Im Juni des Jahres tummelten sich in Brasilien einige hundert internationale Polit-Tänzer und -Tänzerinnen auf dem Umweltgipfel von Rio de Janeiro: viel Kultur, viel gutes Essen, viel Glamour, viel Militär und viele vollmundige Worte. Den gelangweilten ZuschauerInnen wurde ein multikultureller Interessencocktail serviert, bei dem es angeblich um die Rettung der rabiat beschädigten Erdökologie ging. Und weil der letzte Supermächtige am ungeniertesten auf den ordinären Interessen (er behauptet, sie seien national) seiner Lobby beharrte, zeigten alle anderen mit dem Finger auf ihn und schrien: „Pfui Teufel, die Amis wieder!“ Natürlich stimmt das! Gleichzeitig aber handelte es sich um ein ganz gewöhnliches Ablenkungsmanöver der anderen, allen voran der BRD-Regierung.
Ging es in Rio scheinbar um die Umwelt und nur versteckt um handfeste Interessen, gibt es in diesem Sinne beim aktuellen Weltwirtschaftsgipfel keine falsche Scham. Anfang Juli versammeln sich in München die Vertreter der Macht über diese Welt, und um nichts anderes als um Macht geht es dort. Und weil diese Macht in Wirklichkeit auf reichlich wenige Menschen verteilt ist, sind in München auch nicht rund 140, sondern exakt sieben Staatsoberhäupter vertreten. Diejenigen eben, die das Sagen haben. Und das sind nicht Militärs oder Leute vom Schlage eines Saddam Hussein oder irgendeines bewaffneten und um sich schießenden Nationalisten. Es sind zivile Oberbefehlshaber über große Militärmaschinen und dienstbare Geister für mächtige Kapitalinteressen.
In Münster endete vor einigen Wochen ein eher bescheidener Kongreß. Bescheiden, was den äußeren Rahmen betrifft, bescheiden auch in bezug auf die Repräsentativität der TeilnehmerInnen für ihre Völker. Mindestens in einem Punkt aber war der Münsteraner Kongreß durchaus mit dem Treffen in Rio oder München vergleichbar: Auch in Münster ging’s um Geld, besser ausgedrückt: um Schuld und Schulden – und zwar in gigantischen Ausmaßen. In Münster versuchten internationale VertreterInnen der Frage nachzugehen, was und wieviel wohl die heute reiche Welt der heute armen alles geraubt und gestohlen hat.
Fraglos, eine entsprechende Quantifizierung dafür ist äußerst schwierig. Noch schwieriger ist die Frage der „Schuld“ zu klären. Nicht der moralischen Schuld, die akzeptiert heute schon so mancher Bürger und so manche Bürgerin (auch eine Gnade der späten Geburt). Es geht um die Frage von Schuld im juristischen Sinne. Aber selbst wenn diese geklärt sein sollte – wie etwa im Falle der Verurteilung der USA wegen ihrer Aggressionspolitik gegenüber dem sandinistischen Nicaragua – gibt es noch keine Macht, die ein eventuelles Urteil gegen eine Großmacht auch vollstrecken würde oder könnte. Recht hat immer etwas mit Macht zu tun, nicht umsonst spricht das Bürgerliche Recht von der Justiz als eine von drei „Gewalten“.
Reiche pflegen den Armen nur Almosen zu geben oder kalkulierte Gelder, aus deren Abgabe sie sich sekundäre Vorteile errechnet haben. Wer immer sonst etwas von Besitzenden haben will, muß diese dazu veranlassen können. Diese traurige Regel gilt sowohl für das Private als auch für die Staaten jeder Couleur. In diesem Sinne wurden Reparationen, wie der Münsteraner Kongreß sie fordert, bisher nur in einem einzigen Fall in größerem Ausmaß durch einen Staat geleistet: in Form der „Wiedergutmachungszahlungen“ der BRD an Israel. Gezahlt wurde an den Staat Israel, der ein Machtgebilde mit sehr guten Beziehungen zum mächtigsten Staat der Erde darstellt(e). Ohne diesen Machthintergrund hätte es die Zahlungen nicht gegeben. Hunderttausende von Nazi-Opfern und ZwangsarbeiterInnen haben nie eine Entschädigung erhalten. Nur im Zusammenhang mit Macht kennt die Geschichte Reparationsleistungen – zumindest galt das bis heute, und wenig deutet darauf hin, daß sich diese Haltung hin zu einer neuen Freiwilligkeit aus Gründen des sozialen Friedens ändern könnte.
Die heute Armen in der schon lange ebenso wie in der bald Dritten Welt aus dem Osten haben zwar – das kann man/frau bereits heute so sagen – (noch?) nicht oder nicht mehr die Macht, ihre Forderungen zu erzwingen, immerhin aber ist es richtig, sie zu stellen und zu definieren, als ersten Schritt sozusagen und im Rahmen der „Festlichkeiten“ zur 500-jährigen Entdeckung der Ausplünderungsmöglichkeiten Amerikas, Afrikas, Asiens … auf Weltmarktniveau.
PS Nach zehn Jahren verläßt uns unsere Setzerin Vera Drinkhut. Wir möchten uns an dieser Stelle für ihre lange Mitarbeit bedanken und wünschen ihr weiterhin alles Gute.
PPS Der Schwerpunkt der „Reparationen“ erscheint gleichzeitig als 36-seitiges Sonderheft und kann für 4,- DM + Porto (ab 5 Expl. 30% Rabatt) bei der ila bestellt werden.