Drei Ziele waren für viele Linke, so auch für mich, mit der über zwei Jahre laufenden G8-Mobilisierung verbunden gewesen: Zum einen sollte die Illegitimität und inhaltliche Nutzlosigkeit des sich selbst als Weltwirtschaftsgipfel verstehenden Treffens öffentlich sichtbar gemacht werden. Zum zweiten ging es darum, die Ausnahmestellung Deutschlands im internationalen Rahmen zu überwinden und praktisch zu beweisen, dass globalisierungskritische Massenmobilisierung auch hierzulande möglich ist. Und drittens sollte sich das in einer Verschiebung des gesamten politischen Spektrums nach links niederschlagen. Alle drei Ziele wurden erreicht, insofern ist die Kampagne als Erfolg zu werten. Dennoch gibt es natürlich Abstriche und weitere Elemente, so dass eine Bilanz doch nicht nach diesem kurzen Resümee enden kann.
Die Mobilisierung des Protestes auf die Straße war lange Zeit sehr zäh. Zwar hatten einige Akteure schon sehr früh, teilweise zwei Jahre im Voraus, begonnen, sich auf ihre Kampagnen vorzubereiten. Auch die Bereitschaft, deutlich über die bisher üblichen Bündniskonstellationen hinaus miteinander zu reden, war erfreulich groß.
Und schon sehr bald standen mit Großdemo, Alternativgipfel, Blockaden und Camps die wesentlichen Elemente der tatsächlich stattfindenden Proteste fest. Aber die Breite war zu groß, so dass die reale Zusammenarbeit sich auf die einzelnen „Module“ beschränkte. Einzelne Akteure zogen sich ganz in jeweilige Kleinteiligkeiten zurück. Noch Anfang 2007 sah es so aus, als ob die Beteiligung zahlenmäßig eher gering ausfallen würde. Erst als das Bundesinnenministerium eine Repressionswelle und massive öffentliche Hetze gegen GipfelkritikerInnen lostrat, startete auch die Mobilisierung durch. Es lässt sich im Nachhinein nicht sagen, ob das einfach der Zeitpunkt war, als unsere vielen Veranstaltungen, die Unmengen an produziertem Material, die unermüdliche Arbeit zahlreicher AktivistInnen ohnehin wirksam geworden wäre oder ob diese innenpolitische Linie den Ausschlag gab. Jedenfalls wurde die Mobilisierung auch zahlenmäßig ein Erfolg. Vor allem die Beteiligung an der Aktionswoche mit weit über 20 000 Menschen, davon gut die Hälfte in den Blockaden, ist überwältigend. Genau darin besteht auch zum wesentlichen Teil die erreichte Linksverschiebung im politischen Spektrum: Es gibt eine ganze Menge von aktionsbereiten Leuten, die aufmüpfig sind, selbstbewusst und bereit, Grenzen zu überschreiten und Ungehorsam zu leisten. Viele sind sehr jung und insgesamt sind das ganz sicher noch deutlich mehr als die in Heiligendamm Anwesenden. Darin steckt die Möglichkeit zu erheblichen Veränderungen in der politischen Landschaft, aber auch einige Probleme sind schon vor Ort sichtbar geworden.
Es gibt offenbar nur eine unzureichende Kommunikation zwischen den verschiedenen Bewegungsbestandteilen. So konnte die Orientierung etwa von attac auf öffentliche Wahrnehmbarkeit, regelmäßigen und professionellen Umgang mit den Medien und die Entwicklung z. T. auch ins Detail gehender Lösungsvorschläge von vielen nur als Anbiederung an „sozialdemokratische“ Politikmuster verstanden werden, während umgekehrt attac nicht damit zurecht kam, dass es von den Medien in eine Sprecherrolle für die gesamte Bewegung gedrängt wurde, die ihm gar nicht zukommt und auch nicht ansteht. Das ging teilweise bis zu persönlichen Anfeindungen, durchaus von Personen beider Seiten ausgehend. Es wurden nicht nur Beschimpfungen und vereinzelt Drohungen ausgesprochen, sondern z. B. auch attac-Fahnen verbrannt. Aber es gab eben auch einen massiven Versuch von Teilen der attac-Spitze, den Blockaden ihren verabredeten Charakter zu nehmen, der als aktive Entsolidarisierung und teilweise tatsächliche Gefährdung der BlockadeteilnehmerInnen erlebt wurde.
Dabei geht es nicht nur um eine unterschiedliche Wahrnehmung, sondern um durchaus reale Erfahrungen. Ein Großteil der Partner, mit denen Attacies üblicherweise zusammenarbeiten, wie GewerkschafterInnen, Kirchenleute, Jugendverbände von Parteien und Groß-NRO, war kaum in den Camps vertreten. Das wurde in attac als Defizit, als Mangel im Erfolg der Mobilisierung registriert, während es manchen jungen AktivistInnen vielleicht gar nicht aufgefallen sein mag oder eher als – leider – normal abgehakt wurde. Das Gespräch, warum ist dem einen die Breite der Bewegung ein aktuelles Anliegen und der anderen liegt viel mehr die Chance am Herzen, nun mit Gleichgesinnten aktiv sein zu können, ist noch wenig entwickelt.
Darin liegt auch ein, wenn auch ganz sicher nicht der einzige, Hintergrund für die völlig gegensätzliche Einschätzung einer Reihe von Situationen, etwa der Auseinandersetzungen am Rand der Großdemonstration am Samstag in Rostock oder der Polizeiübergriffe gegen die Aktionen der Folgetage.
