„Willkommen in Nicaragua.“ Mit diesen Worten begrüßt eine Schrifttafel am Flughafen die Ankommenden in Managua und lädt direkt zu einer kleinen Reise in die Geschichte des Landes ein, denn der Flughafen trägt den Namen des Nationalhelden Augusto César Sandino, des widerständischen Generals.
In den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts kämpfte dieser General Sandino mit seinem Heer zur Verteidigung der nationalen Souveränität gegen die nordamerikanischen Besatzungstruppen. Nach deren Abzug im Jahr 1933 legte Sandinos Armee die Waffen nieder. Im Februar 1934 wurden der General und seine Offiziere in einem Hinterhalt umgebracht. Sandino gilt noch heute als Freiheitskämpfer, als Held, über viele Generationen hinweg.
Auch die Aufständischen der 70er-Jahre, die den verhassten Diktator Somoza zu stürzen vermochten, kämpften in der Tradition des General del hombre libre, des Generals des freien Menschen. Seiner Tradition verpflichtend nannten sie sich Frente Sandinista de Liberación Nacional, FSLN, die nationale sandinistische Befreiungsfront.
In Gedichten, Liedern, in Bildern und Skulpturen ist Augusto César Sandino noch heute überall im Land präsent, auch in der Hauptstadt Managua. Dort steht das Abbild des Generals weithin sichtbar im Zentrum auf dem Kraterrand der Tizcapa Lagune, unverkennbar an seinem leicht eingebeulten Cowboyhut.
Neuerdings werden Ankommende von einer Wärmebildkamera am Flughafen kontrolliert, bevor sie den Einreisestempel in den Pass erhalten. Damit will sich das Land vor ansteckenden Krankheiten schützen. Menschen mit auch nur leicht erhöhter Temperatur müssen damit rechnen, unter Quarantäne gestellt zu werden.
Ist alles in Ordnung, öffnet sich mit dem Einreisestempel im Pass das Tor zu einem quirligen Leben. Laut, heiß, hektisch und doch getragen von Leichtigkeit. Am Flughafenausgang zischelt es mehrstimmig „Taxi, Taxi, Taxi“ und schon wenige Schritte außerhalb des tiefgekühlten Gebäudes beginnt ein schweißtreibendes Leben, ein Leben, in dem verschiedenste Zeitepochen und Welten sich scheinbar berühren und doch vehement das Nebeneinander hochhalten. Es genügt ein Blick auf die Carretera Norte, die Ausfallstraße direkt vor dem Flughafen, die die Hauptstadt Managua mit dem Norden des Landes verbindet, meist vier-, manchmal aber auch sechsspurig. Auf ihr überholen neueste Luxuslimousinen alte, klapprige Pferdekutschen, motorisierte Dreiradrikschas oder überfüllte alte US-amerikanische Schulbusse, die noch immer eines der wichtigsten Transportmittel für die ärmeren Menschen des Landes sind.
Über eben diese Nordachse führt der Weg in die Stadt mit ihren rund 1,5 Millionen EinwohnerInnen und geleitet ins Zentrum, immer dem Weg Richtung Managuasee folgend, dorthin, wo es einmal zumindest Ansätze einer Altstadt gegeben hat, vor mehr als 40 Jahren, bevor 1972 ein Erdbeben gnadenlos die Stadt erschütterte, so vieles dort zunichtemachte und mehr als 5000 Menschen unter sich begrub. Noch heute sind Überreste jener erlebten Katastrophe nicht beseitigt. Noch heute gehören Ruinen und mit Unkraut bewachsene Felder zum Stadtbild und noch heute orientieren sich Adressangaben an Gebäuden, die vor dem Beben an dieser oder jener Ecke standen.
Daneben finden sich großflächig angelegte, moderne Malls, die Einkaufszentren für die Mittel- und Oberschicht, die ebenso wie die diversen Vier- oder Fünf-Sterne-Hotels der multinationalen Ketten in allen mittelamerikanischen Ländern gleich aussehen und in denen und deren Umfeld sich die Politik des Landes abspielt. Dort sind die Regierungsgebäude, die Botschaften, die Büros internationaler Organisationen, die Kongress- und Veranstaltungsräume.
Weiter gibt es die vielen informellen Händler, die an Kreuzungen Putzlappen, Handys, Scheibenwischer, Zeitungen oder was auch immer verkaufen wollen, oder die kleinen Verkaufsstände, bestückt mit Papayas, Melonen, Ananas, mit Apfelsinen oder Limonen, mit süßen, saftigen gelben Mangos oder den kleinen grünen Mangos, die in Salz getunkt erfrischend schmecken. Andere bieten unzählige Keks- oder Chipspackungen an, aus Banane, aus Yucca, aus Mais oder Kartoffeln, salzig oder scharf.
