Am 19. Januar 2006 demonstrierten mehr als 10 000 TeilnehmerInnen des Sozialforums in Bamako und forderten mehr Gerechtigkeit. Neben dem Hauptslogan „Zusammen ist eine andere Welt möglich“ wurden auch andere Slogans laut, wie z.B. „Nein zum Ausverkauf Afrikas“, „Nein zur wilden Privatisierung“, „Nein zur neoliberalen Politik“ sowie „Nein zu den Genetisch Veränderten Organismen“. Die Anwesenheit der internationalen Delegationen war sehr wichtig. Sie waren aus Europa, den USA, Asien und Lateinamerika gekommen, um die verhängnisvollen Auswirkungen der neoliberalen Globalisierung auf die Weltbevölkerung aufzuzeigen. Die Durchführung des Forums in Afrika war eine Premiere für den ganzen Kontinent. Zum ersten Mal kamen mehr als 20 000 TeilnehmerInnen, größtenteils AfrikanerInnen, in Afrika zusammen, um über ihre jeweiligen Anliegen zu debattieren und ihre Erfahrungen auszutauschen. Die TeilnehmerInnen aus Westafrika reisten mit den kostengünstigsten und umweltfreundlichsten Verkehrsmitteln an, andere nahmen das Flugzeug. Der Flughafen von Bamako hat noch nie so viele Menschen in so kurzer Zeit ankommen sehen.
Etwa 350 Organisationen des Kontinents beteiligten sich diesmal am Forum, wohingegen die afrikanische Beteiligung an Porto Alegre und Mumbai kaum über 100 Organisationen hinausging. Das war schon ein Erfolg an sich. Denn so hat dieses Event dazu beigetragen die Isolierung der AktivistInnen zu durchbrechen, ein Austausch von Erfahrungen und Arbeitsmethoden wurde möglich. Die Begegnungen zwischen AktivistInnen aus Ostafrika und denjenigen aus Westafrika oder zwischen denjenigen aus Nordafrika mit denen aus dem südlichen Afrika waren ein absolutes Novum. Glaubt bloß nicht, dass all die AfrikanerInnen, die aus vier verschiedenen Ecken des Kontinents gekommen waren, alle dieselbe Sprache sprachen oder dass die Kommunikation untereinander einfach war. Die afrikanischen Sprachen sind genauso vielfältig wie die Bevölkerungsgruppen. Simultandolmetschen in mehreren Sprachen des Kontinents war also nicht möglich. Zum Glück gibt es für jedes Problem eine Lösung – der Beitrag des Kolonialismus. Damit reduzierte sich die Anzahl der Sprachen. Auf Englisch, Französisch, Portugiesisch und Spanisch konnten sich die meisten TeilnehmerInnen mehr oder weniger verständigen, wenigstens in den Veranstaltungsräumen. Außerhalb war jedoch Bambara die Mehrheitssprache.
Bamako ist eine großflächige Stadt in der Sahelzone, in der meistens Temperaturen um die 40 Grad Celsius herrschen. Zum Glück fand das Sozialforum im Winter statt. So hat der Monat Januar seinen Teil zum Gelingen beigetragen – mit Temperaturen zwischen 20 und 23 Grad. Die Hotels hatten ihr Bestes getan, um die Gäste zu empfangen: Selbst wenn es dort, wo man eigentlich eine Reservierung hatte, keinen Platz mehr gab, wurde eben ein Zimmer in einem anderen Hotel ohne Reservierung aufgetan. Die OrganisatorInnen hatten verschiedene Unterbringungsmöglichkeiten im Angebot: Unterkunft bei Privatpersonen, das Anmieten von Villen etc. Trotz einer Vielzahl von Alternativen reichten die Schlafplätze für die große Nachfrage nicht aus. Aber selbst Probleme wie eine Dusche ohne Wasser konnten die Motivation der Altermondialistes – wie sich die GlobalisierungskritikerInnen in den französischsprachigen Ländern nennen – nicht erschüttern. Andererseits war es nicht von vorneherein einfach, Hunderte von Veranstaltungen täglich zu organisieren. Die Unterstützung der malischen Regierung war in dieser Hinsicht ausschlaggebend. Den VeranstalterInnen wurden nicht nur 150 000 000 CFA (ca. 230 769 Euro) finanzielle Hilfe zuteil, sondern die Behörden stellten auch viele öffentliche Gebäude zur Verfügung, ohne eine Gegenleistung zu verlangen, wie z.B. die Beteiligung von Ministern oder anderen öffentlichen Würdenträgern am Forum. Das ist beachtlich. Mit dieser Unterstützung konnten die 800 verschiedenen Veranstaltungen an sechs verschiedenen Orten stattfinden.
