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Fragen eines machtlosen Lesers (sehr frei nach B. B.)
Wer baute Belgrad? Wer das sonnige Pristina?
Man führe keinen Krieg gegen das jugoslawische Volk, sagt man.
Gegen wen denn?
„Der Serbe“ sei verrückt, schreibt man.
Er allein?
Friede taugt nicht mehr, erklärt man, wir bomben also:
aus ethischen Gründen.
Ist Verletzung des Völkerrechtes
die moralisierende Antwort auf die der Menschenrechte?
Löscht man einen Brand mit Öl?
Gewinnt in Europa die Vernunft der Gewalt
die Oberhand über die Gewalt der Vernunft
wieder?
Krieg als Fortsetzung der Politik? Bis zum totalen Sieg?
Aber man ist zuversichtlich:
am Tag danach ist alles vorbei.
Wer bezahlt heut und dann die Spesen?
So viele Fragen.
So erdrückend die Antworten.

Dieses Gedicht hat uns Omar Saavedra Santis in den ersten Tagen des Krieges in und gegen Jugoslawien geschickt – eine private Mitteilung an Freundinnen und Freunde. Er hatte es niedergeschrieben, um seine Sprachlosigkeit zu überwinden. Obwohl oder gerade weil es privat ist, drückt es aus, was viele in diesen Tagen des Krieges empfinden.
Zunächst herrschte Sprachlosigkeit, aber dann kam die Wut. Mit welcher Frechheit sie uns desinformieren – von Clinton, Scharping, Fischer bis Milosevic. JedeR bemüht die Moral zur Rechtfertigung von Mord und Zerstörung. Selbst Auschwitz wird leichtfertig zur Legitimation der Kriegsbeteiligung angeführt.

In der BRD betreiben dieselben PolitikerInnen, die den Krieg im Namen der Humanität zu führen vorgeben, die Abschiebung von Flüchtlingen. Noch wenige Tage vor Kriegsbeginn wurden AlbanerInnen in den angeblich sicheren Kosovo abgeschoben. Bis heute unterstützen sie, politisch, wirtschaftlich und militärisch den Krieg der türkischen Armee gegen die KurdInnen.

Nun führen sie einen Krieg im Namen der Menschenrechte und der Selbstbestimmung für Vertriebene und Flüchtlinge! Dabei wissen sie genau wie wir, daß dieser Krieg nur zuallerletzt um Menschenrechte geführt wird. Es geht darum zu zeigen, wer die Hegemonie in der Welt hat. Es geht darum, allen Regierungen zu demonstrieren, was passiert, wenn man sich den Anordnungen der NATO, vor allem der USA, nicht fügt. Nebenbei geht es auch darum, neue „intelligente“ Waffen zu testen. Und jemand wie Milosevic bietet sich als Feindbild an. Er ist ein gnadenloses Politikerschwein, seine Politik im Kosovo ist kriminell.
Flüchtlinge sind für Milosevic und die NATO nur Manövriermasse, ebenso wie sie es für Ronald Reagan, George Bush, Bill Clinton und die Militärs in El Salvador, Guatemala oder Kolumbien waren bzw. sind. 1981 hat die ila ein Heft mit dem Titel „Flüchtlinge – Politik mit menschlichem Elend“ zu dem von den USA mitverantworteten Flüchtlingsdrama in Mittelamerika veröffentlicht. Heute könnte eine Broschüre zum Kosovo den gleichen Titel tragen.
Der seit langem feststehende Schwerpunkt dieser Ausgabe hat viel mit dem bisher Gesagtem zu tun. Themen sind der Umgang mit Menschenrechtsverletzungen, der Kampf gegen das Vergessen und die Straffreiheit für die Verantwortlichen, die Impunidad(e), wie es in Lateinamerika heißt. Da es aufgrund der Machtverhältnisse bzw. des fehlenden politischen Willens der nachdiktatorischen Regierungen in vielen Ländern nicht möglich ist, die Täter zur Verantwortung zu ziehen, haben sich Menschenrechtsorganisationen und Opfer an die Justiz in europäischen Staaten gewandt. Besonders spanische Richter wurden daraufhin aktiv und begannen, gegen (zunächst) argentinische und chilenische Militärs zu ermitteln. Das augenfälligste Ergebnis dieser Verfahren war die Festsetzung von Augusto Pinochet im Oktober 1998 in London. Darüber haben wir und viele andere gejubelt.
Ist die ila also doch für ausländische Interventionen gegen Menschenrechtsverletzer? Bei Verfahren, Haftbefehlen, internationaler Ächtung und auch der Verhaftung von Mördern und Folterern, wenn man ihrer habhaft werden kann, sicher! Aber Bomben? Nie und nimmer wären wir auf die Idee gekommen, zur Durchsetzung der Menschenrechte auf Santiago, Buenos Aires oder Ankara Bomben werfen zu wollen. Auch nicht auf Belgrad!