In der ila und anderen Publikationen zu Lateinamerika wird eine Region fast völlig ausgeblendet: der Nordosten des Subkontinents, die Länder Guyana, Surinam und Französisch Guyane. Die Gründe dafür sind vielfältig. Obwohl in Lateinamerika gelegen, sind sie nicht Teil des iberoamerikanischen Kulturkreises, es wird dort nicht spanisch oder portugiesisch gesprochen, sondern französisch, niederländisch, englisch, vor allem aber Kreol in zahlreichen Varianten. Kulturell und kolonialgeschichtlich gehören „die drei Guyanas“ (Surinam hieß bis zur Unabhängigkeit 1975 „Niederländisch Guyana“) zur Karibik. Sie sind aber nicht nur durch AfroamerikanerInnen geprägt, sondern auch stark durch Menschen asiatischer Herkunft, deren Vorfahren als KontraktarbeiterInnen auf die Zuckerrohrplantagen gebracht wurden und die heute in Guyana und Surinam die Bevölkerungsmehrheit stellen. In beiden Ländern leben kleine Gruppen von Indígenas, die den tropischen Regenwald besiedeln. In ihrem Lebensraum fallen heute die internationalen Holzunternehmen über die noch weitgehend intakten Regenwälder her. Die sprachliche und kulturelle Eigenheit und die enge Anbindung an die (ehemaligen) Kolonialmächte haben bislang verhindert, daß die Guyanas intensivere Beziehungen zu ihren lateinamerikanischen Nachbarn aufbauen.
Guyana, das ehemalige Britisch-Guyana, ist heute ein zerrissenes Land, in dem große Spannungen zwischen den EinwohnerInnen afrikanischer und indischer Abstammung existieren. Die ethnische Zusammensetzung ist ein Produkt des Kolonialismus: Nach Abschaffung der Sklaverei „importierten“ die Briten KontraktarbeiterInnen aus Indien für die Arbeit auf den Plantagen. Zur Konsolidierung ihrer Herrschaft förderte die Kolonialmacht fortan die Widersprüche zwischen beiden Bevölkerungsgruppen. Als sich in den fünfziger Jahren eine zunächst gemischtrassische antikoloniale Bewegung formierte, gelang es den Briten, diese entlang der ethnischen Grenzen zu spalten. Es folgten drei Jahrzehnte Vorherrschaft der AfroguyanerInnen, davon 20 Jahre faktische Diktatur von Forbes Burnham. Vor drei Jahren kam schließlich die „Wende“. Cheddi Jagan, der aus der indoguyanischen Bevölkerungsgruppe stammende legendäre Führer der antikolonialen Opposition, wurde Präsident und setzte wichtige Akzente zur „Entethnisierung“ der Politik.
Surinam ist seit 1975 unabhängig. Das Land ist dennoch nach wie vor von der Hilfe der ehemaligen Kolonialmacht Niederlande abhängig. Weder die zivilen PolitikerInnen aus dem streng nach ethnischen Kriterien organisierten Parteienspektrum, noch die Militärs, die seit dem Putsch von 1980 die wichtigste Macht im Staat sind, zeigen sich in der Lage, eine Zukunftsoption für Surinam zu entwickeln.
Guyana und Surinam sind extrem dünn besiedelt. Auf einer Fläche größer als die der BRD leben gerade mal 1,2 Mio. Menschen (Guyana 750 000, Surinam 420 000). Das koloniale Erbe, Diktaturen und Mißwirtschaft haben die potentiell reichen Länder so heruntergewirtschaftet, daß die meisten BewohnerInnen – insbesondere die jüngeren – keine Lebensperspektive sehen und ihr Heil in der Migration suchen. In den Niederlanden leben über 200 000 SurinamerInnen, in Großbritannien, den USA und Kanada annähernd so viele GuyanerInnen wie im Land selbst.
Während viele in Guyana und Surinam Geborene heute in Europa leben, ist es in Franz. Guyane eher umgekehrt. Dort wohnen zu einem hohen Prozentsatz „GastarbeiterInnen“ aus Frankreich. Hintergrund ist der Weltraumbahnhof Kourou, die Basis des europäischen Raumfahrtprogramms. Das hohe Lohnniveau und die Möglichkeit, französische Sozialleistungen zu beziehen, haben dazu geführt, daß im Land kaum etwas produziert und nahezu alles aus Europa eingeführt wird.
PS. Einen Tag vor der Drucklegung dieser Ausgabe stürmten peruanische Militärs die japanische Residenz in Lima und ermordeten alle MRTA-BesetzerInnen. Wir haben kurzfristig einiges im Heft umgestellt und uns um aktuelle Beiträge und Stellungnahmen aus Peru bemüht (s. S. 31 ff.).
PPS. Der letzten ila lag ein Fragebogen für unsere LeserInnenumfrage bei. Der Rücklauf ist bisher schon erfreulich, aber für eine repräsentative Stichprobe reicht es noch nicht. Gebt Euch also einen Ruck und sagt uns die Meinung!