Die beiden, die da Zwiesprache halten, sind zwei Hunde. Sultan ist „eine Art jakobinischer Sansculotte mit langen Haaren und kurzem Verstand“. Er ist der Hund des „Allmächtigen“, des ewigen Diktators, in dem Buch Ich der Allmächtige, dem Meisterwerk von Augusto Roa Bastos. Dort beschreibt er auf über 500 Seiten in einem vielstimmigen Chor und zugleich in einem einzigen Monolog das Leben von José Gaspar Rodríguez de Francia. Diesen Dr. Francia hat es wirklich gegeben. Er herrschte von 1814 bis 1840 über Paraguay – ab 1811 war er Mitglied der ersten unabhängigen Junta, 1813 wurde er zusammen mit Yegros zum Konsul nach römischen und napoleonischem Vorbild gewählt und 1814 dann zum Supremo Dictador ernannt. Er war unglaublich belesen, Anhänger der französischen Revolution, er ließ seine wirklichen und eingebildeten Feinde unbarmherzig verfolgen, ein gewiefter Politiker, der mit Paraguay den ersten unabhängigen Staat Südamerikas schuf – gegen spanische, argentinische und brasilianische Herrschaftsansprüche. Paraguay erreichte unter seiner Herrschaft einen gewissen Wohlstand und blieb durch Francias Politik bis weit nach seinem Tod vom Rest der Welt isoliert. Bis heute wird er von den einen als blutrünstiger Tyrann verteufelt, von anderen als Begründer des paraguayischen Nationalbewusstseins gefeiert. Roa Bastos gelingt es nicht nur, die vielfältigen und widersprüchlichen historischen Überlieferungen alle in einen Roman zu verflechten, sondern auch den Mythos Francia zu verarbeiten, mit dem Eltern in Paraguay bis heute ihre Kinder erschrecken: „Wenn du nicht brav bist, holt dich der Karaí Guasú (der große Herr).“ Das Buch ist keine romanhafte Biographie des allerhöchsten Diktators, auch kein historischer Roman, obwohl er die Figur und die Zeit wohl besser beschreibt, als es jede geschichtliche Abhandlung könnte.
Auf den ersten Blick scheint das Buch ein unendlicher Monolog des Diktators zu sein, der seine Gedanken diktiert. Es gibt keine Kapitel, es ist eine Aneinanderreihung von Textpassagen unterschiedlichen Umfangs, die manchmal einen Titel haben und manchmal nicht. Vier grundsätzliche Unterteilungen sind erkennbar: Das Ewige Rundschreiben, in dem der Diktator sich mit Ratschlägen und Anordnungen an alle Funktionäre des Staates wendet (und nebenbei die Geschichte auf seine Art umschreibt); das private Tagebuch, das sehr persönliche Gedanken, Zweifel, Allmachtsfantasien, die Zweiheit/Einheit seiner Selbstwahrnehmung umfasst: Der Allmächtige ist nämlich zugleich das private Ich und das offizielle Er. Der Rest ist ein Monolog/ Dialog zwischen Francia und seinem Sekretär, dem er seine Gedanken und Anordnungen diktiert, und auf der vierten Ebene – mal wie Fußnoten abgesetzt, mal in den Text integriert – finden sich eine Fülle von Anmerkungen, meist Zitate aus anderen Texten, echten und erfundenen, alle von einem imaginären Kompilator angefügt, der sich am Schluss zu erkennen gibt: Er habe aus Tausenden von Papieren, Akten, handschriftlichen Aufzeichnungen, Zeitungen, Korrespondenzen und Tonbandaufnahmen das Buch zusammengesetzt, ohne selbst etwas hinzuzufügen. „Dieser Text wurde zuerst gelesen und dann geschrieben.“ Kein leichter Stoff, aber ungemein faszinierend.
