Lateinamerikanische Metropolen – da hupen die Autos, noch bevor sie angelassen werden, Busse mit intakten Auspuffen sind verpönt, Churrasco essen oder Ceviche, Pisco trinken oder Caipirinha geht natürlich nicht ab ohne satten Tango-, Merengue-, Samba- oder Cumbia-Sound, oder war es Chile con Salsa mit Cuba Libre und Carne? Bei Tegucigalpa fällt niemandem etwas von alldem ein. Das Gedächtnis ist voll damit beschäftigt, die Landkarte Lateinamerikas durchzuscannen nach einem eine Hauptstadt auszeichnenden dicken schwarzen Punkt, neben dem Tegucigalpa steht. Wenn wir, danach gefragt, welche lateinamerikanische Großstadt denn dieses Jahr in der ila portraitiert wird, Tegucigalpa genannt haben, gab es Kommentare wie „Wo ist denn das?“, „Das ist doch keine Metropole“, „Die liegt ja nicht einmal an der Panamericana“. Das ist ja ein Unterfangen, als ob man mitteleuropäische Urbanität mit Reportagen über und Berichten aus Stuttgart exemplifizieren wollte. Na und, der BUKO hat dieses Jahr in Heidelberg stattgefunden und letztes Jahr in Wuppertal! Und einmal war er sogar in Fulda.
Tatsache ist jedenfalls, daß Tegucigalpa die Hauptstadt von Honduras ist und mehr als eine Million EinwohnerInnen hat. Sie besitzt die Attribute eines aus allen Nähten platzenden Ballungsraumes. Aber es fehlt ihr vieles, was nach Meinung von uns MetropolenbewohnerInnen eine Metropole ausmacht, zum Beispiel die allabendliche Auswahl zwischen zwei Dutzend Konzerten von Konzernen; oder auch nach Meinung von anderen MetropolenbewohnerInnen zum Beispiel die alltägliche Auswahl zwischen zwei Dutzend internationalen Banken. Eine Frage der Perspektive.
Aus ganz anderen Gründen als die hiesigen Kommentare kennen die Bäuerinnen und Bauern im hintersten Lempira im Süden Honduras’, deren tägliche Ernährung in langen Trockenzeiten auf Tortillas mit Salz zusammenschrumpft, Tegucigalpa auch nicht, zuweilen auch nicht einmal dem Namen nach. Manche machen sich dann auf nach Gracias a Dios, das auch mal Hauptstadt von Honduras war, oder in die Bananenplantagen an der Nordküste (Chiquita – jetzt ist der Groschen gefallen), nach Tegucigalpa oder nach San Pedro Sula, wo es heutzutage mehr Arbeit gibt als in der Hauptstadt. Wollte man, aus wieder anderer Perspektive, jene Orte zu Metropolen erklären, wo Arbeitsplätze der globalen Wirtschaft entstehen für Leute, die mit den global miesesten Bedingungen vorlieb nehmen müssen, dann wäre eben dieses San Pedro Sula mit seiner boomenden Maquila-Industrie angesagt. In dieser Beziehung ist Tegucigalpa hinterher. Jetzt soll ein Wasserschutzgebiet geopfert werden, um die erste freie Produktionszone der Landeshauptstadt einzurichten – um den Anschluß an den Trend zu schaffen, der in den Metropolen-Metropolen ausgedacht worden ist.
Doch genug des Räsonnierens über den Metropolen-Charakter von Tegucigalpa. Jene, für die die Concièrge im 5. Arrondissement, die noch nie auf der anderen Seite der Seine war, geschweige denn auf dem Eiffelturm, mehr mit Paris zu tun hat als die Folies Bergères, werden sich in Tegucigalpa gut zurecht finden. Allen anderen drohen wir jetzt schon Portraits von Asunción und Cayenne an.
P.S. ila-Autoren sind mitunter sehr fleißige Leute und schreiben beileibe nicht nur für die ila. Im Juni ist bei Knaur ein Buch unseres Mexico-Korrespondenten Gerold Schmidt zum Kampf der ZapatistInnen erschienen. Es trägt den Titel „Der Indio-Aufstand in Chiapas – Versuch einer demokratischen Revolution“, hat 288 Seiten und ist für 15,90 DM im Buchhandel erhältlich. Fast zeitgleich haben die beiden Schriftsteller Carlos Alberto Azevedo und Walter Lingán, die zusammen mit Gaby Küppers die ila-Reihe „AusSprache“ betreuen, neue Bücher veröffentlicht. Der Roman „Os Herdeiros do Medo“ des in Hamburg lebenden Brasilianers Azevedo ist in Lissabon, der Roman „El Lado oscuro de Magdalena“ des in Köln lebenden Peruaners Lingán in Trujillo (Peru) herausgekommen. Auf den Seiten 55/56 finden sich kurze Ankündigungen der beiden Bücher mit den bibliographischen Angaben und Bezugsadressen. Wir werden alle drei Bücher in den nächsten Ausgaben ausführlicher vorstellen. Aber jetzt haben wir erstmal Sommerpause. Im August erscheint die ila nicht, für die LeserInnen die einmalige Gelegenheit, sich die ila-Artikel vorzunehmen, die sie in den letzten Monaten aus Zeitmangel nicht lesen konnten. Also schöne Ferien!