400 000 Frauen arbeiten in Deutschland in der Prostitution. Das Gewerbe verzeichnet einen Umsatz von 10 bis 11 Milliarden Mark und kommt damit dem von Konzernen wie Nixdorf oder AEG gleich. Ungefähr 1,2 Millionen Männer nehmen täglich bezahlte sexuelle Dienstleistungen in Anspruch. Prostitution ist bei uns nicht verboten, gilt laut Gesetz aber als „sittenwidrig“. Dies führt dazu, daß Sexarbeit keinerlei arbeitsrechtlichen Normen unterliegt. Prostituierte können weder ihr Geld einklagen, wenn ein Freier sie nicht bezahlt oder sie betrügt, noch haben sie ein Anrecht auf Krankenversicherung, Urlaub oder Mutterschutz. Da die Förderung von und die Werbung für Prostitution Straftatbestände sind, können SexarbeiterInnen nicht angestellt werden. Wollen sie aus der Prostitution aussteigen, bekommen sie weder Arbeitslosenhilfe noch eine Umschulung durch das Arbeitsamt. Versuche, mittels gesetzlicher Änderungen Prostitution als Beruf anzuerkennen, sind bislang gescheitert. Erst am 14. Januar gab es diesbezüglich eine öffentliche Anhörung des Frauen- und Rechtsausschusses des Bundestags.
Die Situation von MigrantInnen im Sexgeschäft ist noch weitaus schwieriger als die der Deutschen. Woher die Frauen – aber auch Männer – kommen, ist von Region zu Region unterschiedlich. Sie reisen als Touristinnen ein, wodurch ihre Beschäftigung von vornherein illegal ist. Dadurch sind sie besonders stark der Willkür und Ausbeutung von seiten der BordellbetreiberInnen, Behörden und der Polizei ausgesetzt. Oft sitzen sie in einer Schuldenfalle, die sie von der Gunst oder Mißgunst ihrer geschäftstüchtigen „VermittlerInnen“ abhängig macht.
Einige feministische Strömungen sehen in der Prostitution die „Front des Patriarchats“, in der sich am deutlichsten die Warenbeziehung und das Machtverhältnis zwischen Mann und Frau ausdrückt. Andere halten Sexarbeiterinnen für selbstbestimmte Wirtschaftssubjekte, die ihr eigenes Geld verdienen und deshalb unabhängiger sind als manch andere Frauen. Die Huren selbst, die sich seit den 70er Jahren in eigenen Organisationen zusammengefunden haben, wehren sich oft gegen derlei Interpretationen und Fremdbestimmung. Sie kämpfen gegen Ausgrenzung und für gesellschaftliche Anerkennung.
In Lateinamerika prostituieren sich Menschen zumeist aus Armut. Frauen bilden – ebenso wie in Deutschland – die größte Gruppe. Aber auch Männer und Transsexuelle verkaufen ihre Körper. Sogar Kinder gehen auf den Strich, weil sie keinen anderen Ausweg sehen. Viele werden von skrupellosen GeschäftemacherInnen sexuell mißbraucht und ausgebeutet. Die jeweiligen Beweggründe und Ausgangssituationen sind unterschiedlich. Alle sind aber davon betroffen, daß Sexarbeit – auch wenn dies in Beschäftigungsstatistiken nicht erfaßt wird – zum informellen Sektor gehört und von dessen unrühmlichen Charakteristika geprägt ist: ungeschützt, unkontrolliert, oft klammheimlich und nach den Gesetzen des wilden kapitalistischen Marktes geregelt.
Dieser Schwerpunkt über Prostitution und sexuelle Ausbeutung gab auch der ila-Redaktion Anlaß zu angeregten Diskussionen. Kreuz und quer führten die Debatten. Konsens ist, daß die sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen geächtet und bestraft werden muß. Bei Erwachsenen muß es Ziel sein, die Arbeit von Huren und Strichern rechtlich anzuerkennen und anderen ArbeitnehmerInnen des formellen Sektors gleichzustellen. MigrantInnen in der Prostitution dürfen nicht länger besonderen Ausbeutungsverhältnissen ausgesetzt sein, nur weil sie hier angeblich illegal leben, denn kein Mensch ist illegal!
Ein positives Beispiel, wie zumindest die legale Situation verbessert werden kann, ist Uruguay, wo sich die Huren Rentenansprüche und die Mitgliedschaft ihrer Organisation im einzigen Gewerkschaftsdachverband erkämpft haben. (Frau und man stelle sich einmal vor, die DGB-Gewerkschaften würden SexarbeiterInnen vertreten) Es ist jedoch klar, daß allein durch die rechtliche Anerkennung des Berufs ProstituierteR seine gesellschaftliche Diskriminierung nicht beseitigt wird. Dies wird nur gelingen, wenn eine Gesellschaft grundsätzlich ein anderes Verhältnis zur Sexualität in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen entwickelt. Allerdings werden hierbei die Positionen sicherlich auseinandergehen, z. B. in der Frage, ob Prostitution einen Platz in einer gesellschaftlichen Utopie hat/haben muß…
Wir haben uns mit dieser Ausgabe an ein neues und sicherlich nicht einfaches Thema herangewagt. Alleine hätten wir das sicher nicht geschafft. Wir danken deshalb allen, die uns durch Diskussionsbeiträge, Material und Artikel unterstützt haben, besonders den Mitarbeiterinnen von Agisra in Frankfurt.