Freitagnachmittag. Kurz nach fünf. Verspätete Ankunft am Hauptbahnhof Hamburg. Hektische Betriebsamkeit. Wo müssen wir hin? Welche Bahn müssen wir nehmen? Es ist bereits dunkel. Wenige Augenblicke später sitzen wir in der U3 Richtung Barmbek. Vorbei am Hafen. Beleuchtete Schiffe. Blinkende Kräne. Erstes erleichtertes Aufatmen. Haltestelle Sternschanze. Schöne Altbauhäuser, lachende Kinder, bunte Läden, entspannte Geschäftigkeit, eine junge Familie. Suchende Blicke. Ankunft. Schanzenstraße 75. Wir betreten den beleuchteten Hinterhof. Kopfsteinpflaster. Rotes Backsteinhaus. Rechts davon eine Glasfassade. Das 3001-Kino. Willkommen auf den 17. Lateinamerika-Filmtagen.
Freitagabend. Fünf vor sechs. Olaf, einer der drei Organisatoren des Festivals, begrüßt uns herzlich. Es bleibt kaum Zeit. Gleich fängt der Film an. Wir stellen unser Gepäck am Eingang ab, betreten den Kinosaal, lassen uns in die letzten freien Sessel fallen. Angekommen. Neben dem Gefühl der Erschöpfung macht sich ein Gefühl der Freude, der Neugier breit. Im Verlauf des Wochenendes haben wir immer wieder die Möglichkeit, uns mit Olaf zu unterhalten. Bei einem Glas Wein reden wir über Filme, Regisseure, über Politik, das Leben, unsere Studien, über Lateinamerika und das Festival.
Am Anfang standen zwei Freunde, Lars und Matthias. 1992 starteten sie in Kooperation mit dem 3001-Kino eine Filmreihe zu Cuba. Ein Jahr später folgte eine Chile-Reihe, bei der erstmals Olaf mitwirkte. Alle drei verband die Freude am Film und die Begeisterung für Lateinamerika. 1994 nutzten sie die Möglichkeit, im Rahmen des „100 Jahre Film“–Jubiläums die ersten Länder übergreifenden Lateinamerika-Filmtage zu veranstalten. Der Versuch, eine Plattform für lateinamerikanische Produktionen zu bieten, stieß nicht nur bei Hamburgs Latino-Community auf sehr positive Resonanz. So wurde die Idee geboren, das Festival im halbjährlichen Rhythmus fortzusetzen. Seit 2000 ist es zweigeteilt, in die spanischen (Juni/Juli) und die lateinamerikanischen Filmtage (November/Dezember). Obwohl sich die Veranstaltung mittlerweile zu einer festen Größe in Hamburgs Kulturkalender entwickelt hat, ist die Finanzierung immer wieder schwierig.
Viele der Filme entdecken die drei Organisatoren beim Besuch verschiedener Festivals. Andere beziehen sie direkt von Verleihern. Häufiger kommt es aber auch vor, dass sich DokumentarfilmerInnen und NachwuchscineastInnen direkt bei ihnen bewerben. Der Schwerpunkt liegt auf sozialpolitisch engagierten Filmen. Gerade lateinamerikanische Produktionen zeichnen sich dabei laut Olaf durch die Leichtigkeit ihrer Erzählweise auch bei schwierigen Themen aus. Sie sind humorvoll, ohne die Kritik aus den Augen zu verlieren. Eine möglichst ausgewogene Mischung aus klassischen und aktuellen Filmen sowie Kurzfilmen im Videoformat ist das erklärte Ziel der drei. Welche Filme sie dann letztlich ins Programm übernehmen, unterliegt ihrer subjektiven Beurteilung.
Freitagabend. Viertel nach sechs. Der rote Vorhang hebt sich. Der Film beginnt: „Die großen Alleen“ – eine Dokumentation über das andere Chile. Die Trockenheit und Weite des Anden-Hochlandes, der stets pfeifende Wind sowie das Grenzschild „Bienvenido en la República de Chile“ entführen uns nach Chile zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Autobahnen, Häuserschluchten, überdimensionale Werbung multinationaler Konzerne, Banken, Hochhäuser, exklusiv gekleidete Menschen, ein Meer aus Straßen, in dem sich Schwärme von Autos ihren Weg zu unbekannten Zielen bahnen. Brutal stürzen wir aus der folkloristischen Idylle der Berge in die pulsierende chilenische Metropole Santiago. Bilder und Geräusche folgen dem rasenden Rhythmus der Stadt, so dass sich die verschiedensten Straßenszenen im Wetteifer des Alltags überschlagen. Diese unfassbare, alles verschlingende Bilderflut endet im Crash – dem vermeintlichen Zusammenbruch der Aufnahme.
