Vor wenigen Tagen ist unsere Mitarbeiterin Danuta Sacher aus Chiapas/Mexico zurückgekehrt. Als erste deutsche Journalistin hatte sie in der vom Zapatistischen Nationalen Befreiungsheer (EZLN) kontrollierten Zone Gelegenheit zu einem ausführlichen Exklusiv-Interview mit Subcomandante Marcos, dem Sprecher der EZLN, das wir auf acht Seiten in dieser Ausgabe publizieren. Außerdem berichtet sie in einem Beitrag über die angespannte Stimmung in der Region, wo die momentane Ruhe schnell wieder in einen offenen Konflikt umschlagen kann.

Soweit die Frühlingsstimmung mit aufkommenden Gewitterwolken. Tatsächlich gewittert hat es in Bolivien: Am Samstag, den 23. April, dem ersten Tag des Layouts dieser Ausgabe, meldeten die WDR-Morgennachrichten, daß es am Vortag in La Paz schwere Unruhen gegeben habe. Zu den Auseinandersetzungen war es gekommen, als die Polizei eine Gewerkschaftskundgebung gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik der Regierung Sánchez de Lozada, mit Gewalt auflösen wollte. Die dpa-Meldung über die Unruhen in Bolivien kam nicht über die samstäglichen Morgennachrichten hinaus, am darauffolgenden Montag war sie den hiesigen Tageszeitungen schon keine Kurzmeldung mehr wert. Weder wurde berichtet, daß es die Demo gegeben hatte, erst recht war nichts über die Hintergründe zu erfahren, die Massenentlassungen im Bergbau und im öffentlichen Dienst und die angekündigte Privatisierung weiterer, auch finanziell „gesunder“ Staatsunternehmen, wie der Erdölgesellschaft YFFB. Wen interessiert in der BRD schon der Protest einiger tausend verzweifelter ArbeiterInnen in der Dritten Welt, die bei der hochgelobten wirtschaftlichen „Gesundung“ Boliviens (eines IWF-Musterschülers) auf der Strecke bleiben?

Auch in der ila ließ die Berichterstattung über Bolivien bisher zu wünschen übrig. Umso mehr freuen wir uns, in dieser Ausgabe einen umfangreichen Schwerpunkt zu diesem Land vorlegen zu können. Darin kommen sowohl die Folgen der neoliberalen Wirtschaftspolitik zur Sprache als auch die Positionen bzw. das Dilemma der Gewerkschaften und der (ehemaligen) Linken. Während die Gewerkschaften mit dem Rücken zur Wand um eine neue Orientierung ringen, unterstützen viele ehemalige Linke die neoliberale Regierungspolitik und haben sogar Regierungsfunktionen übernommen, wie Vizepräsident Víctor Hugo Cárdenas oder die Staatssekretärin für Geschlechterfragen Sonia Montaña. Wie die letztgenannte waren viele weitere Spitzenfunktionäre der gegenwärtigen Regierung früher bei sozialen Nichtregierungsorganisationen (NRO) tätig, d.h. sie verfügen in der Regel über ein hohes Problembewußtsein und einen progressiven Diskurs. Worüber sie allerdings keineswegs verfügen, sind reale politische Macht und ökonomische Ressourcen, mit denen sie eine alternative Politik umsetzen könnten. Während sich der Staat weiter aus seinen sozialen Verpflichtungen zurückzieht und die unsoziale Wirtschaftspolitik durchgezogen wird, bemühen sich die ehemaligen NRO-FunktionärInnen in Regierungsämtern um internationale Finanzierungen für bescheidene soziale Kompensationsprogramme. (vgl. das Interview mit Sonia Montaño und den Beitrag zu den Kinderbrigaden in dieser Ausgabe) Über deren korrekte Abwicklung „wachen“ dann Regierungs-Berater von GTZ, AID und ähnlichen Organisationen. So wird linke Politik „realistisch“, und alles bleibt wie es ist.

Besonderen Dank richten wir an dieser Stelle an Michael Bünte, Anne Piepenstock und Albert Recknagel in La Paz bzw. Cochabamba, ohne deren engagierten und sehr kurzfristigen Einsatz diese Nummer nicht zustande gekommen wäre.