Wetten auf Sieg und Platz

Die neue Korruption oder wie Unternehmen parteiübergreifend schmieren und abkassieren

Der Odebrecht-Skandal, bei dem das größte Bauunternehmen Brasiliens im großen Stil Präsidentschaftskandidat*innen, Bürgermeisteraspirant*innen und andere öffentliche Angestellte gekauft hat, brachte eine neue Art von Korruption ans Licht der Öffentlichkeit. Bisher bedeutete Korruption, dass ein Angestellter oder eine Angestellte des Staates den öffentlichen Dienst „privatisiert“, indem er oder sie Geld für eine eigentlich kostenlose Dienstleistung verlangt. Egal ob es sich dabei um eine Baugenehmigung, den Kauf von Investitionsgütern oder eine Geldstrafe im Verkehr handelt, die Richtung der Korruption geht vom Staatsbediensteten Richtung Privatkunde und deshalb wird dabei die Rolle der öffentlichen Angestellten und ihrer Familien untersucht.

Was vor der Unternehmerrepublik existierte, nannte Krüger sociedades rentistas (Rentengesellschaften, die von den Einnahmen aus dem Verkauf von Naturressourcen wie Öl, seltene Erden oder Soja leben) und Korruption bedeutete, dass ein Staatsangestellter dafür Geld einstrich, dass er einem Klienten irgendein öffentliches Gut gewährte. Seit den Privatisierungen und den ökonomischen Reformen der 1990er-Jahre hat sich das gewandelt. Der Staat wurde zur Beute, auf die sich der private Sektor stürzte. Die Rentengesellschaften wurde zu ausgeplünderten Gesellschaften.

Einige Charakteristika dieser durch den Fall Odebrecht repräsentierten Korruption sind

a) die Privatisierung der Korruption,

b) die Art und Weise, wie korrumpiert wird,

c) die Transnationalisierung des Phänomens,

d) die schwindelerregenden Summen, die erbeutet werden.

Der private Sektor beginnt, in großem Stil auf die möglichen Gewinner öffentlicher Ämter zu setzen, von denen er in Zukunft lukrative Verträge bekommen kann. Es geht dabei nicht um Verträge, aus denen sie legitime Gewinne durch ihre ökonomischen Aktivitäten erzielen können, sondern um den Zugriff auf einen Teil der Staatskasse. Dadurch wird der Staat zu einem Beutestück, um das sich verschiedene Plünderer reißen. Die privaten Akteure berauben den Staat durch einen Wettmechanismus, der dem Finanzmarkt für Derivate gleicht.

Der Baukonzern setzte zum Beispiel X Millionen Dollar darauf, dass ein bestimmter Kandidat die Wahlen in Peru gewinnt. Um auf Nummer sicher zu gehen, unterstützte er auch alle anderen Kandidat*innen durch erhebliche Finanzspritzen für ihren Wahlkampf. Der Sinn der Wette liegt darin, dass derjenige, der die Wahlen gewinnt, dann bestimmte Vereinbarungen für Bauaufträge des Ministeriums für Transport und Kommunikation genehmigt. Im Fall Mexiko war es eine Doppelwette, bei den vorletzten Wahlen wurden einerseits sämtliche Kandidat*innen im Wahlkampf finanziell unterstützt, andererseits bekam der Gewinner ein Haus in Mexiko-Stadt und ein Appartement in Miami (gemeint ist der Ex-Präsidenten Enrique Peña Nieto, 2012 bis November 2018). Hier war es die spanische Firma OHL, die die Wohnungen an die Frau des gewählten Präsidenten überschrieb. Zugleich wurden Schmiergelder an den Präsidenten des staatlichen Erdölkonzerns Pemex gezahlt, um sich die Option auf alle zukünftigen Bauvorhaben von Pemex zu sichern.