Wir entfernen uns von diesem ersten touristischen Eindruck und tauchen ein in die Realität, die unter der Oberfläche des lateinamerikanischen „Musterlandes“ brodelt. Das andere Gesicht Chiles zeigt sich uns zunächst in den Bildern einer Erinnerungsfeier an die Opfer der Diktatur Pinochets im Nationalstadion, das seinerzeit als Konzentrationslager diente. Vereint in ihrer Trauer, aber auch ihrer Hoffnung ist es den Menschen wichtig, sich zu „erinnern, um nicht zu vergessen“. Geschichtliche Fakten, die auch dem Laien einen Zugang zur Thematik eröffnen, sowie der Auftritt des kubanischen Sängers Silvio Rodríguez begleiten die emotionalen Aufnahmen dieser aktiven Vergangenheitsbewältigung. Ähnliche Eindrücke hinterlässt der Besuch eines Parks, dessen Wege mit Gedenktafeln gepflastert sind. Der Betrachter senkt automatisch seinen Kopf und wird so auf subtile Weise in die Lage der Insassen jener ehemaligen Folterstätte versetzt. Denn der einzige visuelle Eindruck der Todgeweihten von diesem Ort war der Blick durch die Spalte der Augenbinde auf den Boden der Anlage.
Die lockeren Interviews mit einem HipHop-Kollektiv verdeutlichen uns anschließend den Umgang mit Vergangenheit und Realität aus der Perspektive einer anderen Generation. Eine besondere Nähe entsteht durch die Offenheit der Jugendlichen, die in den Interviews über ihre ganz persönlichen Kindheitserinnerungen sprechen. Darüber hinaus üben sie scharfe Kritik an der sozialen Gegenwart des Landes, ohne dabei in Resignation zu versinken. Die Unzufriedenheit der Menschen wird uns durch zahlreiche Demonstrationen vor Augen geführt. So stehen wir plötzlich zwischen den BürgerInnen und der Staatsmacht. Auf einer friedlichen Kundgebung wird Allendes letzte Radioansprache eingespielt. Bei seinen Worten „die Geschichte ist unsere und sie wird von den Völkern gemacht“ brechen manche Menschen in Tränen aus.
Im Zuge eines erneuten Perspektivwechsels beleuchtet eine linke Wirtschaftsprofessorin die Folgen der Politik nach dem Putsch 1973 und kritisiert die Einführung des neoliberalen Wirtschaftssystems. Im Gegensatz zu ihren theoretischen Aussagen eröffnen uns die Interviews mit den Menschen auf der Straße eine konkretere Betrachtungsweise. Ob Schuster, Taxifahrer oder Arbeitsloser, sie sprechen von ihrer eigenen Lebensrealität. Davon, dass Wasser oder Elektrizität sich beispielsweise in Händen spanischer Unternehmen befinden, was die Lebenshaltungskosten explodieren lässt. Selbst Gesundheits- und Bildungswesen werden Opfer der Privatisierung. Krankenwagen und Kliniken machen ihren Dienst vom Geldbeutel der PatientInnen abhängig, Firmen investieren direkt in Universitäten. So degenerieren Bildungseinrichtungen zu Nachwuchsschmieden finanzstarker Unternehmen. „Das ist der Preis dafür, dass wir die Gringos kopiert haben“, kommentiert ein junger Chilene die Situation.
Freitagabend. Halb acht. Der rote Vorhang fällt. Der Film ist zu Ende. Applaus. Das Licht geht an. Olaf betritt mit Steen vom Colectivo Presente den Raum. Langsam kommen wir zurück in die Realität. Der Kinosaal ist bis auf den letzten Platz belegt. Viele Latinos sitzen im Publikum. Fragen werden gestellt. Antworten gegeben. Zweisprachig versteht sich. Olaf übersetzt. Eine angeregte Diskussion entsteht. Unterschiedliche politische Positionen, Generationen und Länder begegnen sich. Die Kommunikation verläuft offen, interessiert und respektvoll. Vor allem die Aussagen der Jugendlichen im Film vermitteln eine Hoffnungsperspektive. Als Reaktion auf eine neue, veränderte Realität entdecken sie alternative Formen des Widerstands außerhalb der Logik des Systems. Selbstorganisation im kleinen Rahmen ist die Devise.
