NRO – Nichtregierungsorganisationen sind nach UNO-Verständnis alle rechtlich anerkannten Institutionen, vorausgesetzt, sie sind nicht-staatlich: Unternehmer-Verbände, kirchliche Einrichtungen, Menschenrechtsorganisationen, Schmetterlingssammler-Vereine. In verschiedenen lateinamerikanischen Ländern wird der Begriff OPD benutzt – Organisaciones Privadas de Desarrollo – private Entwicklungsförderorganisationen. Das entspricht in etwa dem Spektrum, das uns bei diesem Schwerpunkt beschäftigt, und das auch unter dieser Einschränkung noch sehr breit gefächert bleibt: so gibt es neben und innerhalb der großen Zahl von Nichtregierungsorganisationen solche, die mit Bauernorganisationen und Gemeindekomitees an der Verbesserung ihrer Produktions- und Lebensbedingungen arbeiten, die mit Familienangehörigen Verschwundener um die Aufklärung der Verbrechen an ihren Angehörigen kämpfen, die in Elendsvierteln Alphabetisierungskampagnen durchführen oder besitzlose Frauen bei deren Selbst-Bewußtwerdung und -organisation unterstützen; aber daneben auch, wie wir uns haben erzählen lassen, die sogenannten BINGOS – die Big NGOs, große bürokratisierte Apparate, oder GONGOS – Governmental Oriented NGOs, die regierungsnahe Ziele verfolgen.
Auch die ila ist als gemeinnütziger Verein im streng rechtlichen Sinne eine Änn-Er-Oh. Und wie viele der lateinamerikanischen NRO, zu denen wir seit langen Jahren Beziehungen unterhalten und aus deren Reihen wir immer wieder AutorInnen gewinnen, gingen wir aus einer Basisbewegung hervor, eben der anti-imperialistischen Solidaritätsbewegung. Aber anders als in den meisten Fällen bewegungsorientierter NRO in Lateinamerika war der Schritt von der Basisgruppe zur NRO für die ila rein formal und in der Praxis unerheblich. Bleiben wir trotzdem ein wenig bei unserem Beispiel: Stellen wir uns vor, der ABP (Ausschuß für entwicklungsbezogene Bildung und Publizistik der EKD) oder der Solidaritätsfonds der GRÜNEN beschlössen, ihre Mittelverteilung „basisnäher“ abzuwickeln und u.a. der ila einen Geldtopf zur Verfügung zu stellen mit dem Auftrag, daraus lokale Basisgruppen der Solidaritätsbewegung zu unterstützen. Eine für die ila ebenso wie für Dritte-Welt-Gruppen scheußliche Vorstellung von Verteilungskampf, Rollenkonflikt und politischem Streit!*
Nicht viel anders jedoch verläuft eine der gegenwärtigen Konfliktlinien zwischen den Basisorganisationen der sozialen Bewegungen Lateinamerikas und den dortigen NRO, deren Ursprünge meistens in eben diesen sozialen oder einstmals revolutionären Bewegungen zu suchen sind. Rund 10.000 davon soll es inzwischen in Lateinamerika geben, die schätzungsweise zwischen 150.000 und 200.000 Menschen beschäftigen. Sind sie Ausdruck einer „natürlichen Tendenz“ von Bewegungen zur Herausbildung von professionalisierten Institutionen? Sind sie Schmarotzer, die lediglich ihrem Selbsterhaltungstrieb folgen? Oder gehören sie inmitten der Krise der Linken und der politischen Parteien zu den letzten Hoffnungsträgern, die wenigstens noch versuchen, an neuen Konzepten zu arbeiten? Dies ist eine der Fragestellungen, auf die wir in diesem Heft verschiedene Antworten anzubieten versuchen.
die Redaktion
*) Nichts einzuwenden wäre allerdings gegen mittelfristige Globalzuschüsse anstatt der alljährlichen, mühseligen und aufwendigen Einzelantragstellerei.