Am 9. Oktober jährt sich zum 30. Mal der Tag, an dem der argentinische Revolutionär Ernesto „Che“ Guevara ermordet wurde. Dieser Jahrestag wirft bereits seit langem seine Schatten voraus, auch wenn die Che-Begeisterung in der Bundesrepublik nicht das Ausmaß erreicht hat wie in Lateinamerika, Spanien, Italien oder Frankreich. Nichtsdestotrotz haben die großen bundesdeutschen Presseorgane vom Spiegel bis zur FAZ Che längere Artikel oder ganze Schwerpunkte gewidmet, entdeckt die Werbung den antikapitalistischen Revolutionär, um bestimmte Zielgruppen besser zu bedienen, drucken Popgruppen Ches Konterfei auf ihre Plattencover oder bieten die Reisebüros im Willy-Brandt-Haus (SPD) und im Karl-Liebknecht-Haus (PDS) in trauter Eintracht eine „Abenteuer-Studienreise – Auf den Spuren von Che Guevara“ nach Bolivien an – für die, die sich 4999,- DM für 14 Tage Pfadfinderurlaub leisten können.
Wer war dieser Che, der nach 30 Jahren Tod selbst die sensationsgeilen Bürgermedien noch einmal zu größeren Meldungen bewegen kann? Von politisch und sozial entschieden bedeutenderen Revolutionären der 3. Welt, wie etwa Mao Tse Tung oder Ho Tschi Minh schreibt, spricht, sendet keiner. Die Bedeutung kann es also nicht sein. Gehen wir zurück in das Jahr 1967: Der erste Sputnik war aus einem real-sozialistischen Land erfolgreich in den Weltraum befördert worden. Auf Cuba hatte sich eine eben solche Regierung etabliert, in Europa begann die Jugend den Aufbruch in „ihre“ Kulturevolution zu wittern, in Vietnam standen die USA vor ihrer ersten großen historischen Niederlage gegen die Kräfte der nationalen Emanzipationsbewegungen der Welt, die von der Entwicklung des Weltkapitalismus nolens volens selbst erschaffen worden waren.

Aufbruch und Hoffnung auf sinnvoll lenkbare bessere Zeiten – so lauteten die Signale jener Zeit, in der sich auch Che aufmachte, um den Menschen dieser Welt seine politische Losung vor die empfindlichen Nasen zu plazieren. Die cubanischen Revolutionäre hatten vorgeführt, daß es möglich war, die entstandenen Machtverhältnisse durch Gewalt zu verändern, und es schien damals ebenso möglich, mit Macht und Vernunft eine bessere, sprich menschlichere Gesellschaft zu denken und zu errichten. Und wo etwas möglich ist oder scheint, gibt es immer ProtagonistInnen, die dies auch zu realisieren versuchen. Mao, Che, Ulrike Meinhoff, … wer auch immer, wo auch immer, wie auch immer.
Heute haben die meisten Leute das Gefühl, sinnvoll gelenkte Veränderung sei überhaupt nicht möglich. Und wenngleich auch uns in der ila dieses Gefühl manchmal zu überwältigen droht, wenden wir uns rational entschieden dagegen, daß nicht möglich sein soll, Gesellschaftsprozesse mehr als nur über die bekannten Mechanismen von Laissez-faire, Geld, Männerbündelei und/oder mafiöses Gebaren „lenken“ zu können. Noch immer glauben wir daran, daß es sinnvolle Steuerungsmechanismen gibt, die es zu finden und anzupacken gilt. Und diese Haltung und Hoffnung hat maßgeblich Anteil daran, daß wir uns auch heute noch mit Che, diesem militaristischen und voluntaristischen Verkörperer von Hoffnung auseinandersetzen, und zwar nicht, weil wir die militärische Auseinandersetzung für besonders erstrebenswert halten, sondern weil wir wie Che glauben, daß es etwas jenseits von Macht und Kapital gibt, für das es sich zu kämpfen lohnt.

Wir haben für diesen Schwerpunkt Menschen aus neun lateinamerikanischen und europäischen Ländern um Beiträge gebeten, in denen sie die historische Rolle Ernesto Guevaras und seine Bedeutung für die Gegenwart beschreiben sollen. Wir haben uns bewußt um sehr unterschiedliche Beiträge bemüht, von einem alten Mitkämpfer Ches aus der cubanischen Bewegung des 26. Juli bis hin zu Jugendlichen aus den Armenvierteln der kolumbianischen Metropole Medellín oder aus der hiesigen Musikszene.

Das Heft will vor allem eine politische Auseinandersetzung führen, sowohl mit denen, die mit ihren Artikeln über Che eine ganze Epoche entsorgen und die Möglichkeit revolutionärer Veränderungen negieren wollen, als auch mit denen, die Che heute abfeiern und/oder vereinnahmen und seine Konzepte unkritisch als tauglich für eine aktuelle politische Praxis anpreisen. Also allerhand Diskussionsstoff. Viel Spaß beim Lesen!

P.S. Ab dieser Ausgabe beginnen wir in Zusammenarbeit mit Brasilien-Solidaritätsgruppen und dem „Rechtshilfefonds für Landkämpfe in Mittelamerika“ mit regelmäßigen Berichten über Landkonflikte in Lateinamerika. Wir haben auch bisher schon über Landkämpfe berichtet, wollen dies aber in Zukunft noch systematischer und intensiver tun.