Zwanzig Jahre ila, 200 Ausgaben unserer Zeitschrift  – so weit hätte im Herbst 1976 niemand von uns gedacht. Damals, als die ila laufen lernte, waren die Jüngeren unter uns noch mit dem gleichen Phänomen beschäftigt. Die Veteranen hatten alle Hände voll zu tun, die (bis heute) ungesicherten Arbeitsabläufe der ila-Gruppe in regelmäßigere Bahnen zu lenken, auch wenn das „ila-info“ anfangs mehr ein Rundbrief als eine Zeitschrift war. Kaum war dies geschafft, da standen vier VertreterInnen der Argentinischen Menschenrechtskommission auf der Matte und baten uns, etwas zur Fußballweltmeisterschaft 1978 zu unternehmen. Wir sagten ja, und schon steckten wir voll in der Koordination der Kampagne „Fußball Ja – Folter Nein“, die erfreulich große Resonanz hatte und schnell an die Grenzen unserer Kräfte ging. Noch heute erinnern sich die damals Beteiligten an ihre Genugtuung, als der argentinische Trainer Menotti sich weigerte, bei den Feierlichkeiten für seine siegreiche Mannschaft den Juntagenerälen die Hand zu reichen. Wir versuchen uns Berti Vogts an Menottis Stelle vorzustellen…

Oder 1979, als in Nicaragua die Sandinistische Befreiungsfront FSLN auf der Woge eines Volksaufstandes die Diktatur des Anastasio Somoza hinwegfegte: War das eine tolle Zeit des internationalen Aufbruchs! Tausende von BrigadistInnen und HelferInnen gingen „nach drüben“ – und lernten so einiges von den Menschen und ihren Bedürfnissen und Beschränkungen (und häufig mehr noch über sich selbst). In der Karibik markierten die Jahreszahlen 1979 und 1990 Zeiten des Aufbruchs und der Hoffnung. In Grenada kamen Maurice Bishop und das New Jewel Movement  an die Regierung, in Haiti wurde Jean Bertrand Aristide zum Präsidenten gewählt.
Die große Hoffnung Chile war schon vor ila-Zeiten von Soldatenstiefeln zertreten worden, ein Schicksal, das auch den oben genannten nicht erspart blieb. Immer waren es unsere Hoffnungen, deren Erfüllung die Mächtigen um jeden Preis zu verhindern suchten.

Und die gingen mit brutaler Gewalt vor. Da waren die Kriege gegen die Menschen in Chile, Uruguay, Argentinien, Guatemala, El Salvador, Grenada, Nicaragua, Panama; so gut wie immer waren die Amis auf irgendeine Art beteiligt. Und bei (fast) jeder Schweinerei war die BRD dabei. Da waren menschenfeindliche Großprojekte wie die Stauseen von Sobradinho und Itaparica in Brasilien, an denen auch deutsches Kapital kräftig verdiente. Wir erreichten viele Menschen mit einer Kampagne dagegen, verhindern konnten wir die Projekte und die Massenvertreibungen freilich nicht. Und da ist die Verschuldung, die perfideste Form des modernen Kolonialismus. Immerhin tat es gut, den Bankern 1988 in Berlin (anläßlich der IWF-Weltbank-Tagung) ordentlich in die Suppe zu spucken.

Die vielen „Sauereien“ gegen die Menschen in Lateinamerika – und wie diese sich wehrten – waren immer auch Thema unserer Zeitschrift. Auf’s engste mit der Solibewegung verbunden, waren die RedakteurInnen mittendrin auf den Demos oder in den Debatten. Die Auseinandersetzung mit der autoritären westdeutschen Staatsgewalt war dabei oft ein nicht unwesentlicher Begleitfaktor. Emanzipation hieß das objektive Leitmotiv, das zwanzig Jahre lang Hunderttausende von Menschen in Bewegung brachte und auch uns motivierte.