Das Colectivo lenkt unsere Aufmerksamkeit auf ein Phänomen, das in aller Stille begann. Die neoliberale Globalisierung. Darüber hinaus wird eine andere Seite der Militärdiktatur gezeigt, nämlich der in ihr begründete strukturelle Wandel der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die Intention des Films ist es also nicht, das Chile „30 Jahre nach dem Putsch“ zu zeigen, sondern vielmehr den Missbrauch des Landes als „Versuchslabor neoliberaler Globalisierung“. In Gedanken bei der Frage, ob Pinochets Regime nun seine Fortsetzung in der ökonomischen Diktatur multinationaler Konzerne gefunden hat, erheben wir uns aus den Kinosesseln.
Die steigenden Besucherzahlen in den letzten Jahren bestätigen das Konzept der Festivalorganisatoren. An manchen Abenden droht das Kino mit seinen 96 Sitzen aus allen Nähten zu platzen. Dabei scheint gerade die sehr persönliche und herzliche Atmosphäre des 3001-Kinos im dynamischen und multikulturellen Schanzenviertel das Erfolgsrezept dieses netten kleinen Festivals zu sein. Das formulierte Doppelziel der drei Organisatoren, einerseits ein grundsätzliches Interesse für lateinamerikanische Filme zu wecken und andererseits ein bereits existierendes Publikum zu bedienen, scheint erreicht. Mission der filmpolitischen Intervention für diesen Abend erfüllt.
Samstagabend. Kurz nach elf. Jorge Pales erzählt uns von seinem Film „San José de Apartadó – Ohne Waffen in Kolumbien“. Der chilenische Filmemacher lebt seit dem Jahr 2000 in Berlin. Er studierte in Chile Kunst und Film. In seiner Dokumentation „San José de Apartadó – Ohne Waffen in Kolumbien“ beleuchtet er die Komplexität des seit Jahrzehnten herrschenden Konflikts aus der Sicht eines kleinen Dorfes. 1997 besetzten vertriebene Bauern ein Stück Land. Dort gründeten sie die Friedensgemeinde San José de Apartadó und erklärten ihre Neutralität. Als eines der wenigen Dörfer steht die Gemeinde nicht mehr unter der Kontrolle einer bewaffneten Gruppe (staatliche Militärs, Paramilitärs, Guerilla – die Red.) und ist deshalb Übergriffen von allen Seiten ausgesetzt.
Wie kamst du auf die Idee, diesen Film zu machen?
Für die Dreharbeiten zu einer Reportage über kolumbianische Gewerkschafter reiste ich mit einem Filmteam nach Medellín. Dort berichtete uns während eines Interviews Gloría Cuartas, ehemalige Abgeordnete der Region Urabá, von den außergewöhnlichen Ereignissen in der Friedensgemeinde San José de Apartadó. Die Idee der BewohnerInnen, einen neuen Weg des Widerstands im kolumbianischen Konflikt zu beschreiten, veranlasste uns dazu, in dieses Dorf zu fahren. Wir hatten keine klaren Vorstellungen darüber, was uns dort erwarten würde, und fanden uns in der Realität einer unabhängigen, autonomen Gemeinschaft wieder.
Wie reagierten die DorfbewohnerInnen darauf?
Wir wurden sehr herzlich aufgenommen, schließlich kamen wir auf Empfehlung einer bekannten Person. Die Menschen waren froh, dass wir ihren Alltag dokumentierten und dadurch ihre Situation nach außen tragen. Projekte wie dieser Film stellen letztlich einen wichtigen Beitrag dar, um international Aufmerksamkeit zu erregen. Wir konnten nur drei Tage in der Friedensgemeinde bleiben – das war wahrscheinlich auch unser Glück. Wären wir länger dort gewesen, hätten wir bestimmt das Misstrauen der Konfliktparteien geweckt.
Hatten die DorfbewohnerInnen keine Angst vor möglichen repressiven Konsequenzen, die mit dem Film verbunden sein könnten?
Die Angst ist in Kolumbien seit Jahrzehnten Teil des alltäglichen Lebens, das heißt, sie ist die Basis aller sozialen Beziehungen. In San José müssen die Menschen aus Angst vor Übergriffen ihr Territorium sogar nachts überwachen. Dennoch stehen sie über dieser Angst. Indem sie sich ihr stellen, überwinden sie die aus der permanenten Bedrohung resultierende Konfrontation mit dem Tod. Anders wäre ein einigermaßen normales Leben nicht möglich. Deshalb war es für sie auch kein Problem, sich filmen zu lassen.