Zurück zu den Hunden. Heros ist der Hund Velascos, des ebenfalls historischen paraguayischen Gouverneurs, der, von den Spaniern eingesetzt, zunächst auch nach der Revolution die Regierungsgeschäfte weiterführte und 1811 aufgrund von Konspiration mit den Spaniern und Portugiesen aller Ämter enthoben wurde. Mit beiden Hunden führt der Allmächtige lange Zwiegespräche, sie sind die einzigen, die ihm widersprechen. Was Heros erlebt, „wie gut man sich fühlt, wenn man sich als ein anderer entdeckt“, das erlebt auf einer metaphysischen Ebene auch der Allmächtige. Er hasst die Frauen, vor allem ihre Sexualität. „Fleischlicher Mief des Geschlechts“, meint er verächtlich, deshalb fordert er von seinen Militärs und Beamten lebenslanges Zölibat, wie er es sich selbst ebenfalls auferlegt hat. Folgerichtig erschafft er, der Mann, sich selbst. „Die einzige ernsthafte Mutterschaft wäre die des Mannes… Ich konnte ohne Frau, durch die alleinige Kraft meines Denkens gezeugt werden.“ Er selbst erschafft sein Doppel (Ich und Er) und er erschafft auch seinen Staat: Er ist der Vater/ Übervater aller ParaguayerInnen.
Es geht also um Psychologie. Und um Geschichte. Aber auch ums Schreiben, die Unmöglichkeit, den Augenblick im Geschriebenen festzuhalten. Und um die Freiheit, die von Solon, Rousseau, Montesquieu, Voltaire, Diderot. Und um Gleichheit, Brüderlichkeit: „Ich verfasste die gleichen Gesetze für Arme und Reiche. Ich ließ sie rücksichtslos berücksichtigen… Ich hob das uneigentliche Privateigentum auf und machte es zum Gemeineigentum, was das eigentliche ist.“ Aber es geht auch um Magie: Hunde sprechen, Menschen verwandeln sich in Steine, Totenschädel fluchen, geschlechtslose Doppelwesen bevölkern plötzlich die Stadt.
Der erste veröffentlichte Roman von Roa Bastos, der in seiner großen Paraguay-Trilogie zeitlich an zweiter Stelle kommt, ist Menschensohn. Hier geht es um die Zeit vom Bauernaufstand 1912 bis nach dem Chacokrieg (1932-35). Läuft bei Ich der Allmächtige alles neben-, in- und übereinander, so handelt es sich hier um zehn einzelne, in sich abgeschlossene Geschichten/Kapitel. Geht es bei Ich der Allmächtige um einen, so geht es in Menschensohn um viele, deren Beziehungen unter- und miteinander erst nach und nach zum Vorschein kommen. Im ersten Kapitel lernen wir Macario Francia kennen, Landstreicher, Sohn eines Freigelassenen des Diktators, und seinen Neffen Gaspar Mora, einen genialen Instrumentenbauer, der an der Lepra stirbt und seinem Dorf eine Christusstatue hinterlässt. Das zweite Kapitel handelt von Alexis Dubrowsky, einem russischen Migranten, auch Doktor genannt, der dann spurlos verschwindet (er taucht erst in einem anderen Roman von Roa Bastos, Gegenlauf, unter anderem Namen wieder auf). Im dritten reist Miguel Vera, noch als Kind, mit der Eisenbahn nach Asunción. Das vierte Kapitel spielt in den Matepflanzungen in Takurú-Pukú, wo unter sklavenähnlichen Bedingungen ArbeiterInnen ausgebeutet werden und den beiden ProtagonistInnen, dem Paar Casiano und Natividad Jara, nur durch ein Wunder die Flucht vor den grausamen Aufsehern und ihren Bluthunden gelingt. Im fünften Kapitel kommt dann Miguel Vera, der als Kind bereits im dritten Kapitel auftauchte, nach Hause – und wird von Cristóbal Jara, dem Sohn des Paares aus dem vorhergehenden Kapitel, in die Vorbereitung eines Aufstandes hineingezogen.
Kapitel Nummer sechs erzählt von der Siegesfeier derjenigen, die den Bauernaufstand von 1931 niederschlagen haben, und von mutigem Widerstand: Es sind Frauen (Frauen als Protagonistinnen sind eine Seltenheit bei Roa Bastos), Limonadenverkäuferinnen, die es mit List und Mut schaffen, den verletzten, durstenden Aufständischen, die in Viehwaggons abtransportiert werden, trotz ausdrücklichem Verbot wenigstens ihre Limonade geben zu können. Das nächste Kapitel ist keine Erzählung, sondern besteht aus den Tagebuchaufzeichnungen von Miguel Vera, der im Suff den Aufstand verraten hat. Der Leser erfährt bruchstückhaft von seinem Leben in der Militärstrafkolonie, bis alle dort in den Chacokrieg eingezogen werden. Wie die Rebellen es richtig einschätzen: Es ist ein Stellvertreterkrieg. Zwar stehen sich die Heere Boliviens und Paraguays gegenüber, tatsächlich geht es um die Interessen zweier Erdölgesellschaften, der Standard Oil und der Royal Dutch, weil im Chaco angeblich riesige Ölreserven unter der Erde gefunden wurden. Trotzdem gehen alle in den Krieg und kämpfen mit patriotischer Begeisterung.
