Wundersame Verquickungen

Dass Kolumbien eine „Demokratie“ ist und es dort freie Wahlen gibt, ist für die EU und die Bundesregierung ein wichtiger Grund, in offiziellen Dokumenten Kolumbien als „befreundetes“ Land zu bezeichnen. Dass der derzeitige rechte Staatspräsident Alvaro Uribe Vélez durch Wahlen an die Macht kam und laut Umfragen eine hohe Popularität bei der Bevölkerung genießt, wirkt positiv auf die Unterstützung seiner Politik. Staatliche Entwicklungshilfemittel zu konditionieren und von einer klaren Verbesserung der Menschenrechtssituation abhängig zu machen oder diese Mittel ausschließlich engagierten zivilgesellschaftlichen Gruppen zuzuwenden und die größten „Batzen“ nicht an die Umsetzung von staatlichen Projekten zu koppeln, war im Falle Kolumbiens nie eine ernsthafte Diskussion. Dabei sprechen die jährlichen UN-Menschenrechtsberichte Bände, was die Verantwortung des kolumbianischen Staates für Menschenrechtsverletzungen angeht. Dabei geht es nicht nur um die direkte Verantwortung der staatlichen Sicherheitskräfte für Menschenrechtsverbrechen, die laut dem jüngsten UN-Bericht angestiegen sind. Eine entscheidende Frage ist seit Jahren die aktive Bekämpfung der rechtsextremen Paramilitärs, der Auflösung ihrer Strukturen und der Sanktionierung der Staatsbediensteten, die deren Verbrechen ermöglichten, sie protegiert oder aktiv daran teilgenommen haben.

Die Regierung von Alvaro Uribe verhandelt derzeit mit den Paramilitärs, staatliche Unterstützung soll ihren Mitgliedern die Wiedereingliederung in das „zivile Leben“ erleichtern. Für ihre Verbrechen ist ihnen weitgehend Straflosigkeit garantiert, den Rechtsrahmen dafür bietet das umstrittene Gesetz „für Gerechtigkeit und Frieden“. Trotz vieler Defizite wird der Demobilisierungsprozess der „Paras“ weithin als wichtiger Schritt verstanden, Kolumbiens illegale bewaffnete Gruppen, die auf den US- und EU-Terroristenlisten stehen, zu entwaffnen und damit das Konfliktpotential im Land zu mindern. Die holländische Regierung unterstützt Kolumbien mit einer Million Euro bei der Wiedereingliederung von jugendlichen Ex-KombattantInnen. Die EU-Kommission verabschiedete im Dezember 2005 eine Summe von 1,5 Millionen Euro, um „Frieden und Versöhnung in Kolumbien“ zu fördern. Im Verlauf der Demobilisierung der Paramilitärs kam es zu einer wundersamen Vermehrung ihrer KämpferInnen. Statt 15 000 werden sich bis Ende Februar circa 26 000 Personen behördlich registrieren lassen. Der wundersamen Vermehrung der Mitglieder steht eine wundersame Verminderung der von ihnen verwendeten Waffen gegenüber. Bisher wurden nur ca. 10 000 Waffen der militärisch, finanziell und logistisch ausgezeichnet ausgestatteten Gruppen abgegeben. Dies ist aber nur eine von vielen Ungereimtheiten bei diesem Prozess. Eigentlich ist es falsch, diesen als „Verhandlungen“ zu bezeichnen, denn dies kann man eigentlich nur mit einem Gegner. Die Paramilitärs waren im letzten Jahrzehnt aber vor allem gewalttätige Handlanger für die Umsetzung einer neoliberal geprägten Staatspolitik und dienten den Interessen wichtiger Wirtschaftssektoren. „Narco-Paramilitärs“ ist die für sie gängige Bezeichnung in Kolumbien. 

Die Präsidentschaftswahlen stehen dieses Jahr in Kolumbien unter einem neuen Stern, erstmals kann ein amtierender Staatspräsident wiedergewählt werden. Dazu setzte Uribe eine umstrittene Verfassungsreform durch, die vom Verfassungsgericht abgesegnet wurde. Ein Wahlgarantiegesetz und Auflagen der staatlichen Aufsichtsbehörde sollen einen Missbrauch des Staatsapparats zugunsten des Präsidentschaftsanwärters und gleichzeitig regierenden Präsidenten unterbinden. Ob das funktionieren kann, ist fraglich: Denn wann redet der Präsident als Präsident und wann als Kandidat? Uribe tritt gemeinsam mit seinem jetzigen „Vize“ Francisco Santos an. Für Antonio Caballero, einem der wichtigsten Kolumnis-ten der Nation, ruht die Wiederwahl von Uribe „auf drei Beinen“: Das erste seien die von Frustration geprägten Stimmen von WählerInnen, die darauf hofften, dass sich mit Uribe die Dinge ändern. Also die Stimmungslage in der Bevölkerung, die nach dem Scheitern der Friedensverhandlungen mit der FARC zum Erfolg von Rechtsaußen Uribe bei den Wahlen 2002 beitrug. Er vertrat ein militaristisches Konzept der „harten Hand“. Das „zweite Standbein“ für Uribe ist laut Caballero die militärische Unterstützung durch die USA. Sie soll die hohe Präsenz der Streitkräfte in Gebieten garantieren, in denen vorher die Paramilitärs dominierten. (Nach Israel und Ägypten ist Kolumbien drittwichtigstes Empfängerland von US-Militärhilfe.) Aber das „dritte Bein“ sei das Wichtigste, meint der Journalist. Dieses sei der Paramilitarismus. Oder auch „der bewaffnete ‚Uribismo’, der ‚Uribismo’ der Großgrundbesitzer und der Agrar- und Viehwirtschaft“. So polemisiert Caballero nicht etwa in einem radikalen linken Blatt, sondern in der auflagenstarken Wochenzeitschrift Semana. Fest steht, dass für die USA die Wiederwahl von Alvaro Uribe enorm wichtig ist, und dies nicht nur, um weiter direkten Einfluss auf die Politik des ressourcenreichen Landes auszuüben. Kolumbien ist für die Kontrolle der Anden- und Amazonas-Region ein Schlüsselland. Durch die jüngsten Wahlen sind demokratische Veränderungen in die politische Landschaft des Subkontinents gekommen. Da braucht es den Präsidenten eines Schlüssellandes, der vor der US-Macht weiter Bücklinge macht.

