Am 15. August – es war ein Freitag – gab es einen Crash an der New Yorker Börse. Zum Glück für die Börse verhielten sich die „guten Deutschen“ am Montag nach jenem schwarzen Freitag kühl und überlegt, so daß die Einbrüche aufgefangen werden konnten. Wie gut, daß es uns Deutsche gibt, die nun endlich auch die Börse für sich entdeckt haben, jenes phantastische Mysterium, aus deren Schoß in unvorhersehbaren Zeitabschnitten immer wieder auf wunderbare Weise große Mengen an Werten entsprießen, für die es keine Deckung im wertebildenden Bereich der Produktion gibt. Das Mysterium Börse, die größte Niederlage aufgeklärten Denkens seit der Inquisition? Wie auch immer: Die Betuchten dieser Welt (und die, die es gern werden möchten) verrichten zu jeder Tages- und Nachtzeit an jenem heiligen Schrein ihr monotones Gebet.

Und weil sie dem Götzen Mammon huldigen, machen sie aus sozialen Glaubensbekenntnissen und Menschen achtenden Religionen Teufelswerk und „bösartigen Voodoo-Zauber“. Rechte christliche Sekten mit ihrem (vor allem sozial) faulen Zauber scheinen den Mammon-Anbetern keine Bauchschmerzen zu bereiten. Christlich motivierte Emanzipationsbewegungen hingegen scheuen sie ebenso wie soziale Bewegungen auf Basis anderer Religionen mit emanzipatorischem Ansatz.

In diesem Sinn kämpften die Quechua und Aymara im Andenhochland jahrhundertelang immer wieder gegen die spanischen Kolonisten und deren Nachfolger. Ebenso lange wurden sie umgebracht, gefoltert und erniedrigt, ihre Religionen verteufelt und ihre Symbole verbrannt.

In dieser ila-Ausgabe skizzieren wir den Glauben jener Menschen, der in ihre sozialen Zusammenhänge eingebettet ist; zeigen das Menschenverbindende in ihrer Religion, das im krassen Gegensatz zur Menschenverachtung der herrschenden Macht mit ihrer Quasireligion steht. Wir wollen zeigen, daß man/frau auch in einem dualen Weltbild leben und glauben kann, das nicht antagonistisch ist – hier das Gute, dort das Böse, ohne „ge- und verzaubertes“ Geld. Die andinen Religionen, die die Gegensätze integrieren, weisen vielleicht einen Weg auf. Alles wird durch ein Anderes ergänzt und Keines kann existieren ohne das Andere. Denn wer begriffen hat, daß die Erde „ihre“ Kinder nährt, kann auch vertreten, daß die Erde kein Beuteobjekt sein darf und daß behutsam umgegangen werden müßte mit Pachamama und ihren Kräften.

Zum Er-kennen aber, was da läuft, oder gar zum sozial sinnvollen Re-agieren dagegen reicht es nicht, indianische Kulturelemente (austauschbar mit afrikanischen, fernöstlichen) losgelöst aus ihrem Zusammenhang, stückchenhaft herauszupicken. Steine auflegen, Trommeln, Flöten, Tanzen, „Ging und Gong“ mögen Spaß machen, verzerren aber das Andere und führen – für sich allein – nicht zum Verstehen des Fremden.

Die Beiträge in unserem Schwerpunkt bemühen sich, die Sicht der Indígenas wiederzugeben und uns deren Welt- und Glaubensvorstellungen näherzubringen, fernab von jedem folkloristischen Kitsch und Tamtam. Sie zeigen, wie sehr jedwedes Wesen in der indianischen Kosmovision seine Daseinsberechtigung und seinen Sinn hat und weisen nach, daß die Übernahme christlicher Elemente nicht als Schwäche auszulegen ist – im Gegenteil: Sie widersetzen sich. Beharrlich haben sie an ihrer Weltanschauung festgehalten. Sie gaben sich fromm in Anwesenheit des Priesters und schlüpften in ihre „alte Haut“, sobald er weg war. Und die Kleriker ahnten nicht, was dahinter stand, wenn sie die Jungfrau Maria und andere Heilige anbeteten.

Die Quechua und Aymara versuchten und versuchen, in ihrer Religion ein letztes Stück der Mutter Erde, ihrer gemeinsamen Lebensgrundlage, vor Privatisierung und Untergang zu retten, um in Würde zu überleben und ihre Identität zu wahren bzw. wiederzufinden. Auch hier hätten die Industrieländler großen Nachholbedarf.

Was die andinen Religionen weder verstehen noch akzeptieren konnten, war ein Gott, der keine Konkurrenz duldete. Eine Gesellschaft, die viel Kraft aufbringt, die menschlichen Beziehungen zu harmonisieren, lebt mit unterschiedlichen Göttern und Göttinnen. Schauen wir dagegen in Gesellschaften mit den größten Disharmonien und einer allgegenwärtigen Konkurrenz, finden wir dort (noch) die meisten AnhängerInnen eines einzigen und konkurrenzlosen Gottes.