Zwanzig Jahre ila – Welch ein Stapel von bedrucktem Papier (fast 10 000 Seiten)! Wir wollen einige der für uns wichtigen Themen und Fragen in dieser Ausgabe noch einmal skizzieren. Dabei sollen die damaligen Beiträge und damit jene Zeit selber „sprechen“. Aber nach welchen Kriterien sollten wir 20 ila-Jahrgänge auf das Maß einer Ausgabe reduzieren? Die einen meinten, im Mittelpunkt müßten Ereignisse und Entwicklungen stehen, die in Lateinamerika wichtig waren, andere wollten die Betonung auf die hiesige Solibewegung legen. Wieder andere argumentierten, die ila habe sich gerade dadurch ausgezeichnet, daß sie vieles ansprach, was neben dem Mainstream lag. In langen Arbeitssitzungen wählten wir letztlich eine Mischung aus all dem aus. Oft sind es die Beiträge, die wir deshalb noch im Kopf hatten, weil sie in der Redaktion seinerzeit intensiv diskutiert wurden oder kontroverse Reaktionen provozierten. Um möglichst viele Aspekte in diesem Heft anzusprechen, wurde einiges gekürzt. Außerdem haben wir einiges redaktionell bearbeitet, ohne Inhalt und Stil zu verfälschen. Um unser historisches Material verstehbarer zu machen, mußten Vorspänne und manche Zwischenüberschriften neu geschrieben werden.

Ein weiteres Problem bei der Auswahl der Beiträge war der Daumen unseres Kassierers. Der zeigt nämlich stereotyp nach unten: viel zu teuer, ihr wißt doch, wie unsere Finanzen aussehen! Also weiter kürzen, noch einen Beitrag rausschmeißen. Schließlich meinten wir, jetzt sei genug geschnitten. Aber wie den doppelten Umfang bezahlen? Da fiel uns ein, wie es die GenossInnen unserer US-amerikanischen Schwesterzeitschrift „nacla – report on the americas“ vor Jahren gemacht hatten: Befreundete Gruppen, Organisationen, Zeitschriften und Verlage sollten bezahlte Glückwunsch- oder sonstige Anzeigen in ihrer Jubiläumsausgabe schalten. Das haben wir mit erfreulicher Resonanz kopiert. Die Hälfte der Zusatzkosten für diese Ausgabe konnte so finanziert werden. Wir bedanken uns bei allen InserentInnen ganz herzlich! Besonders danken möchten wir dem Druckladen in Bonn, der uns das farbige Titelbild und das bessere Papier zum Geburtstag schenkte. Aber da wäre noch die andere Hälfte der Mehrkosten dieser dicksten aller ilas. Die steht noch offen, und wir hoffen, daß unsere LeserInnen uns ein paar Spenden ‘rüberschieben oder ganz viele Exemplare der ila 200 bestellen und unter die Leute bringen…

Zwanzig Jahre ila – das war immer auch ein Ausprobieren und Experimentieren! Lange Zeit glaubten wir, mit alternativen Medien und Öffentlichkeit Impulse in die Gesellschaft bringen zu können und positive Veränderungen zu stimulieren. Bis die geballte Reaktion in den achtziger Jahren nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine kulturelle Trendwende einleiten konnte.

Die ila ist mit der Bewegung in die Defensive geraten. An die Stelle von Highlights und Erfolgen sind Beharrlichkeit und Stehvermögen getreten. Als Zeitschrift hat sich die „ila“ professionalisiert und etabliert. Sie wird heute in den einschlägigen entwicklungspolitischen Organisationen und Institutionen ebenso gelesen wie an der Basis der Solidaritätsbewegung. Natürlich wissen wir längst nicht immer, wo es lang geht. Aber das, stellten wir bei der Lektüre der alten ilas fest, war früher auch nicht anders. In den Beiträgen, die wir gesichtet haben und hier wiederveröffentlichen, finden sich (manchmal recht belustigende) Fehleinschätzungen neben „Treffern“. Zweifellos gab und gibt es Grundpositionen: Noch immer steht jede/r in der ila bedingungslos für Demokratie und Selbstbestimmung. In einer Zeit, die von einer hoffnungslos entmündigenden, alles zentralisierenden und gleichmachenden Werbe-High-Tech-Kapital-Standort-Idiotie beherrscht wird, möchten wir die Möglichkeiten einer selbstbestimmten Demokratie und einer demokratischen Kontrolle der Wirtschaft, jenseits allen esoterischen Geschwätzes von irgendwelchen Selbstheilungskräften des Marktes, ausdrücklich hervorheben. Gegen den Strom wie eh und je!

Zwanzig Jahre „ila“ waren so gesehen auch zwanzig Jahre emanzipatorische Arbeit ohne gesellschaftliche Emanzipationsfortschritte. Aber wäre diese dumpfe deutsche Gesellschaft ohne Projekte und Initiativen wie die ila nicht noch unerträglicher, als sie es heute ist? Sicherlich. Ob es sich also gelohnt hat? Und ob es sich gelohnt hat!

Eure ila