Seit Januar ist der Einfluss der Paramilitärs bei den Wahlen zu einem wichtigen Thema in den Medien geworden. Täglich neue Skandale verdeutlichen die Verquickung von deren militärischer und politischer Macht und wie sich diese mit der ökonomischen verbindet. Zum Beispiel wurde die „Lotteriekönigin“ Enilce López wegen illegaler Geldwäsche verhaftet. Ihr Lotterieunternehmen Uniapuestas hat den Wahlkampf von Uribe 2002 mit einem großzügigen Scheck unterstützt. „La Gata“ (Katze) soll gute Beziehungen zu einem wichtigen „Para“-Chef haben, sie wird in Verbindung mit Verbrechen im Departement Sucre gebracht. „Die Frage der Paramilitärs ist weitaus mehr als ein kriminelles Problem. Es ist zu einem politischen Problem ersten Ranges in Kolumbien geworden. Es gibt bewaffnete Gruppen, die Formen von Regionalstaaten aufgebaut haben, die jegliches Demokratieprojekt und die Verfassung von 1991 gefährden“, meint der Politikwissenschaftler Gustavo Duncan. Auf lokaler Ebene hätten sich die Paramilitärs des Staates bemächtigt. Duncan gehört zu einer Forschungsgruppe der NRO Nuevo Arco Iris, die eine Untersuchung des politischen Einflusses der Paramilitärs durchführt und dabei die Ergebnisse der Kongresswahlen 2002 und der Kommunalwahlen 2003 analysiert. Bei diesen Wahlen sei in mehreren Departements, vor allem an der Atlantikküste, ein „atypisches Phänomen“ zu beobachten, meint die Forschungsgruppe. PolitikerInnen verbuchten in Wahlkreisen zwischen 70 und 90 Prozent der Stimmen, selbst wenn sie dort gar nicht zu Hause waren. So erreichte im Atlantik-Departement Magdalena Jorge Luis Caballero in mehreren Gemeinden zwischen 93 und 97 Prozent aller abgegebenen Stimmen, in anderen zwischen 70 und 80 Prozent. Der damals für die Liberalen aufgestellte Politiker stand bis zu seinem Rausschmiss im Januar – Vorwurf: Beziehungen zu den „Paras“ – auf der Uribe-nahen Liste Cambio Radical (Radikaler Wandel). Ähnliche Spitzenergebnisse erzielte auch Dieb Maloof, der vorher keinerlei politische Ämter in der Provinz innegehabt hatte. Maloof, Senator seit 2002, begleitete Uribe beim damaligen Wahlkampf. Wegen seiner Nähe zu Paramilitärs wurde er jetzt aus der Partido de la U (U-Partei), ebenfalls Uribe-nahe, ausgeschlossen. Jedoch fand sich schnell eine andere, die ihn wieder aufnahm. 

Im Departement Córdoba, der „Wiege der Paramilitärs“, gewann Eleonora Pineda, Mitglied der Abgeordnetenkammer, bei den letzten Wahlen 82 082 Stimmen, davon 16 223 in der Gemeinde Tierralta. Bei den Gemeinderatswahlen 2000 hatte sie dort klägliche 748 Stimmen erhalten. Eine wundersame Vermehrung der Stimmen für eine Politikerin, die sich für den Eingliederungsprozess der „Paras“ besonders tatkräftig einsetzt. Die paramilitärischen Führer sind in Santa Fe de Ralito, einem Dorf im selben Departement, konzentriert. Die differenzierten Analysen auf lokaler Ebene stellen den demokratischen Charakter der letzten Parlaments- und Kommunalwahlen in Kolumbien in Frage. Denn Wahlergebnisse von bis zu 90 Prozent in Regionen, die von einer bewaffneten Gruppe dominiert werden, deren „Markenzeichen“ die Terrorisierung der Zivilbevölkerung ist, deuten nicht auf freiwilliges, sondern auf erzwungenes Abstimmungsverhalten hin. In denselben Departements, in denen es solche „atypischen“ Wahlergebnisse gab, stiegen zwischen 1998 und 2000/2001 die Zahl der von Paramilitärs verübten Massaker und selektiven Morde um ein Vielfaches an, recherchierte Semana-Journalistin Claudia López anhand von staatlichen Zahlen. Den Wahlergebnissen ging eine Welle von Morden und Einschüchterung voraus, folgert sie, dringlich sei eine komplette Demontage des paramilitärischen Phänomens. Denn dabei geht es nicht nur um die bewaffneten KämpferInnen, sondern auch um deren politische und finanzielle „Schatten“.