Heuschnupfen im Frühjahr, Grippe im Winter – Fusionsfieber das ganze Jahr über. Krupp hat es mit Thyssen, Mercedes mit Chrysler, Exxon mit Mobil, Deutsche Bank mit Bankers Trust. Die Symptomatik der nicht ganz neuen Krankheit: An den Börsen werden die Werte der großen Kapitalmaschinen ge- und verkauft bis sie so voll Wind geblasen sind, daß die Luft raus muß. Die Kurse, deren Kosenamen heute jedes Kind kennt, sausen runter und dann wieder hoch. In das Aufatmen hinein warnt der Mega-Börsianer George Soros, die Krise sei noch nicht vorbei. Macht nichts, solange eben nicht die Shareholders an sich, sondern jene mit den dicken Aktienpaketen, gewinnen. Natürlich gibt es auch Verlierer, über deren Pech Krokodilstränen zu vergießen so überflüssig ist wie sozialneidische Aufwallungen angesichts ihrer längst angeschafften Villen und Yachten. Wirklich verlieren unbeteiligte LohnarbeiterInnen und kleine SparerInnen. Geraten die aufstrebenden Banken auf den aufstrebenden Märkten ins Wanken, besorgen die reichen Staaten und ihre Hilfsinstitutionen Stützungsgelder, die sie wiederum aus den Steuern der Massen, soweit noch in Lohn und Arbeit, abzweigen.
Die Aktienwerte gedeihen am besten auf dem Friedhof, dort wo lebendige durch tote Arbeit ersetzt wird. Insofern könnte man das Fusionsfieber der Nekrophilie zuordnen. Mit dem Fusionieren, Zentralisieren und Modernisieren wird die Arbeitsproduktivität in den rationalisierten Bereichen weiter massiv gesteigert, stets mit dem Ziel, Lohnarbeit einzusparen, um Konkurrenzvorteile daraus zu ziehen. Die Kehrseite der wegrationalisierten Arbeitsplätze sind die gesellschaftlich nützlichen Arbeiten, die wieder auf die Individuen zurückfallen. Die Suche nach dem verschwundenen Postamt, die langen Schlangen an den Kassen der Kaufhäuser und an den Schaltern der Bürokratie, verstopfte Straßen, Reparaturen aller Art, die nicht mehr bezahlt werden können. Wo also wieder Bürgerfleiß gefragt wird, sind die beflissenen Soziologen nicht weit, die die „Bürgerarbeit“ erfinden. Beständig werden jene ausgegrenzt, deren Ausbeutung allein die Profite garantiert. Immer mehr Menschen werden in die Überlebensflucht gedrängt, und sie tun das, was sie tun müssen: Sie kämpfen, jede und jeder für sich, um die raren Arbeitsplätze, und sie streben, obgleich in einem Lieferwagen zusammengepfercht, jede und jeder für sich, in die „gelobten Länder“, deren Reichtümer nach wie vor aus dem „ungelobten“ Süden fließen.
Jetzt sind vielerorts postindustrielle Macher sozialdemokratischer Couleur an die Schalthebel (Verwaltungsstellen) der Macht geraten. Und was tun die? Sie verteilen die bisherige Umverteilung der Rechten wieder ein wenig um. Weil es aber unter den gegebenen Bedingungen des wirtschaftlichen Besitzes so gut wie nichts umzuverteilen gibt, wird das „Gegenfinanzierbare“ von einem Fonds in einen anderen verschoben. Die Gewerkschaften können zwar im Namen der bei ihnen organisierten Kernbelegschaften auf den Tisch hauen, das „Ende der Bescheidenheit“ verkünden und am Produktivitätszuwachs beteiligt werden wollen, aber die Geldquelle, die deutlich etwas hergeben könnte, nachdem ihr in den letzten beiden Jahrzehnten ungeheure Summen zugeflossen sind, bleibt tabu.Warum greifen wir uns nicht endlich die dicken Gewinne der Börsenlümmel? Selbst eine zaghafte Kontur wie die Tobin-Steuer, eine milde Besteuerung der um den Erdball vagabundierenden Spekulantengelder, wird zerredet – statt Gesetze gegen das monetäre Vagabundentum zu erlassen. Ähnlich verhält es sich mit dem endlosen Zerkauen der Binsenweisheit „Entwicklung braucht Entschuldung“. Spätestens seit Helmut Kohl öffentlich eingeräumt hat, daß Wachstum nicht automatisch Arbeitsplätze schafft, ist es amtlich, daß viele Wege nach Rom führen, nur nicht der goldene Mittelweg „weniger Schuldendienst, mutmaßlich höheres Wirtschaftswachstum, Entwicklung“.
Also: Wir lassen uns nicht mehr länger erklären, daß neue Arbeitsplätze entstehen, wenn man reiche Arschlöcher noch reicher macht. Im übrigen sind – wir wiederholen uns – die „Grenzen des Wachstums“ bereits 1972 bekanntgegeben worden.
P.S. Auf unseren, der letzten ila beigelegten Hilferuf, kamen erfreulich viele Reaktionen: Spenden, Abobestellungen, die Bereitschaft für die ila zu werben, Ideen für Soliaktionen oder einfach aufmunternde Briefe. Das hat uns sehr gut getan. Obwohl wir finanziell noch längst nicht über den Berg sind, (vgl. S. 58) wollen wir mindestens 1999 weitermachen und versuchen, die ila in dieser Zeit auf solidere Beine zu stellen. Also macht’s gut, wir melden uns wieder im Februar 1999 – versprochen!