Umgeben von hupenden Autos und von rufenden und rastlosen Menschen, fühlt man sich auf diesem Weg ratlos auf der Suche nach einem Altstadtkern. Wo ist sie, die Seele der Stadt, wo liegt sie verborgen inmitten des ziellos erscheinenden Treibens?
Liegt sie in einem der über die ganze Stadt verstreuten Armenviertel oder inmitten der engen Gänge, die durch den Mercado Oriental führen? Diesen größten Markt der Stadt, auf dem noch immer alles zu bekommen ist, auch das, was einem vielleicht am Tag zuvor aus einer Tasche, aus dem Auto, dem Rucksack oder was auch immer „abhanden“ kam. Oder liegt diese Seele im Umfeld der Plaza de la Revolución, dem Revolutionsplatz, der früher Plaza de la República hieß? Dort stehen die Santiagokathedrale und der Nationalpalast, zwei der wenigen Gebäude, die vom Erdbeben 1972 weitestgehend verschont blieben. Dort kann auch noch die Ruine des alten Nationaltheaters bestaunt werden. Und dort lädt heute ein paar Meter weiter das neue Theater Rubén Darío zum Besuch ein. Die Stadt wächst und verändert sich im Zeitraffertempo und doch findet sich in all den Erneuerungen kein richtiges Zentrum. Und Managua wirkt wie ein zusammengestückeltes Ganzes, in dem die einzelnen Viertel nebeneinanderher leben und eher beiläufig zufällig zu einer einzigen Stadt gehören. Irgendwann beim Spaziergang durch die Hitze dieser Stadt klebt und juckt alles auf der Haut. Gegen dieses bunte Gemisch aus eigenem Schweiß, aus Unmengen von Abgasen und dem aufgewirbelten Staub der Sommerzeit hilft nur noch eine Dusche.
Egal von wo der Weg nach Managua führt, er ist beidseitig gepflastert mit überdimensionalen Werbetafeln, auf denen die schnellsten Computer, die erholsamsten Hotels, gute Tropfen, moderne Autos, luxuriöse Appartements versprochen werden. In regelmäßigen Abständen finden sich dazwischen, auf zartrosa Hintergrund gehalten, Fotos des etwas gealterten Präsidenten Ortega, der immer lächelnd seinen Untertanen zuwinkt und ihnen im Namen der FSLN ein christliches, ein soziales und sozialistisches Nicaragua verspricht. Manchmal ist Rosario Murillo als beifallklatschende First Lady neben ihm abgebildet.
Die revolutionäre Bewegung der 70er- und 80er-Jahre wirkt heute eher wie ein Familienunternehmen, dem es vor allem wichtig ist, die Hauptstadt in buntem Lichterglanz erscheinen zu lassen. An den Kreisverkehrsinseln der Stadt und den Hauptstraßen entlang zieren grellgelbe, als Bäume konstruierte Metallgerüste die Stad, rund 7 Tonnen schwer und 21 m hoch. Nach Einbruch der Dunkelheit erleuchten sie mit tausenden von Glühbirnchen die Straßen. Diese sogenannten Lebensbäume gelten als Lieblingsobjekt der First Lady.
Unweit des Regierungsviertels lächelt das überlebensgroße Portrait des verstorbenen ehemaligen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Auch er ist umgeben von einem kleinen Wald gelber Bäume. Schließlich verdankt die aktuelle Ortega-Regierung den aus dem ALBA-Bündnis geflossenen Öldollars viel.
Managua bedeutet in der Nahuatl-Sprache: „Wo es eine große Wasseroberfläche gibt“. Allein vier Lagunen liegen innerhalb der Stadtgrenzen und darüber hinaus zieht sich die Stadt großflächig entlang des Südufers des Xolotlán, des Managuasees. Ungefiltertes Einleiten von Abwässern über Jahrzehnte hinweg ließ den See absolut verdrecken. Am Nordufer des Xolotlán ist bei klarem Wetter der Momotombo, der höchste Vulkan des Landes, zu sehen. Die neu erbaute Salvador-Allende-Hafenanlage ist ein attraktives Ausflugsziel sowohl für die StadtbewohnerInnen als auch die TouristInnen. Von dort bieten Ausflugsdampfer Rundfahrten an. An kleinen Kiosken mixen Verkäuferinnen frische Obstsäfte aus den Früchten der Saison und Eiswürfeln. Es gibt Picknickplätze und gute Restaurants mit typischem nicaraguanischem Essen. Discos laden lautstark zu langen Nächten am See ein. Aber wer Zeit hat, wohlhabender Reisender oder Rentner ist, tanzt auch schon am frühen Nachmittag in einem der Ausflugslokale im Salvador-Allende-Park am Managuasee.