Der Kulturpalast war ganz der Welt der Frauen gewidmet. Die Themen reichten vom Einfluss der Globalisierung auf die Verarmung der Frauen über soziale und ökonomische Gerechtigkeit, Gewalt gegen Frauen bis zum Thema Ernährungssouveränität. Einige mutige Männer stellten sich den Debatten. Die Privatisierung des Wassers rief eine besonders heiße Diskussion hervor. Ein Mann aus Südafrika unterstützte das Anliegen der Frauen in diesem Punkt, indem er berichtete, dass seine Frau jeden Morgen um vier Uhr früh aufstehen müsse, um das Wasser an einer weit entfernten Stelle zu holen. Doch als die Frauen ihn fragten, was er denn zur selben Zeit mache, musste er zugeben, dass er schlafe. Dafür wurde er stark kritisiert und ausgebuht, schließlich versprach er sein Verhalten zu verändern. (Vielleicht wird er aufwachen, oder?) Die Nationalbibliothek war Ort der Debatten rund um das Thema „Angriff auf die bäuerlichen Gesellschaften und GVO“[fn]genetisch veränderte Organismen[/fn] – ein hochaktuelles Thema, was sich nicht zuletzt in der großen Anzahl der anwesenden Bauern und Bäuerinnen widerspiegelte. Die Vereinbarung zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der EU und den AKP-Staaten[fn]ehemalige europäische Kolonien in Afrika, der Karibik und im Pazifik[/fn], welche die Ernährungssouveränität der LandarbeiterInnen bedroht, stand im Zentrum der Debatte, ebenso die Verhandlungsergebnisse der WTO-Konferenz in Hongkong. Der Trick, die LandarbeiterInnen mit einer wissenschaftlichen Abkürzung wie GVO (Genetisch Veränderte Organismen) zu blenden, greift nicht mehr. Die Bauern selbst haben einen Namen auf Bambara für die GVO gefunden. Der Saatgutmulti Monsanto muss sich also eine Strategie auf Bambara ausdenken. Mal sehen, wer gewinnt.
Ein weiterer Aspekt des Forums, der als Neuheit präsentiert wurde, war das internationale Jugendcamp, das nach Thomas Sankara, dem 1987 ermordeten Präsidenten von Burkina Faso, benannt worden war. Hier gab es Veranstaltungen zu allen für die Jugend wichtigen Punkten: Immigration, Bildung, Arbeit … Als altermondialistes der ersten Stunde verkündeten die afrikanischen Jugendlichen, sich an eigenen Idolen orientieren zu wollen. Vom gleichen Gedanken getragen war auch ein 15 Kilometer langer Solidaritätsmarathon unter dem Titel „Ein anderer Sport ist möglich“ – damit die SportlerInnen nicht zur Ware verkommen. Ein breites Themenspektrum und kulturelle Aktivitäten (Theater, Filmvorführungen – u.a. „Darwins Alptraum“ – Sketche, Musik) haben das Forum zu einem Erlebnis gemacht, das gleichzeitig Tausenden von Personen, hauptsächlich aus Afrika, ermöglichte, das Thema „Entwicklung“ unter verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Transportmittel waren Bus oder Taxi, wobei die Taxipreise recht erschwinglich waren. Für die Fahrer war das Forum ein unvorhergesehener Glücksfall.
Nach Abschluss des Forums standen die Diskussionen über die Zukunft des Forums an. Die Dezentralisierung der Foren hat dazu beigetragen, dass sich die Bewegung auf jedem Kontinent massiv verankern konnte. Die Vielfalt der Akteure nimmt immer mehr zu: soziale Bewegungen, Frauen- und Menschenrechtsbewegung, NRO, Intellektuelle. Hierbei stellt sich die Frage, wie man es von einem kollektiven Bewusstsein auf weltweiter Ebene zu kollektiven Aktionen schafft. Das ist eine Herausforderung für das Forum. Alle waren damit einverstanden, den Charakter des Forums beizubehalten, der auf den Treffen basiert, die nach vielfältigen Alternativen suchen.
In Bezug auf Afrika haben die Zivilgesellschaft und die sozialen Bewegungen beschlossen eine Debatte auf einer Website zu lancieren, um so die neuen Beziehungen untereinander zu konsolidieren und um das Weltsozialforum vorzubereiten, dass nächstes Jahr in Nairobi (Kenia) stattfinden wird. Erklärtes Ziel dieser Debatte ist es eine angemessene Aktions- und Kampfstrategie für Afrika zu entwerfen: unter dem Slogan „Afrika wird das Sozialforum und das Sozialforum wird Afrika verändern“. Die Beziehungen zwischen dem Sozialforum und Regierungen, wie z.B. der Chávez-Regierung, wurden nicht diskutiert. Die Regierung Malis hat zwar in der Tat das Forum finanziert, aber deswegen wurde nicht der rote Teppich ausgerollt. Regierungsmitglieder und Abgeordnete haben an den Debatten wie alle anderen BürgerInnen auch teilgenommen, ohne groß Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das Sozialforum sollte seine Unabhängigkeit bewahren, um seine Aktionsfreiheit zu garantieren – im Austausch mit der Politik, aber ohne roten Teppich.