Care-Ökonomie? Wie Care-Pakete?“, fragte ein Freund, als ich ihm die neuste Ausgabe der Schweizer Frauenzeitschrift Olympe mit eben diesem Schwerpunkt vorlegte. Irgendwie hat er recht: Es geht um jenes dicke Gratispaket mit allem Möglichen, was man so zum Überleben braucht. Wobei man sich kaum Gedanken darüber macht, wer es denn eigentlich geschnürt hat. Für Care-Ökonomie gibt es bis heute keine allein gültige Definition. Sie umfasst in etwa die unbezahlte Sorge- und Versorgungsökonomie, wie zunehmend auch die bezahlte. Und es hat ursprünglich etwas mit Frauen zu tun.
Und so fing es an: „Beziehungsarbeit“ nannten Frauen es in den 70er Jahren in den aufkommenden Wohngemeinschaften hierzulande. Genervt hielten sie ihren sich nach außen doch so fortschrittlich gerierenden Genossen vor, in den eigenen vier WG-Wänden ganz wie bei Muttern Putzen, Spülen, aber auch Trösten bei Liebeskummer für Nebensachen zu halten, die „passieren“. „Das bisschen Haushalt“ überließen sie lieber ungeniert den Genossinnen. Forscherinnen wie Barbara Duden und Gisela Bock sprachen von Subsistenzwirtschaft, unbezahlter Arbeit und überhaupt dem Haushalt als Ort, in dem ein erheblicher Teil von Arbeit geleistet wird, ohne dass dies – seit Adam Smith übrigens – als Teil der Ökonomie gedacht wird. Die Neue Frauenbewegung stellte dann an den Pranger, dass „Hausarbeit“ keineswegs dem „Wesen“ oder der „Natur“ der Frau entspreche. Diese ideologische Entrückung, so stellt Barbara Duden in ihrem spannend zu lesenden Rückblick auf 35 Jahre Forschung in diesem Bereich dar, war zudem kein allmählich aussterbendes Relikt aus dem 19. Jahrhundert. Vielmehr konnte etwa in Deutschland mithilfe der Schaffung und Durchsetzung der Kunstfigur Hausfrau das Wirtschaftswunder überhaupt erst entstehen. Solche Thesen ließen vielen klassischen Ökonomen den Mund offen stehen. Für sie ist Care für Verständnis wie für die Beschreibung von Wirtschaft und gesellschaftlicher Entwicklung nicht wichtig, da Care außerhalb des Marktes stattfinde.
Die systematische Einbeziehung der Subsistenz- und Reproduktionswirtschaft in ökonomische Analysen hingegen machte den Umfang und die Bedeutung jenes blinden Flecks überhaupt erst klar. Sie führte zu einem ganz neuen Nachdenken über die insgesamt in einem Land geleistete Arbeit und über das Verhältnis von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Feministische Ökonominnen begannen zu untersuchen, in welchem Maße welche Politiken Care voraussetzen, gerade auch solche, die das auf den ersten Blick gar nicht tun, wie Lohnpolitik oder Makroökonomie.
In den neuen Thesen steckte Musik: Ökonominnen, die der Behauptung ihrer Professoren, ihre Disziplin sei wert- und geschlechtsneutral, sahen sich an, was IWF und Weltbank vor 20 Jahren den Ländern des Südens empfahlen, um aus ihren Finanzkrisen herauszukommen. Es war ein Déjà vu-Erlebnis. „Wirtschaftsankurbelungsprogramme“ und „Rettungspakete“ setzten die Kürzung öffentlicher Ausgaben im Gesundheits-, Bildungs- und gesamten Versorgungsbereich voraus. Strukturanpassung, „Verschlankung“ von Staatshaushalten, das Verschwinden lokaler Absatzmärkte verwandelte bezahlte in miserabel bezahlte oder unbezahlte Arbeit. Letztere wurde fürs Überleben immer wichtiger. Und sie wurde und wird meist von Frauen verrichtet. Ein „klassischer“ Fall für feministische Ökonominnen im Norden wie im Süden. Es entstand der Forschungsbereich Care-Ökonomie als drittes Standbein neben den Themen Gender-Budgets und Gender-Mainstreaming in der Wirtschaftspolitik.
Die Fragestellungen der Care-Ökonominnen sind heute vielfältig. Etwa: Warum ist die Forderung nach Bezahlung der Hausarbeit in den letzten Jahren untergegangen? Was hat das mit der Unterbezahlung von (illegalisierten) Migrantinnen im Haushalt zu tun? Warum ist die Hausarbeit nicht verschwunden und als bezahlte Dienstleistung ins Bruttosozialprodukt aufgenommen? Folgerichtig sieht Ulrike Knobloch in ihrem Beitrag Care-Ökonomie nicht als Randbereich der Wirtschaft an, auch wenn sie die Theoriebildung erst am Anfang sieht. Ihre wirtschaftsethischen Überlegungen suchen Antworten auf die Frage, wie „Gutes Leben“ organisiert werden kann. Bemerkenswerterweise kommt sie dabei aus feministischer Sicht zu ganz ähnlichen Schlussfolgerungen wie die Verfechter des bolivianischen Modells des Buen Vivir.
Unverzichtbar ist der Ansatz auch bei einem Blick auf das Mainstream-Denken von Agenturen der Entwicklungszusammenarbeit: Arme sollen dazu befähigt werden, am Markt teilzunehmen. Diese Einkommensorientierung blendet jedoch Beziehungsgeflechte aus. Maßgeblich sind individuelles Vorwärtskommen und die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts. Care-Ökonominnen würden fragen, ob dies einen Beitrag zu gerechter Entwicklung oder nur zur Abwälzung der Versorgungsarbeit auf Schwächere und Alte bedeutet? Care-Ökonomie untersucht somit die Bedingungen und Konsequenzen des Gelderwerbs. Im Süden wie im Norden.
Urbane Gesellschaften nähern sich heute in ihren Geschlechtermodellen an. Doch, so beschreiben es Irma Arriagada und Amaia Orozco, gibt es in Lateinamerika und Europa noch viel Unterschiedliches für Care-Ökonominnen zu forschen und in Beziehung zu setzen: der Anteil von Kindern ist in Lateinamerika wesentlich höher, die institutionellen Voraussetzungen und Sicherungssysteme, die Arbeit abnehmen könnten, sind schwächer. Immer mehr Care-ArbeiterInnen verlassen Lateinamerika, um in Europa zu arbeiten. Oder sie sind BinnenmigrantInnen, wie die Mehrzahl der Haushaltshilfen. Was bedeutet das für die Arbeit in den zurückgelassenen Haushalten?
Das alles und noch viel mehr wird in der Olympe-Nummer 30 diskutiert. Die Heftmacherinnen nehmen sich zweimal im Jahr spannender und aktueller Debatten an. Man sollte sie sich gönnen.
Olympe. Feministische Arbeitshefte zur Politik. Heft 30: Care-Ökonomie. Neue Landschaften von feministischen Analysen und Debatten, 152 Seiten, 21 Franken. Bestelladresse:bestellungen@olympeheft.ch • www.olympeheft.ch