„Montevideo ist toll“, hört man oft von Menschen, die die Hauptstadt Uruguays besucht haben. Fragt man nach, was denn so „toll“ sei, verliert sich die Antwort in vagen Armbewegungen: Atmosphäre, Leute, Lebensart und überhaupt…

Sicher hat die Stadt einiges zu bieten: eine schöne Altstadt – die abblätternden pittoresken Fassaden springen nicht sofort ins Auge –, ein relativ gut konserviertes Zentrum, die Lage am Río de la Plata, eine ausgesprochene Kultur des Lebens in den Straßen. Die Stadt ist mit ihren gut eine Million EinwohnerInnen überschaubar, die Luft ist noch gut, die Straßen sind auch nachts ziemlich sicher, die Armut ist nicht so massiv und aggressiv wie andernorts in Lateinamerika…

Auch wenn Montevideo im lateinamerikanischen Maßstab eine kleine Metropole ist, für Uruguay ist es DIE Stadt schlechthin. In der ila-Redaktion (und wohl auch unter unseren LeserInnen) wußte kaum jemand die zweitgrößte Stadt des Landes zu benennen (sie heißt Paysandú und hat gerade mal 100 000 EinwohnerInnen). Im Großraum Montevideo konzentriert sich die Hälfte der BewohnerInnen des Drei-Millionen-Landes, dazu alle relevanten Unternehmen, Betriebe, Institutionen, Bildungseinrichtungen. Dort befinden sich auch der Hafen und der einzige internationale Flughafen Uruguays. Für MontevideanerInnen ist der Rest des Landes einfach nur das „Interior“, das Landesinnere, wo nichts los ist.

In Montevideo gibt es – vor allem bei älteren Leuten – eine gewisse Tendenz, die Vergangenheit zu glorifizieren. Früher hätten Wohlstand und Sicherheit geherrscht, Schul- und Gesundheitswesen seien vorbildlich gewesen, ganz Lateinamerika habe Montevideos Theater und Orchester bewundert, und im Fußball seien die beiden großen Clubs der Stadt (Peñarol und Nacional) ohnehin die besten der Welt gewesen. Da mag etwas dran sein. Die dreißiger und vierziger Jahre, als die Weltmarktpreise für Fleisch, Wolle und Leder explodierten, waren die „goldenen Jahre“ Uruguays. Eine im lateinamerikanischen Maßstab hohe Verteilungsgerechtigkeit ließ auch die ärmeren Gesellschaftsschichten an diesem Wohlstand teilhaben. Doch als die Weltmarktpreise für Uruguays Exportprodukte ab den fünfziger Jahren fielen und die auf den kleinen Binnenmarkt ausgerichtete Industrie immer stärker der internationalen Konkurrenz ausgesetzt war, ging es mit dem Wohlstand bergab.

Aber es ist falsch, in Montevideo das Positive nur in der Vergangenheit zu sehen. Seit dem Ende der Militärdiktatur im Jahre 1985 ist vieles in Bewegung geraten. 1990 siegte die Linke erstmals bei den Kommunalwahlen. In den folgenden Jahren konnte sie mit einer an den Interessen der Menschen orientierten Politik viele soziale Verbesserungen erreichen und Sympathien in allen Sektoren der Gesellschaft gewinnen. Dezentralisierung von Macht und Entscheidungen sowie Partizipation der Bevölkerung wurden zu erklärten Zielen der städtischen Politik.

Heute ist in der Stadt vieles im Umbruch. Heftig wird darum gestritten, wie die Zukunft gestaltet werden soll. Die einen (die konservative Nationalregierung) wollen die Hauptstadt des Wirtschaftsblocks Mercosur zu einem modernen Dienstleistungszentrum ausbauen und sie nach den Bedürfnissen der Investoren umstrukturieren, die anderen (die linke Stadtregierung) wollen auch modernisieren, halten aber an der Vision eines „Montevideo für alle“ fest. Derzeit ist unklar, in welche Richtung der Zug fahren wird. Die Zeiten des alten, etwas schläfrigen und selbstgenügsamen Montevideo scheinen jedenfalls zu Ende zu sein.

Unser Schwerpunkt beleuchtet die verschiedenen Facetten der uruguayischen Metropole. Daß es bei aller kritischen Darstellung der Probleme und Konflikte über weite Strecken zu einer Liebeserklärung an die Stadt am Río de la Plata geriet, war weder beabsichtigt noch rein zufällig, sondern einfach unvermeidlich.

Ein großes Problem unserer Zeitschrift sind häufig die Bilder. Wir haben kein nennenswertes Fotoarchiv und auch keine Mittel, um Bildmaterial anzukaufen. Deshalb sind wir darauf angewiesen, daß uns AutorInnen und befreundete FotografInnen gelegentlich Abzüge zur Verfügung stellen. Diesmal hatten wir ausnahmsweise ausreichend Fotomaterial, denn Gert Eisenbürger hat von einem Besuch in Montevideo Anfang des Jahres genug Aufnahmen mitgebracht, um den gesamten Schwerpunkt zu illustrieren.

Allen, die zum Zustandekommen dieses Heftes beigetragen haben, sagen wir hiermit ganz herzlichen Dank, vor allem den AutorInnen und InterviewpartnerInnen, dann Ernesto Kroch und Eva Weil für viele Hinweise und die Vermittlung zahlreicher Kontakte sowie Gaby Weber und David Cámpora für viele wichtige Gespräche und für das umfangreiche Material, das uns David zusammengestellt und überlassen hat.