Am 12. Oktober 1992 jährt sich zum 500. Mal der Tag der Entdeckung Amerikas. Mit dieser Entdeckung wurde Amerika zunächst vor allem zur Beute der Eroberer. Nicht lange, dann wurde es nach und nach in ein riesiges Ausbeutungsobjekt für die Interessen des Weltmarktes umgewandelt. Als Kultur- und Lebensraum entdeckt wurde der Kontinent etliche Jahrtausende vorher – von den „entdeckten“ Ureinwohnern. Entdecken und Entdecken ist offensichtlich nicht unbedingt dasselbe.
Die Entdeckung Amerikas für den Weltmarkt war in der Tat ein einschneidendes Ereignis für die europäischen Entdecker ebenso wie für die entdeckten Entdecker des Kontinents. In den ersten Jahrzehnten nach der Entdeckung durfte Amerika vor allem Gold und Silber nach Europa liefern, um den sich von dort aus entfaltenden Weltmarkt mit dem wichtigsten Zahlungsmittel jener Zeit auszurüsten. Daß dabei Hunderttausende der entdeckten Amerikaner sterben mußten, gehört wohl zu den notwendigen Kosten für „Fortschritt und Entwicklung“. Später dann erhielt das entdeckte Amerika eine „normale“ Rolle als Kolonialwarenlieferant der „ersten Welt“.
Das 1492 „entdeckte“ Amerika hat bereits in den ersten Jahrzehnten seiner Entdeckung gewaltige ökologische Veränderungen durchgemacht. Daß vor allem Gold und Silber buchstäblich mit dem Blut der einheimischen Indianer aus der Erde geholt wurden, ist bekannt. Weniger bekannt sind die ökologischen Konsequenzen des Eindringens in den Leib der Erde im Namen der Götzen Profit und Gewalt.
Nach außen hin weniger als offene Gewaltakte erkennbar sind die bewußten und unbewußten Eingriffe der „Entdecker“ aus Europa in die Fauna und Flora Amerikas. Wie wir heute wissen, waren etwa Pferd, Rind oder Schwein, Weizen, Wein und zahlreiche Gräser fast ebenso wirkungsvolle „Aggressoren“ wie die Conquistadoren, die sie mitbrachten. Die später eingeführten Monokulturen von Zucker, Baumwolle, Kaffee oder Bananen sind in diesem Zusammenhang „nur“ simple Weiterentwicklung dieser 1492 eingeleiteten Zwangsveränderungen. Auch die Beiprodukte dieser Entwicklung kennen wir: Sklavenarbeit, Zerstörung der lokalen Wirtschaft, Vernichtung der Wälder, Bodenerosion bis hin zu gigantischen Überflutungen von Landschaften (z.B. durch Sobradinho-Staudamm oder den geplanten Stau des Rio São Francisco in Brasilien).
Auch heute noch werden die natürlichen Lebensgrundlagen in Lateinamerika durch die Interessen von Unternehmen aus den Industriestaaten zerstört, sei es durch Giftmülltransporte oder agroindustrielle Großprojekte. Die Lebensinteressen von Menschen und Umwelt sind aller Öko-Rhetorik zum Trotz kein Kriterium bei derartigen Planungen.
Die „Entdeckung“ des Jahres 1492 war nicht nur eine Katastrophe für die Entdeckten und ein goldenes Wunder für die Entdecker, sie war auch ein Meilenstein für ein neues, bis dahin nicht gekanntes Wirtschaften: 1492 markierte den Übergang der bis zu dieser Zeit gültigen Kreislaufwirtschaften zu allgegenwärtig offenen Wirtschaftsprozessen, deren stabilste politische Form der Industriekapitalismus heutiger Prägung darstellt. Daß es heute selbst dem dümmsten Geldraffer dämmert, daß da etwas nicht so ganz richtig abläuft, liegt nicht etwa an den allgegenwärtigen sozialen, sondern an den drohenden ökologischen Katastrophen durch das permanente Aufreißen zyklischer Lebensprozesse.
Die Zerstörung der tropischen Regenwälder und die daraus resultierenden Folgen für das Weltklima haben den Blick des Nordens auf einige Ausschnitte des Ökodesasters im Süden gelenkt. Auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio soll nach globalen Lösungen für die ökologischen Probleme gesucht werden. Ob dies gelingt, erscheint angesichts der Machtverhältnisse und der Interessen und dem bisherigen Verlauf des UNCED-Prozesses mehr als zweifelhaft.