Wie das Hornberger Schießen

Es ist vollbracht – und doch nicht. Einen wochenlangen Wahlkampf lang haben die fünf zugelassenen Parteien mit den ihnen jeweils zur Verfügung stehenden Mitteln für ihre Kandidaten geworben. Die rechtsextreme ARENA-Partei, hinter der die Privatwirtschaft steht, hat genügend Geld für Wahlwerbung auf allen Kanälen, aber auch eine Massenbasis unter den Armen, den GelegenheitsarbeiterInnen, der Arbeiterklasse, dem Mittelstand und den Selbständigen. Ihr Kandidat, der Rechtsanwalt Norman Quijano, stets wie aus dem Ei gepellt, hatte als Bürgermeister von San Salvador eine günstige Ausgangsposition. Ihm zur Seite noch ein Rechtsanwalt, René Portillo Cuadra, der für den Unternehmerverband ANEP gearbeitet hat. Aus derselben rechten Ecke kommt Antonio (Tony) Elías Saca, ausgestattet mit dem Bonus einer früheren Präsidentschaft (2004-2009) und dem Malus, aus der ARENA-Partei ausgeschlossen worden zu sein – was ihn freilich koalitionsfähiger macht für die FMLN. Saca hat aus GANA (Partei von ARENA-Dissidenten), der alten Partei des Militärs (PCN) sowie den Resten der Christdemokratie (PDC) das Bündnis UNIDAD geschmiedet. Als Vizepräsidentschaftskandidaten hat er sich Francisco Laínez, einen vormaligen ARENA-Außenminister, zur Seite geholt.

Auf der anderen, der linken Seite, die FMLN, die Partei der ehemaligen Guerilla, mit ihrem Präsidentschaftskandidaten Salvador Sánchez Cerén, früher Lehrer und Aktivist der LehrerInnengewerkschaft ANDES 21, dann Guerillakommandant, später Präsident der politischen Partei FMLN und unter dem derzeitigen noch bis zum 31. Mai 2014 amtierenden Präsidenten Mauricio Funes Vizepräsident und Erziehungs- und Bildungsminister ad honorem. Oscar Ortíz, der FMLN-Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten, war ebenfalls Guerillakommandant und zuletzt vier Amtsperioden lang Bürgermeister von Santa Tecla, einer Großstadt westlich von San Salvador. Die FMLN kann weniger Mittel für Wahlwerbung in den Massenmedien einsetzen und bekommt dort tendenziell weniger Raum bzw. Sendezeit, weil die großen Printmedien, Radio- und Fernsehsender alle rechtsgerichtet sind. Also setzt sie auf das Engagement ihrer Mitglieder, die in Stadt und Land von Haus zu Haus ziehen, um die WählerInnen für ihr Regierungsprogramm und ihre Kandidaten zu gewinnen.

Die beiden anderen Parteien, die sich an diesen Präsidentschaftswahlen beteiligten, waren von vorneherein – was ihr Stimmenpotenzial betrifft – vernachlässigbar. Ihre Namen, PSP (Salvadorianische Partei des Fortschritts) und FPS (Patriotische Bruderschaft El Salvadors), sind Programm. Mit unter 15 000 Stimmen bekamen sie zusammen weniger als ein Prozent der gültigen Stimmen. Am späten Abend des Wahlsonntags waren um 23 Uhr 82 Prozent der Stimmzettel von 10 445 Wahltischen in 1593 Wahllokalen ausgezählt. 48,95 Prozent der bis dahin abgegebenen und gültigen Stimmen waren für die FMLN, 38,96 Prozent für ARENA und 11,41 Prozent für UNIDAD abgegeben worden. Zwar hat die FMLN die ARENA-Partei um knapp 10 Prozent überrundet, aber für einen Sieg in der ersten Runde haben ihr noch etwas mehr als ein Prozent gefehlt, denn um im ersten Anlauf zu gewinnen, hätten „Salvador y Oscar“ 50 Prozent der Stimmen plus eine bekommen müssen. Mit 11,41 Prozent der bis zum genannten Zeitpunkt abgegebenen Stimmen ist UNIDAD weit abgeschlagen, sie hat aber offensichtlich genügend Stimmpotenzial, um in der nun anstehenden zweiten Runde, der Stichwahl zwischen der FMLN und ARENA, mit einer entsprechenden Wahlempfehlung das Zünglein an der Waage zu spielen. Die FMLN hat in 13 von 14 Departements gewonnen, in San Miguel z.B. mit 28 Prozent Abstand haushoch. Nur in Cabañas, einem traditionell hinterwäldlerischen Departement im Norden des Landes, aus dem die FMLN-Guerilla schon zu Beginn des Krieges 1980 von der Armee vertrieben worden war, lag ARENA mit 50 Prozent der Stimmen 14 Prozent vor der FMLN.

