„Das Land denen, die es bebauen, die Freiheit denen, die sie sich nehmen“, steht an einer Hauswand im aufständischen Chiapas. In Lateinamerika ist der Kampf um Land – wieder – in vollem Gange: sowohl in Ländern wie Brasilien und Mexico, deren Mächtige und Reiche das Land schon mehr als Industrie- denn als Agrarstaat verkaufen wollen, als auch in eindeutig agrarisch geprägten Ländern wie Paraguay oder Guatemala. Angesichts gescheiterter Industrialisierungsversuche, städtischer Verelendung und fehlender staatlicher Konzepte zur Versorgung weiter Bevölkerungsteile wird die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse für viele LateinamerikanerInnen zum zentralen Problem. Noch immer versucht ein beträchtlicher Teil von ihnen, dies über die Bewirtschaftung einer kleinen Landparzelle zu lösen, mit dem Anbau von Mais, Bohnen und anderen Grundnahrungsmitteln, und hofft, daß auch noch etwas übrig bleibt, was sich zu Markte tragen läßt.
Von einer Renaissance der Subsistenz-Landwirtschaft zu sprechen wäre allerdings eine Fehlinterpretation. Die Bäuerinnen, Bauern und Landlosen kämpfen kaum um die Durchsetzung eines übergreifenden Konzeptes von Selbstversorgung. Vielmehr geht es ihnen ums Überleben. Das hört sich pathetisch an – angesichts der Armut und des stetig wiederkehrenden Kampfes um die tägliche Tortilla ist es das auch. Kein Wunder also, daß die Organisationen, die sich den Kampf um Land auf ihre Fahnen geschrieben haben, in Lateinamerika zur stärksten sozialen Bewegung geworden sind.
Die Forderung nach einer Landreform ist alt. Das letzte Mal, als sie in Lateinamerika so laut wurde, daß sie auch in Europa in breiteren Kreisen gehört wurde, war verbunden mit den aufstrebenden Versuchen nationaler Befreiung. In den sechziger und siebziger Jahren nahmen Guerillagruppen die Forderung auf, um über eine Veränderung der Landbesitzverhältnisse die Machtstrukturen aufzuknacken. Die Aufständischen sind tot oder in die Parlamente eingekehrt. Die von ihnen bekämpften ungleichen Besitzverhältnisse am Produktionsmittel Land blieben bestehen.
Probleme wie die neoliberale Strukturanpassung kamen hinzu bzw. kommen wie die ökologische Krise erst in den Blick. Zudem machen Schwankungen der Weltmarktpreise für landwirtschaftliche Produkte das Wirtschaften für Kleinbetriebe schwierig, und Dumpingexporte aus den USA und der EU ließen die Landwirtschaft in die Krise geraten.
Angesichts dessen fordern Campesina/o-Gruppen nicht mehr nur Landverteilung, sondern eine integrale Agrarreform. Dahinter verbirgt sich die Einsicht, daß die Verteilung von Land zwar eine unabdingbare Voraussetzung ist, um würdige und gerechte Lebensbedingungen für die Landbevölkerung zu schaffen. Doch ist den Bäuerinnen und Bauern (in spe) auch klar, daß ihnen ein Stück Boden unter den Füßen allein nicht ausreicht. Sie müssen auch in der Lage sein, ihren Landbesitz abzusichern: wirtschaftlich, juristisch, ökologisch, politisch. Was nützt der beste Boden, wenn nach kurzer Zeit ein Großgrundbesitzer oder Agrarmulti kommt und ihn sich unter den Nagel reißt? Sei es, daß eine Campesina keinen Besitztitel, sondern nur einen Berechtigungsschein für das Land vorweisen kann, der vor Gericht keinen Wert hat. Sei es, daß ein Campesino seine Produkte nicht zu vernünftigen Preisen verkaufen und die Kredite nicht zurückzahlen kann, die er aufgenommen hat, um das Land zu kaufen. Oder sei es, daß der Boden auf Teufel komm’ raus ausgebeut et wird und nach wenigen Jahren ausgelaugt oder erodiert ist.
Notwendig wäre daher eine Absicherung der kleinbäuerlichen Existenzen durch eine gezielte politische Unterstützung. Doch die Regierungen Lateinamerikas verstehen Landwirtschaft in erster Linie als Devisenquelle, Landbevölkerung als überflüssig oder bestenfalls als Reservearmee für die kaum existente Industrie. Ihre Agrarpolitik richtet sich an den Interessen der Großgrundbesitzer aus.
Die Solibewegung hat den Ruf nach Land aufgenommen. Das Infobüro Nicaragua gründete gemeinsam mit den Infostellen El Salvador und Guatemala einen „Rechtshilfefonds für Landkämpfe in Mittelamerika“, die Menschenrechtsorganisation FIAN unterstützt gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft den Kampf um eine Agrarreform in Brasilien, um nur zwei Beispiele zu nennen. Die ila möchte ihren Teil beitragen: „Das Land denen, die es bebauen, die Freiheit denen, die sie sich nehmen“.