Die unglaublichen Grausamkeiten des Krieges, der 80 000 BolivianerInnen und 50 000 ParaguayerInnen das Leben kostete, werden eindringlich beschrieben, sowohl in diesem Kapitel, das mit dem verdurstenden Bataillon von Miguel Vera endet, als auch im achten Kapitel, wo Cristóbal Jara (der aus Kapitel fünf) einen Sonderauftrag bekommt, denn auch er ist, wie fast alle Männer, eingezogen worden. Cristóbal Jara schlägt sich mit übermenschlicher Tapferkeit – manche Interpretationen sehen in ihm den wahren Helden des Menschensohn – bis zu den hinter den feindlichen Linien Verdurstenden durch. Dass es sich dabei um das Bataillon von Miguel Vera handelt, der als einziger überlebt, erfährt die Leserin erst nebenbei im letzten Kapitel. Das vorletzte Kapitel, „Verbranntes Holz“, ist die Erzählung der Aufseherin des Dritten Ordens über die Geschehnisse in dem Dorf Itapé, als alle Männer im Krieg waren und der Bürgermeister Melitón sich nacheinander aller Frauen des Dorfes bemächtigte. Das letzte Kapitel ist die Geschichte von Crisanto Villalba, einem weiteren Helden des Chacokriegs, der „aus dem schönen Krieg“ nicht ins Alltagsleben zurückfindet und dessen kleiner Sohn Cuchui – auch er ein Menschensohn – am Ende Miguel Vera, der inzwischen Bürgermeister von Itapé geworden ist, beim Spielen mit dessen Pistole erschießt. Vielleicht hat sich Vera aber auch selber erschossen.
Dieses Buch beschreibt den Chacokrieg und die Daheimgebliebenen sowie die desaströsen Auswirkungen dieses Krieges. Aber es ist auch eine Parabel Paraguays, einer kontinuierlich ausgebeuteten Bevölkerung, eine endlose Geschichte von Unterdrückung, Aufruhr und Repression, die als eine Kette unaufhörlicher Niederlagen gesehen wird, dennoch gibt es keine Alternative zur Rebellion. Das Buch wirkt auf den ersten Blick wie Stückwerk, das sich erst im Nachhinein zu einer Geschichte fügt, als die Ärztin Rosa Monzón, die vorher kaum in einem Nebensatz auftaucht, die letzten Sätze von dem schreibt, was sich als Manuskript von Miguel Vera entpuppt: ein Haufen zerknüllter, ungleich großer, auf der Rückseite mit dem Briefkopf des Gemeindeamtes versehener Blätter. Rosa Monzón gleicht hier dem namenlosen Kompilator aus Ich der Allmächtige. Beide Romane sind Ich-Erzählungen und brauchen doch einen Boten, Roa Bastos, der aber nicht als zeitgenössischer Autor, sondern als Teil der Geschichte auftritt, mal als namenloser Kompilator, mal als Rosa. Die Geschichte verläuft nicht linear, sondern stockend, mit Wiedererzählungen derselben Episoden aus unterschiedlichen Blickwinkeln, mit weißen Flecken, plötzlich Verschwundenen und verschiedenen Versionen derselben Geschichte. Die Christusfigur des leprösen Gaspar Mora ist das eindringlichste Symbol des Buches. Diese Christusfigur (auch ein Menschensohn), die der Pfarrer verbrennen lassen wollte, wird von den Dorfbewohnern am Karfreitag „wie ein Opfer, das es zu rächen gilt“ in den Vorhof der Kirche getragen. „Entweder Christus war Gott, dann konnte er nicht sterben. Oder er war Mensch, dann war sein Blut vergeblich geflossen, ohne sie zu erlösen, denn es war ja alles nur schlimmer geworden.“
Augusto Roa Bastos, der große Teile seines Lebens im Exil in Argentinien und Frankreich verbrachte, beschäftigt sich in all seinen Romanen und Erzählungen (außer in Die Nacht des Admirals, wo es um Kolumbus geht) mit Episoden aus der paraguayischen Geschichte. In den Büchern aus seiner letzten großen Schaffensperiode El fiscal (1993), Contravida (1994, deutsch Gegenlauf) und Madama Sui (1995) geht es um die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. El fiscal ist der dritte Teil seiner großen Paraguay-Trilogie. Contravida erzählt von der Flucht eines Aufständischen aus dem Gefängnis zur Zeit der Stroessnerdiktatur, der als einziger Überlebender einer Massenhinrichtung für tot erklärt