Obwohl Präsidentschaftswahlen mit nur fünf Kandidaten vergleichsweise einfach sind, ist das Wahlsystem noch kompliziert genug, um alle Beteiligten, einschließlich der nationalen und internationalen WahlbeobachterInnen, auf harte Geduldsproben zu stellen. Die kleinste Einheit, also der Ort, an dem jeder Wähler und jede Wählerin seinen/ihren Stimmzettel bekommt, in der entsprechenden WählerInnenliste markiert wird, in die Wahlkabine aus Pappe geht, wählt, den Wahlzettel ausreichend oft faltet, ihn in die Wahlurne aus Pappe wirft, eine Kopie der WählerInnenliste abzeichnet oder mit seinem/ihrem Fingerabdruck verziert, einen Finger in nicht abwaschbare Tinte taucht, damit er oder sie nicht zweimal wählen gehen kann, seinen/ihren Personalausweis zurück bekommt und getrost nach Hause gehen kann, diese kleinste Einheit ist die Junta Receptora de Votos (JRV, der Wahltisch). Die JRV setzt sich zusammen aus einem/einer PräsidentIn, einem/einer SekretärIn und einem/einer BeisitzerIn. In jedem Wahllokal gibt es dann noch die VertreterInnen der Junta Electoral Municipal (JEM, Gemeindewahlvorstand), der Generalstaatsanwaltschaft, des Menschenrechtsombudsbüros, jede Menge Beamte der Zivilen Nationalpolizei und die nationalen und internationalen WahlbeobachterInnen, ebenfalls zahlreich vertreten. Wenn nach der Schließung der Wahllokale und der Auszählung alles zusammengepackt wird, werden die Unterlagen in Pappkartons der JEM übergeben, die für den Transport zur Bezirkswahlvorstand (JED) verantwortlich ist. Von dort gelangen die Wahlergebnisse in das Rechenzentrum des Obersten Wahlgerichtes, das im Luxushotel Crown Plaza untergebracht ist. Zum Innersten dieser Auszählungsmaschine, die regelmäßig Hochrechnungen ausspuckt, haben nur die offiziellen internationalen WahlbeobachterInnen von der OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) Zutritt.

Dieses Jahr habe ich mich an einer internationalen BeobachterInnendelegation, die in der Schweiz organisiert wurde, beteiligt. Am Wahlsonntag waren fünf von uns BeobachterInnen für die Gemeinde Comasagua eingeteilt; der Rest unserer Delegation konzentrierte sich auf dem internationalen Ausstellungsgelände, dem größten Wahllokal im ganzen Land. Ab 3.00 Uhr morgens warteten wir darauf, dass uns ein Taxiunternehmen nach Comasagua bringt. Nach einigen Verzögerungen trafen wir dann um 5.30 Uhr im größten Wahllokal der Gemeinde ein. Hier befanden sich neun Wahltische. Nach dem Wohnortwahlrecht gab es neben diesem Wahllokal noch weitere mit jeweils zwei bis drei Wahltischen in den größten Kantonen der Gemeinde. Wir besuchten im Laufe des Tages zwei weitere Wahllokale, die ebenfalls in Schulen untergebracht waren, eine davon auf dem Gelände der Kaffeekooperative Santa Adelaida, von wo die Kaffeekampagne El Salvador in der Vergangenheit Biokaffee bezogen hat.

