Zwei Bücher und zwölf Filme

Die cubanische Revolution zeigte ganz Lateinamerika die Möglichkeit auf, dass Utopien wahr werden können. Auch in Chile gab es eine lange Tradition der sozialen Bewegungen und Gewerkschaften, die die Unterdrückung beenden wollten. Dabei setzten sie auch auf Wahlen. Am 4. September 1970 wurde der Sozialist Salvador Allende im vierten Anlauf zum Präsidenten gewählt. Auf 419 Seiten wird in dem Buch „Salvador Allende und die Unidad Popular“ in acht Aufsätzen sowie Reden Allendes, elf Biografien politisch interessanter Personen unter Zuhilfenahme von Interviews, Zeitungsberichten, Briefen der LiteraturnobelpreisträgerInnen Gabriela Mistral („Ihre süchtige Anhängerin…“) und Pablo Neruda, Akten und Büchern die Geschichte Chiles und besonders die Regierungszeit der Unidad Popular (1970-73) dargestellt.

Trotz Widersprüchen und unterschiedlicher Strategien wurde der Weg des einmaligen „chilenischen Sozialismus“, der sich grundlegend vom Kommunismus sowjetischer Prägung unterschied, eingeschlagen. Er sollte wie „Rotwein und Empanadas“ schmecken und alle Bevölkerungsteile (auch die ChristInnen, das Militär und die zur Kooperation bereite Bourgeoisie), vor allem aber die sozialen und kulturellen Bewegungen sowie die Mütter und Kinder einbeziehen. Es sollte eine „gemischte Wirtschaft“ mit einem privaten und öffentlichen Sektor geben. Lediglich die Kapitalmonopolisten und Großbanken wurden enteignet. Unter Allende wurden die Kupferminen verstaatlicht, das Militär in zivile Prozesse wie die Verteilung von Milch an Kinder einbezogen, eine Bodenreform durchgeführt, der von Basisbewegungen organisierte Wohnungsbau auf besetztem Gelände staatlich ausgeführt, sowie in den Vierteln der Armen soziale und kulturelle Einrichtungen geschaffen. Am 1. Mai griff der Präsident mit anderen PolitikerInnen, JournalistInnen und Angestellten selbst zum Hammer.

Aber auch die Irrtümer in der Wirtschaftspolitik, das Ausbleiben einer strategischen Debatte innerhalb der Unidad Popular, Probleme der Arbeiterselbstverwaltungen in den enteigneten Betrieben und die Verschiebung der Gründung eines Familienministeriums werden beleuchtet. Die Politik der Regierung der Unidad Popular polarisierte stark. So stieß sie bei den USA, den Großunternehmern (die Transportunternehmer riefen einen Generalstreik der Arbeitgeber aus), rechten Politikern, Militärs und konservativen Christen auf Widerstand. Dieser Widerstand äußerste sich in Propagandakampagnen, Repressionen gegen UnterstützerInnen der Regierung Allendes und führte schließlich zum Militärputsch.

Die Entstehung der „Christen für den Sozialismus“ auf der einen und die Gegenreaktionen der konservativen Teile der Kirche auf der anderen Seite werden in einem Artikel dargestellt. Ein weiterer Beitrag beschäftigt sich mit dem Nueva Canción Chilena (Neues chilenisches Lied), welches aus einer Mischung von traditionellen und neuen Elemente mit politischen Erzählungen bestand. Ein wichtiger Schritt zum Bewusstsein der eigenen Kultur und nicht nur der Blick auf die von den Kolonialisten eingeredete Überkultur Europas. Das Besondere an dem Buch ist die breite und tiefe Darstellung durch AutorInnen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Bereichen, die ohne Überschneidungen von Themen auskommen.

Dem Buch „Salvador Allende und die Unidad Popular“ liegen zwei DVDs mit insgesamt sechs Filmen bei: Interview mit Allende (Chile 1971, 31 min.,Regie: Saúl Landau), Salvador Allende (Chile/Frankreich 2004, 100 min., Regie: Patricio Guzmán), Wenn das Volk erwacht (Chile 1973, 57 min., Regie: Kollektiv 73), Der letzte Tag des Salvador Allende (Deutschland 2004, 76 min, Regie: Michael Trabitzsch), Chile – Der Kampf geht weiter, (Chile/BRD 1973/74, 48 min, Regie: Elfriede Irrall) sowie Final Image (Argentinien 2008, 93 min., Regie: Andrés Habegger).