wird und den nun eine Odyssee durch die Gegenwart in die Vergangenheit treibt. In diesem Buch tauchen einige Figuren aus Menschensohn wieder auf, u.a. Maria Regalada, die Totengräberin, und Cristóbal Jara. Die überaus lebendigen Figuren aus seinen Romanen und Erzählungen erscheinen immer wieder mal in anderen – manchmal nur flüchtig, in einem Nebensatz, manchmal als Protagonisten wie in Gegenlauf und Madama Sui. Und der Autor spielt damit: So beklagt sich in Ich der Allmächtige der Diktator darüber, dass sein Patenkind Macario verschwindet: Er verschwand als lebendiges Wesen … später tauchte er in einem dieser abscheulichen Romänchen wieder auf.“ Das abscheuliche Romänchen ist Menschensohn. Auch Madama Sui erzählt die Geschichte von jemandem, den es in Paraguay wirklich gegeben hat: In den 60er und 70er Jahren lebte Madama Sui in Paraguay. Halb Japanerin, halb Criolla, war sie eine der Geliebten des Diktators Stroessner und starb mit nur 20 Jahren. Aber auch dieser Roman ist keine Biographie und keine geschichtliche Abhandlung.
Nicht nur Figuren aus seinen Romanen tauchen in anderen wieder auf, auch Bilder, Symbole und Metaphern wiederholen sich, z.B. die Vögel, die rückwärts fliegen, Symbol dafür, dass das Unmögliche möglich ist: Sie fliegen auf der ersten Seite von Die Nacht des Admirals „weiter im Kreis vorüber, immer mit dem Schwanz in der umgekehrten Richtung“. „He! Wachsen die Bäume nach unten? Fliegen die Vögel rückwärts? Wird das gesprochene Wort nass?“, fragt der Allmächtige in Ich der Allmächtige, nur um damit zu bestätigen, dass er tot ist und sich trotzdem weiter auf den Beinen hält. Madama Sui träumt von Schwalbenschwärmen, die rückwärts fliegen. Die Eisenbahn ist ein weiteres, sich wiederholendes Element. In Paraguay fuhr Südamerikas erste Eisenbahn, kurz nachdem in Europa die ersten Eisenbahnen gebaut wurden. Die Eisenbahn fährt durch fast alle Geschichten von Menschensohn, während des Bauernaufstandes 1912 explodiert ein Zug in Sapukai und reißt 2000 Menschen in den Tod, die Eisenbahn transportiert Miguel Vera in die Hauptstadt und die Fremden (z.B. den Gringo) aufs Land. Die Jaras leben in einem der Waggons, den die Explosion von 1912 bis ans Ende eines toten Gleises geschleudert hat, und dieser Waggon bewegt sich immer weiter über die rissige Steppe. Mit der Eisenbahn fahren die Rekruten in den Krieg und mit ihr kommen die wenigen Überlebenden zurück. Auch in Gegenlauf spielt ein Zug eine große Rolle. Drei Tage und drei Nächte fährt der Protagonist mit dem Zug in die Vergangenheit, nach Hause, in den Tod.
Manchmal taucht auch der Autor selbst in seinen Romanen auf, mal mit Kindheitserinnerungen, mal mit Reflexionen über das Schreiben, aber immer bleibt ein Zweifel: Ist das jetzt Roa Bastos oder der Ich-Erzähler, der spricht? Roa Bastos selbst betrachtet sich nicht als Geschichtsschreiber, wohl aber Paraguay und seine besondere Geschichte als sein Thema. Dieses kleine Land, „eine Insel mit Land drum rum“, seine Isolierung, die Geschichte von vernichtenden Kriegen, Aufständen, Niederschlagungen, Diktaturen und den Menschen, die nicht aufgeben, obwohl sie keine Hoffnung haben. „Die Geschichte Paraguays ist über einen langen Zeitraum von den Siegern geschrieben worden und wir wissen, wie die Sieger die Geschichte schreiben.“ „Ich fühlte mich verlassen… in diesem Land ohne Literatur, ohne Geschichte, aber auf der anderen Seite fühlte ich mich merkwürdig frei, [seine Geschichte] zu erfinden und mir vorzustellen.“ „Deshalb habe ich die Dokumente, die normalerweise benutzt werden, um die geschichtlichen Tatsachen verschieden zu interpretieren, anders benutzt. Ich fand, sie konnten mir nur als Rohstoff dienen, um Geschichte als Fiktion wiederzuerzählen“(Roa Bastos 1982 bei „Semana de Autor“ des Instituto de Cooperación Iberoamericana zu seinen Ehren).
