Sage mir, was du ißt, und ich sage dir, wer du bist: Tortillas und Bohnen, Eisbein und Sauerkraut, Couscous und Hammelfleisch, Schwalbennester und Pekingente scheinen Menschen eindeutig zu identifizieren; nicht mit Namen und Adresse, aber mit Weltgegend und sozialem Prestige: arme MittelamerikanerInnen, Mittelschichtdeutsche, wohlhabende NordafrikanerInnen und reiche ChinesInnen erscheinen vor unseren Augen.
Aber schon bei den ganz Armen gelingt die Zuordnung nicht mehr, sie essen überall auf der Welt, was immer sie kriegen, wenn sie denn etwas kriegen – oft ist das nur der Müll der anderen. Bei den Reichen klappt’s auch nicht; die essen, was immer sie wollen, weil sie jederzeit überall alles kriegen können – Jahreszeiten, Produktionsrhythmen, Herkunftsgebiete bedeuten nichts mehr. Zunehmend gelingt die Identifikation nicht einmal mehr bei all denen zwischen den beiden Extremen; der weltweite Siegeszug von Hamburgern und Cola, Schokoriegeln und Toastbrot scheint unaufhaltsam – über alle kulturellen und Klassengrenzen hinweg.
Die Vision einer einzigen, öden, traditionsleeren einheitlichen (Eß-)Welt nimmt Gestalt an. Das wird auch nicht dadurch anders, daß immer neue Produkte an den Mann und die Frau gebracht werden. Hinter dem Schein der Vielfalt durch Taco-Shells, Pfannenpizza, schlanker Tiefkühlküche und der neuesten Ketchupkreation verbirgt sich in Wirklichkeit der diskrete Charme der immer gleichen Lebensmittelmultis. Chemie ersetzt Geschmack, niedrige Transportkosten und Schockgefriertechnik nehmen den Platz ein, der einmal den klimatischen und jahreszeitlichen Gegebenheiten zukam, kochende Menschen werden nicht nur weniger, sie verlieren allmählich auch immer mehr handwerklich-professionelle Fähigkeiten.
So ist die Beschäftigung mit Küche und Kochen oft auch ein Stück Erinnerungsarbeit. Kochen hat eine Komponente von kultureller Identität und Selbstbehauptung. Natürlich ist die praktisch-tatsächliche Seite weitaus wichtiger. In der heutigen sozialen Wirklichkeit Lateinamerikas ist allzu oft nicht nur das kulturelle, sondern auch das physische Überleben gefährdet.
Wurde und wird schon das Kochen fast ausschließlich von Frauen erledigt, so fällt ihnen nunmehr oft auch noch die Lösung des Problems zu, woher sie denn überhaupt etwas zum Kochen beschaffen sollen. Die Erfüllung beider Aufgaben mag noch so schwierig sein, sie bleibt doch fast unsichtbar. Bei unserer Suche nach AutorInnen für das vorliegende Heft geschah es nicht selten, daß unsere Frage nach der Rolle der Frauen im Bereich Küche und Kochen in Lateinamerika gar nicht verstanden wurde. Wir haben trotz intensiver Suche niemand gefunden, die/der sich einen umfassenden Beitrag darüber zugetraut hätte, wohl hat die Autorin des Beitrages zu Haiti beispielhaft herausgearbeitet, welchen Einsatz Frauen und Mädchen erbringen müssen, um ein bescheidenes Gericht für sich und ihre männlichen Familienmitglieder zuzubereiten. Ansonsten bleibt es leider bei einigen kurzen Bemerkungen in verschiedenen Artikeln.
Vielfältig dagegen sind die Aussagen zum Widerspruch zwischen der Armut der Menschen und dem – relativen oder tatsächlichen – Reichtum, den die Rezepte voraussetzen. Das reicht vom schlichten Ignorieren des Problems über den moralischen Zeigefinger – „Wie könnt Ihr bei all dem Elend eine Rezepte-Nummer machen?“ – bis zum hektischen schlechten Gewissen – „Wir müssen auf unseren Wohlstand verzichten!“
Wir glauben nicht, daß auch nur ein Mensch in Lateinamerika dadurch satter wird, daß wir nur noch Pellkartoffeln und Quark essen. Aber wir wissen auch, daß niemand satter werden wird, wenn wir den Kampf um Essen für alle nicht auch zu unserer eigenen Sache machen.