In den Morgenstunden des 11. September 1973 – der Tag des Militärputsches gegen die demokratische Regierung Chiles hatte gerade begonnen – gelingt es Salvador Allende zwischen 7.55 Uhr und 9.10 Uhr, sich noch fünf Mal aus der Moneda, dem Sitz des chilenischen Präsidenten, über den Rundfunk in kurzen, aber eindringlichen Aufrufen an das chilenische Volk zu wenden und die Perfidie des Militärs anzuklagen. Allende versichert der Bevölkerung, dass er Demokratie und Freiheit bis zu seinem Tod verteidigen werde. Die einzige bewaffnete Truppe, die ihm noch zur Verfügung stand, war die „Gruppe der Freunde des Präsidenten“, eine Art Leibwache. Er beschwört die ChilenInnen, sich von den Putschisten nicht die Würde nehmen zu lassen.

Die letzten fünf Radioansprachen Allendes leiten den Band „Diktatur und Widerstand in Chile“ ein. Dann betritt der/die LeserIn ein zunächst schwer zugängliches Szenario von Einzelaktionen und Kurzberichten verschiedener Personen, linker AktivistInnen und ParteivertreterInnen, vor allem aber von BewohnerInnen aus dem Arbeiter- und Armenviertel La Legua und aus den Fabriken SUMA, INDUMET, MADECO. Anfänglich hat man das Gefühl, eine soziologische Untersuchung zu lesen, bis sich die Materie plötzlich in ihrer vollen menschlichen Tiefe öffnet, weil sich aus den Details nach und nach ein größeres Bild formt. Man versucht Waffen und Widerstandsaktionen zu organisieren, die angesichts der Kräfteverhältnisse aber kaum Wirkung zeigen. Die militärische Übermacht der Putschisten ist zu groß.

Die chilenischen Frauen hatten in den wenigen Jahren der Allende-Regierung (seit 1971) die ersten Schritte heraus aus ihrer tradierten Rolle gewagt. Die Putschisten setzten alles daran, sie wieder zurückzudrängen. Allein das war Grund genug, dass sich viele Frauen in Protestaktionen gegen die Diktatur wendeten. Eine Aktion dabei war das Klopfen auf leere Kochtöpfe. Die Frauen aus den Armenvierteln imitierten damit ihre wohlstandsbürgerlichen Vorläuferinnen, (die damit gegen die angebliche Lebensmittelknappheit unter der UP-Regierung demonstriert hatten). War die Kochtopftrommelei gegen Allende reaktionär (die damaligen Trommlerinen hatten keinen Hunger), so hatte das Kochtopfschlagen gegen die Militärdiktatur durchaus reale Hintergründe. In die chilenischen Armenviertel war mit den Militärs der Hunger zurückgekehrt. Ein weiteres gegen die Diktatur gerichtetes Druckmittel war die Forderung Hunderter Frauen, die toten Körper ihrer verschwundenen Männer und Söhne herauszugeben. Befanden sich Frauen im aktiven Widerstand gegen die Junta, hatten sie vor allem als Mütter extremen Druck zu ertragen, wenn sie in den bewaffneten Untergrund gingen.

Aus vielen Ländern Amerikas und Europas, wo man das Modell des Demokratischen Sozialismus in Chile mit besonderem Interesse verfolgt hatte, erhielten die Verfolgten Unterstützung. Der Aufsatz „Über den Mut in Zeiten des Terrors“ schildert die manchmal unglaubliche Geschichte des persönlichen Einsatzes des schwedischen Botschafters Harald Edelstam. Der mutige Diplomat verhalf in den Anfangsmonaten der Diktatur vielen politisch Verfolgten zur Flucht ins Ausland oder er schützte sie sogar persönlich im Krankenhaus.

Über den „Despotisch abgesicherten Liberalismus“ in Chile schreibt Urs Müller-Plantenberg einen hochinteressanten Beitrag. Demnach war die Funktion des Generals Pinochet, „das Militär-Regime und seine Wirtschaftspolitik gegen jeden Zwang zu Kompromissen mit demokratischen, populistischen oder faschistischen Kräften zu schützen“; soweit solche „im Militär selbst oder unter den Gruppen, die den Militärputsch gefördert haben“, hätten aufkommen wollen … „Tatsache ist“, so Müller-Plantenberg weiter,„dass er (Pinochet) seine Willkürentscheidungen zunehmend in den Dienst der politischen Erfordernisse des orthodoxen Liberalismus gestellt hat“.

Dem Buch „Diktatur und Widerstand in Chile“ liegen zwei DVDs mit insgesamt sechs Filmen bei: Chile – Hartnäckige Erinnerung (Frankreich/Kanada/Chile 1997, 56 min, Regie: Patricio Guzmán) sowie fünf Dokumentionen von Walter Heynowski und Gerhard Scheumann: Der Krieg der Mumien (DDR 1974, 90 min), Ich war, ich bin, ich werde sein (DDR 1974, 77 min.), El golpe blanco – Der weiße Putsch, (DDR 1975), Eine Minute Dunkel macht uns nicht blind (DDR 1976, 66 min.) und Die Toten schweigen nicht (DDR 1978, 73 min.)