Drei Tage sind sehr wenig Zeit. Wie verlief der Dreh?
Da sich die Situation zu den Aufnahmen spontan ergeben hatte, existierte kein Drehbuch. Während der kurzen Zeit, die wir im Dorf hatten, begleitete ich die BewohnerInnen mit der Kamera. So entstanden fünf Stunden Material, die ich in Deutschland geschnitten habe. Den Ton – z.B. die intensiven Urwaldgeräusche im Hintergrund – habe ich genau so belassen, wie er aufgenommen worden war. Vor Ort wurde mir schnell klar, dass die Geschichte nur aus der Perspektive der Menschen erzählt werden kann und nicht durch eine Erklärung der komplexen Situation von außen. So sprechen die Bilder für sich.
Hast du eine persönliche Philosophie des Filmens, also gibt es Aspekte, die dir beim Drehbuchschreiben, Filmen etc. besonders am Herzen liegen?
Ich glaube es ist sehr wichtig, dass der Film dem Zuschauer genügend Raum für einen eigenen Reflexionsprozess über Gesehenes zugesteht. Der Autor soll dem Zuschauer also nicht einfach seine persönliche Analyse der Realität als fertig geschnürtes Paket – in diesem Fall als Film – servieren, der Zuschauer dieses konsumieren und dann darüber entscheiden, ob er der gleichen Meinung ist oder nicht. Deshalb ist das Ziel, die Realität in ihrer Ambivalenz darzustellen, statt eine wertende Zweiteilung in Gut und Böse vorzunehmen. Dies ist also meine ethische und ästhetische Position, die auch diesem Film zugrunde liegt. Es wäre allerdings übertrieben zu behaupten, dass eine besonders tief greifende Überlegung und Planung dahinter stecken würde. Das liegt einerseits an der kurzen Drehzeit und andererseits daran, dass ich viel zu wenig Ahnung von dem Konflikt habe. Schon allein aus diesem Grund wäre es eine Anmaßung, als Erzähler jener Realität aufzutreten. Während des Drehs gab es zwei Ansprüche, denen ich versuchte gerecht zu werden. Einmal wollte ich bezüglich der Erzählung bzw. der Erklärung der Situation möglichst viel Distanz wahren und stattdessen die Bilder und die Menschen sprechen lassen. Darum gibt es in dem ganzen Film auch keine Stimme aus dem Off, keinen Erzähler. Auf der anderen Seite war es mir sehr wichtig, über die Bilder möglichst viel Nähe zu den Menschen aufzubauen.
Wo wurde der Film bisher gezeigt und wie war die Resonanz?
Erstmals wurde der Film am 2. Dezember 2005 auf einer Veranstaltung in Berlin-Wedding gezeigt. Die Organisation Peace Brigades International, die auch in Kolumbien tätig ist, hat in diesem Rahmen Wilson David, einen Repräsentanten von San José, eingeladen. Er war sehr angetan von dem Film und hofft, dass ihn möglichst viele sehen. Die Präsentation heute in Hamburg war die zweite. Das Publikum reagierte bisher durchweg positiv. Ich glaube, der Film ist ein gutes Instrument, um die lateinamerikanische Realität, die neuen sozialen Bewegungen und die Formen der Selbstorganisation ein bisschen besser zu verstehen. Vorläufiges Ziel ist es nun, den Film auf möglichst vielen Festivals, gerade auch in Lateinamerika, zu präsentieren. Eine größere bzw. kommerziellere Verbreitung des Films halte ich eher für unwahrscheinlich, schließlich hält er die Konventionen typischer Fernsehformate nicht ein.
Wie steht es um den lateinamerikanischen Film?
In Lateinamerika ist es ziemlich schwierig, Filme zu machen. Dies liegt wohl daran, dass der Film eine Kunst ist, die sehr vieler technischer Mittel bedarf. Mit der Digitaltechnik ist heute vieles einfacher geworden. In Lateinamerika haben aber dennoch viel weniger Menschen als in Europa Zugang zu den erforderlichen Mitteln. Dies ist auch einer der Gründe, warum ich hier in Deutschland lebe. Gerade Dokumentarfilme sind in Lateinamerika sehr schwer zu finanzieren. Trotzdem gibt es meiner Ansicht nach besonders auf diesem Gebiet sehr gute Produktionen. Der chilenische Filmemacher Patricio Gúzman (von dem z.B. der Dokumentarfilm „Salvador Allende“, 2004, ist – die Red.) hat zum Beispiel einige sehr schöne Filme gemacht.
