorefirmen dubiose Gasgeschäfte in Peru ein. Unerwähnt bleiben sicher auch die Offshoregeschäfte der Vizepräsidentin Martha Lucía Ramírez, der Transportministerin Angela María Orozco, des Ex-Verteidigungsministers Guillermo Botero, der Ex-Erziehungsministerin Gina Parody und des Ex-Bürgermeisters von Bogotá Enrique Peñalosa. Und wer verwiese Lisandro Junco Rivera des Saals, als DIAN-Direktor hauptberuflich zuständig für das Eintreiben von Steuern bei gemeinen Kolumbianer*innen, in seiner Freizeit damit beschäftigt, in Steueroasen seine eigene Steuer zu vermeiden. 50 Milliarden Dollar sollen Kolumbianer*innen in Steueroasen gebunkert haben.
Dritter im EU-FTA-Bunde ist Peru. Ex-Präsident Pedro Pablo Kuczinski war Finanzminister (2004-2005), als er auf den britischen Virgin Islands eine sinnig Dorado Asset Management Ltd. genannte Briefkastenfirma gründete. Darüber kaufte er unversteuert Immobilien in Peru und bot Finanzdienstleistungen an.

Die Dominikanische Republik ist Teil des EU-Zentralamerika-Abkommens. Luis Abinader, der dominikanische Präsident mit nach eigenen Angaben 70 Millionen Dollar Vermögen, hat „nur” zwei Offshorefirmen in Panama.
Ob das EU-Mercosur-Abkommen ratifiziert wird, ist ungewiss. Die, die es ausgehandelt haben, wissen, dass ihnen niemand in die Steuerkarten sehen wird. Paraguays Ex-Präsident Horacio Cartes bediente sich während seiner Amtszeit mindestens dreier Offshorefirmen in Panama, um in Paraguay unerkannt Immobilien zu kaufen, Bankanteile zu halten und ein Apartment in Miami zu erstehen. Im November 2019 wurde in Brasilien ein Haftbefehl wegen Schmiergeldzahlung im Rahmen der Operation Lava Jato erlassen. Cartes leugnete, der Haftbefehl wurde kassiert. Argentinien hat laut Pandora Papers die drittmeisten Steuerhinterzieher, darunter Angehörige der Familie Macri, Carlos Menems Tochter Zulita, aber auch jemand aus der Entourage von Ex-Präsident Néstor Kirchner. Aus Brasilien stehen etwa Paulo Guedes, Finanzminister, und Roberto Campos, Zentralbankchef, am öffentlichen Pranger. Schwierig indessen, sie rechtlich zu belangen. So brachte Guedes im Parlament einen Gesetzentwurf zum Schutz von Vermögensbesitzern in Offshoreparadiesen durch. Gemeinsam mit Campos hob er die Mindestsumme für eine Information bei der Zentralbank auf eine Million Dollar im Ausland an. Da fällt auch Campos raus.

Und so weiter. Eine zentrale Rolle spielt die panamaische Anwaltskanzlei Alcogal (Alemán, Cordero, Galindo& Lee, alle hochrangig engagiert im panamaischen Politgeschäft), früher ein Konkurrenzunternehmen zu Mossack Fonseca, dann deren Kundenerbe in mindestens 113 Fällen. Der Gründer, Jaime Alemán, ist Sohn eines früheren Botschafters Panamas in den USA. Nach dem Studium in den USA und Rückkehr nach Panama hatte er eine lukrative Geschäftsidee: eine Servicekanzlei für Geldverstecke. Auch Pinochet nutzte sie für mindestens fünf Offshorefirmen. Alcogal hatte davon angeblich keine Ahnung. Alcogal hat viele Politiker-Kunden, vom Tschechen Babis bis zum Ex-EU-Kommissar John Dalli (Malta), von Honduras’ Ex-Präsident Porfirio Lobo und dem möglichen nächsten, „Tito” Asfura, bis hin zu El Salvadors Alfredo Cristiani und so gut wie alle Präsidenten Panamas. Zu ihren Kunden gehören ferner die brasilianische Superschmierfirma Odebrecht oder der FIFA-Fußballkonzern.[fn]www.icij.org/investigations/pandora-papers/power-players/?provider=alcogal[/fn] Zum Parken undeklarierten Geldes offeriert Alcogal besonders gern die britischen Virgin Islands, aber auch die Bank von Andorra.

Auch die DEG (Deutsche Entwicklungsgesellschaft), Tochter der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), steht auf Panama. Seit 2014 vergibt sie Kredite an mindestens elf panamaische Banken, die Rede ist von 250 Millionen Euro. Statt Armutsbekämpfung, laut Satzung, also Elitenförderung und Bankenjobs in einer Steueroase.

Solange die Gesetzgebung zur Bekämpfung von Steuertrickserei in den Händen von deren Nutznießer*innen bleibt, geht das Schattenboxen weiter. Ein echtes internationales Strafrecht muss her, für die Trickser*innen, für die Anbieter*innen von Tricks und für die Banken.