Die internationalen WahlbeobachterInnen dürfen sich nicht einmischen. Wenn sie eine Unregelmäßigkeit beobachten, müssen sie sich an einen Vertreter der JEM oder der Staatsanwaltschaft wenden. Wir mussten das im Laufe des Tages wegen einiger Kleinigkeiten tun. In den drei Wahllokalen, die wir besuchten, waren die zwei je aus einer Pappschachtel bestehenden Wahlkabinen nebeneinander auf eine Schulbank gestellt. Wir baten die JRV und den Vertreter der JEM dafür zu sorgen, dass immer nur eine Person wählte, denn auch zwischen WählerInnen gilt das Wahlgeheimnis. Einige JRV bereiteten die Stimmzettel vor, d.h. stempelten sie, unterschrieben sie und entfernten eine Ecke. Das ist nicht erlaubt – erst wenn der Wähler oder die Wählerin am Tisch der JRV steht, darf das gemacht werden, und nur mit dem Stimmzettel, der dann dem Wähler oder der Wählerin zusammen mit einem Filzstift ausgehändigt wird.

Die Wahlbeteiligung lag mit knapp 2,2 Millionen abgegebenen und gültigen Stimmen, was 53 Prozent der Wahlberechtigten entspricht, deutlich unter der Beteiligung bei den letzten Präsidentschaftswahlen im Jahre 2009. Damals gingen knapp 2,7 Millionen BürgerInnen wählen, was knapp 63 Prozent der Wahlberechtigten entsprach. Weil bei den Wahlen am vergangenen 2. Februar im ganzen Land das Wählen am Wohnort galt, war mit einer höheren Beteiligung gerechnet worden. Früher wurde nach dem Anfangsbuchstaben des Nachnamens gewählt, so dass Frau Hernández unter Umständen von einem Ende San Salvadors an das andere reisen musste, weil dort alle mit dem Anfangsbuchstaben H eingetragen waren. Ein Mitglied des Obersten Wahlgerichtes meinte, ein Grund für die niedrige Wahlbeteiligung könnte gewesen sein, dass keiner der Kandidaten wirklich überzeugt hatte.

Neu war in diesem Jahr die Möglichkeit der Briefwahl aus dem Ausland. Zwar leben in den USA ca. 2,5 Millionen SalvadorianerInnen, von denen die meisten keine Aufenthaltspapiere haben, aber an den Wahlen haben sich im ersten Anlauf nur 9636 beteiligt. Insgesamt gab es 10.337 Stimmen aus dem Ausland – darunter eine aus der Bundesrepublik. Um auf die niedrige Wahlbeteiligung zurückzukommen: ARENA hat in diesen Wahlen knapp 250.000 Stimmen weniger bekommen als bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2009 und die FMLN knapp 50.000 Stimmen weniger. Zusammengenommen sind das 300.000 Stimmen, was ziemlich genau der Stimmenzahl entspricht, die UNIDAD bekommen hat. Mit anderen Worten: Saca hat seine Stimmen nicht von den zuvor Unentschlossenen bekommen, sondern von ARENA und FMLN, und zwar überwiegend von ARENA, was einen Hinweis auf die Stimmung an der WählerInnenbasis und auf die Bündniskonstellation für die zweite Runde geben könnte. Andeutungsweise hat sich Saca auch schon angeboten und Sánchez Cerén hat nicht abgelehnt. In der Vergangenheit haben im Parlament GANA, die Hauptkomponente von Sacas UNIDAD, und FMLN schon öfter zusammen gestimmt. Vergleicht man schließlich die Ergebnisse von 2009, als Mauricio Funes mit knapp 70.000 Stimmen Vorsprung die Präsidentschaft gewann, mit den Wahlen von 2004, die die FMLN mit dem Kandidaten Schafik Handal verlor, so kann man den „Funes-Faktor“ auf eine halbe Million Stimmen berechnen. Diese halbe Million ist jetzt der FMLN treu geblieben, d.h., sie hat ihre Stammwählerschaft tendenziell um eine halbe Million Stimmen erhöht. Eine Herausforderung für die zweite Runde am 9. März sind auch die ca. 730.000 NeuwählerInnen, die das Wahlregister auf fast fünf Millionen anwachsen ließen, darunter viele JungwählerInnen, sowie das eine Prozent von WählerInnen, die bewusst ungültig gewählt haben.