„Fernsehen macht fett“ zitierte die Frankfurter Rundschau eine wissenschaftliche Expertise und beschrieb hemmungslosen Konsum von Chips, Crackern und Schokolade vor der Mattscheibe. Daß täglicher Fernsehkonsum zudem einen gnädigen und isolierenden Fettfilm um die Gehirnzellen legt, ist hingegen noch nicht bestätigt worden. Als Arbeitshypothese bleibt die Vermutung aber bestehen, bis das Gegenteil bewiesen ist.

Warum schaffen sich die Bewohner der lateinamerikanischen Armenviertel lieber ein TV-Gerät an, wenn doch das Haus baufällig ist und das Schulgeld für die Kinder fehlt?

Warum muten sich in der BRD Millionen von Menschen Tag für Tag im Fernsehen das Arbeit„geber“geschwätz von Murmann, Stihl oder Blüm zu und lassen sich eine Diskussion darüber aufdrängen, ob Lohneinbußen um die 20 Prozent dazu beitragen können, ihren Arbeitsplatz zu retten oder gar einige neue zu schaffen, anstatt Rabbatz zu machen?

„Dort erfahren wir den neuesten Wert des Dollars“, sollen peruanische Bauern, trotz ihrer eigenen engagierten Radiostation vor Ort, über die nationalen Nachrichtensendungen gesagt haben. Auf die Frage, für was das gut sei, antworteten sie, für nichts, aber sie wären informiert.

Wie mit der Flimmerkiste nicht nur kulturelle Werte und Verkaufsverhalten beeinflußt, sondern auch Wahlen entschieden werden, bewies TV Globo beispielhaft in Brasilien: hohe Stimmenanteile erhielt der smarte – inzwischen wegen allzu heftiger Korruptionsaffairen „zurückgetreten wordene“ – Fernando Collor de Mello 1989 (Collor war wenigstens noch smart, aber Helmut…) besonders in den Favelas der großen Städte. Wer wird fett vom Fernsehen?

Die Forderung nach einer neuen internationalen Informations- und Kommunikationsordnung ist – wie der Wunsch nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung – längst Schnee von gestern: Die UNESCO, Forum der damaligen Auseinandersetzung um eine gerechtere internationale Medienordnung, strich sie selber von der Tagesordnung, um den USA und Großbritannien, die unter Thatcher und Reagan Mitte der achtziger Jahre ausgetreten waren, die Rückkehr schmackhaft zu machen. Die Großen sitzen fett am medialen Futtertrog, von dem sich bestenfalls einige Winzlinge und Piraten ein paar Brocken klauen. Was und wo gesendet wird, entscheiden Verkaufsstrategie und Monopolstellung.

Inzwischen hat sich das Fernsehen auch in Lateinamerika als wichtigstes Medium etabliert. Für die große Mehrheit ist es die einzige Informationsquelle und die billigste Unterhaltungsmöglichkeit, in den Städten auch die sicherste – natürlich ist die Gewalt auf dem Bildschirm besser als vor der Tür. Da draußen gewinnen die Guten nicht. Da draußen sind alle schlecht.

Más de lo mismo – mehr von dem, was wir schon haben – so kann man die Entwicklung des Fernsehens in Lateinamerika seit unserem letzten Schwerpunkt hierzu (ila 104, 1987) zusammenfassen. In der für Lateinamerika oft zitierten „verlorenen“ Dekade der 80er Jahre, in der sich die Kluft zwischen arm und reich rasanter vergrößerte als irgendwo sonst auf der Welt, gehörte die Kommunikationsindustrie zu den wenigen Wachstumsbranchen in der Region. Sie ist die einzige, in der größere Investitionen getätigt wurden.

Más de lo mismo, und die Fetten werden fetter. Muß es so sein, daß sich nur die „Fetten“ und ab und zu mal Greenpeace das Fernsehen zunutze machen? Oder verschlafen all die anderen, anständigen Initiativen, Politgruppen, Nichtregierungsorganisationen nicht gerade ein paar Chancen, während sie auf das Fernsehen schimpfen? Würde der peruanische Bauer nicht vielleicht doch ein paarmal von der Telenovela wegzappen, wenn das engagierte Lokalradio ein professioneller Lokalfernsehsender wäre? Weil Fernsehen nun mal so populär ist, wie es ist? Natürlich bräuchte dieser Lokalsender auch engagierte Goldesel, zum Beispiel auf unserer Seite des Ozeans. Gibt es vielleicht doch noch mehr Schlupflöcher für Winzlinge und Piraten im Dschungel der Massenkommunikation, als wir glauben? Schließlich gibt es auch hier Menschen, die die ila lesen, obwohl BILD und Die Zeit überall zu kaufen sind.