Von großen Teilen von attac wurde das weitgehende Fehlen bestimmter Spektren in den Camps als Problem gesehen, das man jetzt und hier bearbeiten muss. Nicht zuletzt mit dem Blick auf Bündnispartner Kirchen und Gewerkschaften wurden nicht nur klare Abgrenzungen von Aktionsformen wie Steinewerfen verlangt – als wenn das nötig wäre und nicht jedeR ohnehin wüsste, dass attac das nicht macht –, sondern auch massive Distanzierungen von den Leuten, die sie anwenden. Die fühlten sich deshalb der Staatsmacht überlassen und so gewann sogar das Gerücht Glaubwürdigkeit, attac habe die infame Aufforderung positiv aufgenommen, an den Ausschreitungen Beteiligte anzuzeigen. Da ist natürlich nichts dran. Dran ist aber etwas an dem Vorwurf, dass von manchen Attacies die realen Übergriffe der Polizei gegen Protestierende nicht zur Kenntnis genommen oder ausdrücklich als nicht für die Gesamtlage repräsentative Einzelfälle bagatellisiert worden sind.
Selbstverständlich stehen hinter dem widersprüchlichen Umgang mit den militanten Auseinandersetzungen weitere reale Widersprüche. Hier geht es um Staat, Staatsmacht, Rechtsstaatlichkeit, staatliches Gewaltmonopol, weltweite Gewaltverhältnisse und Legitimität des Widerstandes dagegen. Diese Differenzen sind alt und lange diskutiert und werden sich nicht wirklich auflösen. Wenn wir nicht von vorne herein getrennte Mobilisierungen haben wollen, dann werden wir als Bewegung damit leben und umgehen müssen. Abgesehen davon, dass niemand glaubwürdig darstellen kann, wie solche Trennungen gegen den Willen der Beteiligten durchsetzbar sein sollten, halte ich sie auch politisch nicht für wünschenswert. Auch grundsätzliche, radikal-linke Kritiken sind Teil der Bewegung und müssen dort ihren Platz haben. Ausgrenzungen prinzipieller Art schwächen die Klarheit der Kritik und die Durchsetzbarkeit der Anliegen insgesamt.
Aber es bleibt selbstverständlich ein Problem, dass niemand akzeptieren kann, dass verabredete Aktions- und Verhaltensformen von einigen willkürlich und selbstherrlich missachtet werden. Wer bedingungslose Solidarität auch mit militanten Aktionsformen fordert, setzt diese Form absolut. Nicht-militante Strömungen könnten dann nur noch auf die Straße gehen, wenn die Militanten ausdrücklich nicht aufriefen. Es muss möglich sein, zu verbindlichen Absprachen zu kommen und ihre Einhaltung einfordern und durchsetzen zu können. Diese Verabredungen hatte es vor dem 2. Juni in Rostock gegeben, sie umfassten das gesamte politische Spektrum von den Organisatoren des Blocks make-captalism-history über attac bis zu den kirchlichen NRO. Die organisierten Kräfte haben diese Absprachen auch alle eingehalten, allerdings gab es ein Potenzial von einigen Hundert Leuten, die da nicht eingebunden waren und auch kaum erreichbar sind. Da wird man zukünftig im Vorfeld sehr viel genauere Anstrengungen unternehmen müssen.
Dennoch hat sich das Bündnis, das formal gar keines war, bewährt. Formal gab es lediglich einen Koordinierungskreis G8, in dem man sich auf dem Laufenden hielt, was man so plante und dachte. Dieser Kreis schaffte es während der Protestwoche immerhin, täglich eine Pressekonferenz anzubieten, bei der mehrere Beteiligte präsentiert wurden, die je in ihrem eigenen Namen sprachen. In diesem Kreis wurden auch Krisen besprochen und bearbeitet. Es gibt die Chance, dass diese Zusammenarbeit zumindest zwischen einzelnen Organisationen bei Bedarf und Möglichkeit erneuert wird.
Das wird wichtig für die weiteren Möglichkeiten der Bewegung sein, entscheidend aber ist, dass es Handlungsmöglichkeiten für das neue aktivistische Potenzial gibt. Diese Leute glauben nicht daran, dass die Herrschenden nicht wissen, was sie tun. Sie haben nichts gegen Argumente, doch sie erwarten nicht, dass die besseren Argumente auch zu einer besseren Politik führen werden. Sie wollen etwas tun, sich dem täglichen Irrsinn verweigern, sich der falschen Politik tatsächlich in den Weg stellen. Es gibt bisher keine Strategien, wie das umgesetzt werden könnte. Es ist auch unklar, wer es mittragen könnte. Und erst recht gibt es bisher keine Strukturen, in denen das organisiert werden könnte. Vielleicht können vorhandene Akteure das aufnehmen, vielleicht müssen völlig neue entstehen. Sollte attac versuchen, sich diesem Potenzial gegenüber zu öffnen, so würde das bestimmte Veränderungen in attac verlangen. Attac als „Volksbildungsbewegung mit Aktionscharakter“ wäre da wahrscheinlich zu wenig. Die Verschiebung politischer Schwerpunktsetzungen hin zu aktionistischeren, wenn man so will „linkeren“ Positionen, wäre wohl nötig. Soll das nicht zur Spaltung von attac führen, dann müsste der dabei an Bedeutung verlierende Flügel von attac das akzeptieren und wollen. Wenn nicht, dann gehen die Leute woanders hin – und zahlreiche bisherige Attacies wohl auch.