Was bedeutet das Genre Dokumentarfilm für dich persönlich?
Dokumentarfilme stellen eine unabhängige und sehr lebendige Gattung dar, die sich in kein klares Regelwerk pressen lässt. Dokumentarfilme leben von der Kreativität und der künstlerischen Freiheit. Sie haben die Kapazität, die konventionelle Filmsprache umzustürzen, sie neu zu erschaffen und auszulegen. Damit stellt der Dokumentarfilm eine Art ständiges Experiment dar und genau dies ist die Quelle seines Reichtums. Da er oft mit Konventionen bricht und somit nicht mehr dem gewöhnlichen Fernsehformat entspricht, bleibt er ein eher marginales Medium mit begrenzter Plattform. Eine Besonderheit des Dokumentarfilmes ist auch, dass die Drehs oft sehr lange dauern, manche sogar Jahre. Dadurch entsteht ein ganz anderes Gefühl von Zeit. Ein gutes Beispiel dafür ist meiner Meinung nach die bedeutende neunstündige Dokumentation „Shoa“ von Lanzmann.
Gab es Ereignisse oder Momente während der Dreharbeiten, die dich besonders bewegt haben?
Mich beeindruckt sehr, dass die Bauern aus San José nach einer eigenen Antwort auf den bestehenden Konflikt gesucht und sie letztlich auch gefunden haben. Eine friedliche Antwort. Als Friedensgemeinde haben sie sich für neutral erklärt und unterstützen weder die eine noch die andere Konfliktpartei. Außerdem finde ich es bemerkenswert, wie bewusst die DorfbewohnerInnen ihre Realität wahrnehmen. Mit welcher Klarheit und Überzeugung beispielsweise der zwölfjährige Junge in der Szene der Nachtwache das Prinzip der Neutralität erklärt. Das ist schon beeindruckend.
Wie siehst du die Zukunft von San José und wie deine eigene?
Die Zukunft der Gemeinde sehe ich mit großer Hoffnung. Meiner Meinung nach ist sie ein Beispiel für eine gelungene Organisation der Selbstverwaltung, der Suche nach einem anderen Weg der sozialen Transformation, einer neuen Form des Dialogs. Die EinwohnerInnen von San José haben mit der Ideologie des Krieges und der Konfrontation gebrochen. Ihre einzige Waffe ist ihre Stimme. An anderen Orten in Lateinamerika zeigen sich ähnliche Ansätze. Die Entwicklungen in San José sind also kein rein kolumbianisches Phänomen, was mich optimistisch stimmt. So existiert ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass es notwendig ist, die Autonomie dieser Gemeinde zu respektieren, sie anzuerkennen und zu unterstützen.[fn]Am 21. Februar 2005 wurden einige der Gemeindeführer und deren Familien grausam ermordet. Als unter dubiosen Vorwänden die Staatsmacht in die Friedensgemeinde eindrang, beschlossen die BewohnerInnen am 1. April 2005, das Dorf zu verlassen. Seitdem leben etwa 70 Familien in San Josecito, einem kleinen Gehöft nahe San José de Apartadó. Kontakt: www.cdp-sanjose.org . Siehe auch Eine gefährdete Friedensinsel in dieser ila 292.[/fn] Bezüglich meiner eigenen Zukunft habe ich noch keine konkreten Pläne. Das einzige, was ich sicher weiß, ist, dass ich weiterhin Filme machen will. Momentan nehme ich zwar an verschiedenen Filmprojekten teil und arbeite auch an eigenen, mein Überleben aber sichere ich mir durch einen Job.
Sonntagabend. Kurz vor sieben. Wir steigen in den Zug. Hinter uns liegt ein langes Wochenende… aufregend, abwechslungsreich, beeindruckend … und einfach nur schön.
San José de Apartadó – Ohne Waffen in Kolumbien, Kolumbien/Deutschland 2005, Regie/Kamera: Jorge Pales, Schnitt: Christian Beuckert, Interviews: Barbara Schönafinger, Texte: Laura Paetau, 57 min, OmU.
Las grandes alamedas – Die großen Alleen, Chile/Deutschland 2005, colectivo presente, 76 min, OmU. Gast / Invitado: Colectivo Presente