Ein zweites Thema, das Paraguay und Roa Bastos’ Werk bestimmt, ist die Zweisprachigkeit. Paraguay ist offiziell zweisprachig: Spanisch und Guaraní. Spanisch gilt als Hoch- und Schriftsprache, aber 80 Prozent der Bevölkerung sprechen Guaraní. Roa Bastos sagt selbst in seinem Nachwort zu der überarbeiteten Fassung von Menschensohn: „In der Literatur dieses Landes zwingen die Eigenheiten seiner zweisprachigen Kultur… die paraguayischen Schriftsteller, wenn sie Spanisch schreiben, die Klänge einer noch nicht ausformulierten, jedoch im gefühlsmäßigen und mythischen Strom des Guaraní gegenwärtigen Rede zu hören.“ Wie er selbst sagt, hat er das bei seinen ersten Büchern Die Nacht der treibenden Feuer und auch im Menschensohn über einfache Vermischung von Wortschatz und Satzbau des Jopara (spanisch-paraguayische Umgangssprache) versucht, über Einsprengsel in Guaraní in den Dialogen (mit einem Glossar am Ende), aber auch durch das Einarbeiten von Guaraní-Mythen und -Vorstellungswelt in die Geschichten. In seiner Überarbeitung von Menschensohn und in Ich der Allmächtige ist er darüber hinausgegangen. Er hat die Menschen nicht nur im Guaraní-Kosmos sprechen, sondern auch darin denken und handeln lassen. Im Falle von Ich der Allmächtige denkt der Diktator sich, Solon, Montesquieu und Voltaire im Guaraní-Kosmos. Das ist das Mestizentum, das Roa Bastos meint und das übrigens der reale Francia mit aller Macht vorantrieb, z.B. durch das Verbot für ansässige Spanier und Europäer, untereinander zu heiraten. Erlaubt waren nur Eheschließungen mit Mulattinnen, Schwarzen oder Indianerinnen.
Schade, dass von Roa Bastos’ umfangreichem Werk nur vier Romane und ein Band mit Erzählungen auf Deutsch erschienen sind. Die Bücher seiner letzten Schaffensperiode, u.a. Gegenlauf und Madama Sui, sind wunderbare Bücher. Er schreibt eine ganz andere Prosa, der barocke, ausgreifende, verschnörkelte Stil ist kurzen, einfachen, fast lakonischen Sätzen gewichen. Und in Madama Sui scheint fast ein anderer Autor am Werk: Er schreibt erstmals aus der Sicht einer Frau, es ist ein sensibles, eindringliches Buch, das ganz neue Elemente (lesbische Liebe, japanische Kultur) in den Roa Bastos-Kosmos einbringt. Aber auch hier geht es um die paraguayische Geschichte, um einen Diktator, Stroessner, „dessen Tyrannei… auf dem Faschismus und dem Nationalsozialismus basierte und diese Gewaltregime nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges weiterführte, … die längste und grausamste Tyrannei, die Südamerika in diesem Jahrhundert verdunkelte“ (Roa Bastos im Vorwort). Auch hier geht es um Gewalt, Auflehnung, Verfolgung und Folter, nämlich in der Gestalt von El/ER, der einzigen Liebe von Sui, und es geht um eine Frau, die als Prostituierte arbeitet, ein weiteres Thema, das in mehreren seiner Bücher und Geschichten vorkommt. Aber hier wird die Prostitution zum Symbol für die Entwürdigung und Korrumpierung einer ganzen Gesellschaft. ER und Sui entkommen der Prostitution. Sie entkommen den Verfolgern. Sie verschwinden in den Flammen des Tarumá-Baums.