Zwischen Widerspruch und Hoffnung

Das Jahr 2015 war ein besonderes in Guatemala, weil die Gesellschaft gegen die Praktiken der Korruption, die im Land zum Normalzustand geworden waren, aufbegehrte. Korrupte Seilschaften und politischer Klientelismus waren zur Routine geworden, bis im April die „UN-Ermittlungsbehörde gegen Korruption in Guatemala“ (CICIG) und das Ministerium für öffentliche Angelegenheiten den Fall eines schweren Zollvergehens, begangen unter maßgeblicher Mitwirkung der damaligen Vizepräsidentin Roxanna Baldetti und des Präsidenten Otto Pérez Molina, zur Anzeige brachten. Danach kam es zu großen Demonstrationen, die von der vereinigten Studierendenbewegung angeführt wurden. Dabei demonstrierten erstmals in der Geschichte Guatemalas die Studierenden der Nationaluniversität San Carlos zusammen mit ihren KommilitonInnen von der Jesuitenuniversität Rafael Landívar und den privaten Universitäten. (vgl. dazu den Beitrag „Plötzlich agierten sie gemeinsam“ in dieser ila)

Das Jahr 2015 war gleichzeitig ein Wahljahr mit Überraschungen, Lehren und der allmählichen Rückkehr zur Normalität des klientelistischen Systems. Die Massendemonstrationen vermochten nicht, einen wirklichen Wandel zu erreichen. Die Krise des politischen Systems ist inzwischen ein modus vivendi in Guatemala, sie ist permanent und vertieft sich mit jeder neuen Regierung. Die Wahlen wurden nicht genutzt für einen aus der Empörung gespeisten politischen Aufbruch, sondern waren Ausdruck einer politischen Kultur der Widersprüche, die anachronistisch und konservativ ist.

Zwar werden die traditionellen politischen Parteien von immer mehr GuatemaltekInnen abgelehnt, dieser Widerspruch bezieht sich jedoch nicht auf das Parteiensystem als Ganzes. Es ist eine Ablehnung, die im Allgemeinen auf der Ebene des Diskurses verbleibt, denn die abweichenden Stimmen kommen Personen zugute, die das System reproduzieren und nicht für eine andere Form des Politikmachens stehen. Es handelt sich um ein Abstimmungsverhalten, das immer noch den „Supermann“ oder den „Gesalbten“ sucht, der von Gott gesandt ist.

Die Anführer der Bewegung der Empörten bedienten sich eines Diskurses, der in der Praxis darauf ausgerichtet war, den besten Ausweg aus der Krise zu verfolgen, aber nicht unbedingt den Visionen und Erwartungen der Leute entsprach, die auf den Demonstrationen vertreten waren. Die Krise war schließlich der Hauptgrund dafür, dem Präsidentschaftskandidaten die Stimme zu geben, der die Wahl des lange als Favoriten gehandelten Manuel Baldizón verhindern konnte und der nicht Teil der „gewöhnlichen“ politischen Familie Guatemalas war. Das Ergebnis war schließlich die Wahl von Jimmy Morales zum Präsidenten und die Zusammensetzung eines Kongresses, in dem sehr viele Parteien vertreten sind, darunter einige neue Abgeordnete, die als Alternative zum traditionellen Politiker gelten.

Jimmy Morales, der Vertreter der „Antipolitik“, profitierte von dem disziplinierten Abstimmungsverhalten der Evangelikalen und von dem Widerwillen gegenüber der politischen Klasse und der Korruption. Die BürgerInnen flüchteten sich in die Illusion, der hybride Charakter von Morales, der weder über eine politische Basis noch ein Arbeitsteam verfügt, werde dafür sorgen, dass die minimalen Reformen angepackt werden, die die Bürgerschaft auf den Straßen und die sozialen Bewegungen in den Diskussionsrunden gefordert haben. Morales ist ein Politiker, der so auftritt, als lehne er die traditionelle Politik ab; in Wirklichkeit aber ist er ein Vertreter eines Wandels, der nichts ändert: Er ist eine Mediengeburt, konservativ, militärfreundlich und mit Zügen eines autoritären Caudillos. Er ist die radikalste Option für die Erhaltung des Systems, wenn auch geschminkt, auf die die Eliten in diesem Wahlsystem setzen konnten. Er wird den Auftrag erfüllen, bis zum Letzten die konservativste Form des Status Quo zu schützen.

Viel hängt jetzt von den sozialen Bewegungen ab. Wenn es ihnen gelingt, sich besser zu artikulieren und zu organisieren, können sie einen Druck aufbauen, der Reformen oder relevante Veränderungen erzwingen könnte. Dafür bedarf es des Aufbaus von Netzwerken der Solidarität und Arbeit, die Hilfestellung bei den spezifischen Forderungen jeder einzelnen Organisation leisten können. Kleine Kämpfe, die die verschiedenen Organisationen der Zivilgesellschaft anstoßen könnten und deren Ergebnis kleine, aber wichtige Veränderungen sein könnten – wegen der positiven Wirkung, die sie in ihrer unmittelbaren und alltäglichen Umgebung haben würden.

Die studentische Einheit, die die „Studentische Universitäre Koordination Guatemalas“ (CEUG) ins Leben gerufen hat, ist dabei ein wichtiger Meilenstein. Ihre Konsolidierung steht noch bevor, gerade wegen der Schwierigkeiten, abweichende Meinungen zuzulassen, ideologische Barrieren zu überwinden und die partikularen Vorstellungen von der zukünftigen Entwicklung des Staates unter einen Hut zu bringen. Die Legitimität der vereinigten Studierendenbewegung hat neue AnführerInnen in den sozialen Sektoren hervorgebracht. Gleichzeitig gilt es, die Kämpfe der anderen sozialen Organisationen zu begleiten und diejenigen Forderungen aufzustellen, die geeignet sind, ein besseres Bildungsmodell auf die Tagesordnung zu setzen.