Wie bei jeder Wette gibt es ein gewisses Risiko. Einerseits können die Bauverträge doch an andere Unternehmen vergeben werden, oder aber die Bauvorhaben werden gestoppt. So wurde etwa die Ausschreibung zum Bau einer Schnellzugstrecke von Mexiko Stadt nach Querétaro gestoppt, als die Schmiergeldzahlungen von OHL aufflogen.

In all diesen Fällen kommt diese Korruption von außen an den Staatsapparat als „ein Angebot, das man nicht ablehnen kann“. So fielen die Unternehmer in Brasilien und später die Politiker*innen einer ganze Reihe von Ländern auf (Angola, Argentinien, Brasilien, Kolumbien, Dominikanische Republik, Ecuador, Guatemala, Mexiko, Mosambik, Panama, Peru und Venezuela), von denen Marcelo Odebrecht selbst enthüllte, dass sie auf seiner Gehaltsliste standen. Offenbar ist nur Chile nicht betroffen (oder es ist noch nicht bekannt geworden), Cuba und, mit Ausnahme Guatemalas, Zentralamerika.

Eine Besonderheit der transnationalen Korruption besteht darin, dass die Zahlungen an Präsidentschaftskandidaten, Bürgermeister*innen oder Direktoren öffentlicher Unternehmen nicht innerhalb der nationalen Grenzen erfolgen, sondern in Steuerparadiesen auf die Bankkonten Dritter. So wurden zum Beispiel die Zahlungen an Pedro Pablo Kuczynski, als er noch Minister in Peru war, über seine Beraterfirma mit Sitz in Miami abgewickelt, auf deren Konto in einem Steuerparadies. Auf eine ganz ähnliche Weise erfolgten die Schmiergeldzahlungen an Perus Expräsident Alejandro Toledo. Auch ist es üblich, an Ehepartner*innen Gelder zu überweisen, wie beispielsweise in Mexiko, wo die spanische Baufirma, die die Ausschreibungen für die Einrichtung der Autobahngebühren und den Bau einer Hochgeschwindigkeitsbahn im Staat Mexiko gewann, der damaligen First Lady ein Haus in Las Lomas und ein Apartment in Miami schenkte.

Die bisher bekannte Selbstbedienungsmentalität der staatlichen Angestellten, die sich entweder an öffentlichen Geldern bereichern oder für ihre Dienstleistungen Geld einfordern, hat sich gewandelt: Die neue Korruption gleicht einem Pferderennen, bei dem private Akteure Wetten auf den Sieger abschließen. Dabei ist die Gewinnspanne, nach dem was Marcelo Odebrecht vor Gericht aussagte, extrem hoch. Interessant ist, dass sich jetzt das US-Justizministerium in den Fall Odebrecht eingemischt hat, weil die Geldüberweisungen über das internationale SWIFT-Netz erfolgen und dabei Sekundenbruchteile über die USA laufen und in Dollar abgewickelt werden. Dabei werden in erster Linie die Unternehmer*innen angeklagt, die die Zahlungen veranlasst haben. Bisher erfolgt keine Anklage im Fall des spanischen Baukonzerns, vielleicht weil hier in Sachleistungen (Immobilien) gezahlt wurde.

Derartige Korruptionsfälle können nur gelöst werden, wenn die Justiz in den jeweiligen Ländern die beteiligten Politiker*innen zu empfindlichen Strafen verurteilt. Es sieht aber so aus, dass viele der betroffenen Länder eine schwache Justiz haben und es weder zu substantiellen Beschuldigungen kommt, noch zu Pressekampagnen, in denen penibel aufgearbeitet wird, was international berichtet und angeklagt wird. Die Presse ist dabei genauso wichtig wie die Justiz, weil sie den Bürger*innen im Land erlaubt, Druck auszuüben und Gerechtigkeit zu fordern.

Literatur: Oscar Ugarteche (2004), La nueva corrupción. Tipología y aproximaciones teóricas desde el caso Fujimori/Montesinos, Nueva Sociedad 194, Noviembre-Diciembre 2004, ISSN: 0251-3552