Ein Hurrikan ist eine Naturkatastrophe – schicksalhaft und unvermeidlich also. So zumindest lehren es die zahllosen Fach- und Sachbücher. Nur, warum kommt es immer häufiger zu solchen Naturkatastrophen? Warum sind sie immer besonders grausam gegen die Armen? Warum zerstören sie nicht einfach nach dem Durchschnittsgesetz ohne Ansicht von Klassen und Schichten?
Für Menschen, die im Gefolge solcher Katastrophen alles verlieren, stehen ökologische Veränderungen und deren Folgen urplötzlich im Zentrum ihres Lebens – vorausgesetzt, sie vermochten das überhaupt zu retten. Naturkatastrophen wie im vergangenen Jahr die Überschwemmungen in Bangladesch, China oder Zentralamerika mit ihren verheerenden Schäden haben stets etwas mit menschlichen (profitablen) Eingriffen in den Stabilitätsrahmen der Natur zu tun.
Es gibt ja Leute, die inzwischen wieder meinen, Ökologie sei nur ein gesellschaftliches Randthema. Zynisch könnte man sagen, das ist insofern richtig, als die Opfer der von wirtschaftlichen Interessen provozierten Naturkatastrophen mehrheitlich Menschen sind, die an den Rand der Gesellschaften gedrängt wurden. Leute, die in soliden Behausungen in den Zentren leben, sind weniger gefährdet als Menschen, deren Wellblechhütten an den steilen Hängen liegen und schon unter normalen Klimabedingungen in Gefahr sind, von Regengüssen weggespült zu werden. Klar, die Überschwemmungen in Mittelamerika betrafen viele, aber es ist eben doch ein Unterschied, ob ein Swimmingpool verschlammt, ein Golfplatz vorübergehend unbespielbar ist oder ob das bescheidene Hab und Gut einer Familie zerstört und die lebensnotwendige nächste Ernte vernichtet wird.
Nach Mitch gab es viel internationale Hilfe, die den Opfern zugute kam, zumindest manchmal. Nicaraguas liberale Regierung etwa hat sich nach Kräften bemüht, dies zu verhindern, besonders wenn die Opfer Oppositionelle waren. Doch trotz intensiver Bemühungen konnte sie nicht immer hintertreiben, daß auch mal ein Konvoi mit Hilfsgütern direkt bis zu den Opfern durchkam. Aber auch dann noch hatten sich Spezies und Parteifreunde von Präsident Alemán meist vorher ordentlich bedient. In Honduras zeigten sich Regierung und Staatsapparat weniger verkommen und gewährleisteten eine halbwegs geregelte Verteilung der Hilfsgüter an die Bedürftigen.
Aber was nützt der kritsche Rückblick auf die Ursachen der Mitch-Katastrophe und ihre Opfer? Jetzt gilt es, nach vorne zu blicken und die Ärmel hochzukrempeln für den Wiederaufbau. Den wollen doch schließlich alle. Stimmt, aber die Frage ist, wie dieser Wiederaufbau aussehen soll. Die Herrschenden in Nicaragua und Honduras wollen offensichtlich die Gunst der Stunde nutzen, um ihre Vorstellungen von neoliberaler Modernisierung umzusetzen. Das Land soll nicht denen gehören, die es brauchen, um sich zu ernähren, sondern denen, die die höchste Dividende pro Hektar einfahren. Und weil die Ernteerträge in den nächsten Jahren, aller „Modernisierungen“ zum Trotz wegen der Folgen von Mitch geringer ausfallen, müsse die Maquila-Industrie ausgebaut und den potentiellen Investoren entsprechende Angebote gemacht werden. Die in den letzten Jahren von den ArbeiterInnen mühsam erkämpften sozialen Verbesserungen seien da ein echtes Wachstumshemmnis und müßten rückgängig gemacht werden. Mitch macht so manches möglich.
Ob die Rechnung der bisherigen „Mitchwinner“ allerdings so aufgeht, ist die Frage. Nicht wenige Leute in Mittelamerika sind der Meinung, daß es so wie bisher nicht weitergehen kann, daß ein neues Wirtschaftsmodell her muß, das nicht nach dem Prinzip „wer hat, dem wird gegeben“ funktioniert. Ein Modell, das allen eine Lebensperspektive gibt, auch denen, die nach der gegenwärtigen Logik als überflüssig gelten. Ein Modell, das Umwelt und Ressourcen schont, das eine breite Partizipation an den Entscheidungsprozessen beinhaltet. Ein Modell, das Armut als Skandal und nicht als notwendiges Modernisierungsübel betrachtet. In Mittelamerika sind kleine Ansätze in diesem Sinne sichtbar, seien es die protestierenden Bauern und Bäuerinnen oder die für ihre ausstehenden Löhne kämpfenden Maquilaarbeiterinnen in Honduras, seien es die lokalen Organisationen und Verwaltungen in Nicaragua, die die Katastrophenhilfe in die eigenen Hände genommen haben. Wann ziehen Europa und die USA nach? Zumindest juristisch ist ein rosa Streifen am Horizont aufgezogen: Dem chilenischen Schlächter Pinochet wurde die Immunität aberkannt. Er kann jetzt wegen einiger seiner Schweinereien verurteilt werden. Das bedeutet einen kleinen, aber wichtigen Schritt im Kampf gegen die Straffreiheit für Menschenrechtsverletzer und eine kleine Genugtuung für die auf Gerechtigkeit wartenden Opfer.