Während wir diese ila druckfertig machen, bombardiert die NATO seit zehn Wochen Jugoslawien. Weite Teile der Infrastruktur und Industrie des Landes sind zerstört, die Zahl der Opfer steigt täglich. Im Augenblick (3. Juni) scheint eine politische Lösung und ein Waffenstillstand wahrscheinlicher geworden zu sein. Gleichzeitig gehen aber auch die logistischen und propagandistischen Vorbereitungen für einen Bodenkrieg weiter. Wie es aussehen wird, wenn diese Ausgabe aus der Druckerei kommt, vermag niemand zu sagen.
Am 13. Mai haben sich die Grünen auf ihrem Bielefelder Sonderparteitag mit großer Mehrheit gegen ein definitives Ende der Bombardierungen ausgesprochen. Nicht, daß wir etwas anderes erwartet hätten. Aber es schmerzt doch. Trotz zunehmender Distanz war die Partei für uns immer noch ein wichtiger politischer Bezugspunkt. Mit der Unterstützung des Krieges haben die Grünen sich jetzt endgültig von den politischen Emanzipationsbewegungen verabschiedet, aus denen sie hervorgegangen waren.
Im 1979 erschienenen Kursbuch „Vom Mythos des Internationalismus“ (Nr. 57) ist eine Diskussion von fünf Jungs aus der linken Frankfurter Szene – darunter Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit und Rupert von Plottnitz – abgedruckt. Vor dem Hintergrund großer Flüchtlingszahlen aus Vietnam unterhielten sich die fünf über ihr Verhältnis zum Internationalismus, zum bewaffneten Kampf und zur vietnamesischen Revolution. Neben vielen aus heutiger Sicht aufschlußreichen Aussagen findet sich darin folgende Passage:
„DANY: Also, ich will nur die Frage beantworten, was ich unter radikalem Pazifismus verstehe. Meine These ist, daß der Krieg (in Vietnam – die Red.) nicht durch den militärischen Sieg des Vietcong, der unmöglich war, beendet wurde, sondern daß er von der Jugend in Amerika gewonnen wurde. Als nämlich die amerikanische Gesellschaft gesehen hat, daß sich ihre Jugend dem Krieg verweigert und dem ganzen gesellschaftlichen System, stand mehr auf dem Spiel, als sich am Anfang des Krieges bezüglich der ökonomischen Bedingungen absehen ließ.
JOSCHKA: Die ganze Armee stand auf dem Spiel.
DANY: Die Armee und damit entscheidende gesellschaftliche Strukturen. Dieser Akt der Verweigerung hat die amerikanische Gesellschaft in eine Krise gestürzt, weil die Notwendigkeit, den Krieg fortzuführen, zu intensivieren, dadurch behindert war, daß nicht nur die amerikanische Jugend, sondern die Jugend aller westlichen Länder, der Metropolen, sich diesem Krieg verweigert hat.“
Die Herren Fischer, Cohn-Bendit und Co. arbeiten heute mit allen Kräften daran, daß sich die massiven Proteste wie damals gegen den Vietnamkrieg nicht wiederholen. Eine zunehmend skeptische Öffentlichkeit soll der „Notwendigkeit, den Krieg fortzuführen, zu intensivieren“ nicht im Wege stehen. Als moralische Saubermänner und -frauen der deutschen Politik ist ihre Aufgabe die Legitimierung des Krieges in der Öffentlichkeit. Die Grünen sind die PR-Abteilung, eine Aufgabe, die sie billiger und effektiver erfüllen als jede Agentur. In diesem Sinn sind Volmer, Beer, Müller, Radcke, Cohn-Bendit und Fischer nur nützliche IdiotInnen.
Denn den Krieg führen andere. Dies sollten wir bei all unserem Ärger über die grünen UmfallerInnen nicht vergessen. Es sind neben den USA und anderen NATO-Verbündeten die Militärführung und die politisch-ökonomische Elite Deutschlands, die seit Jahrzehnten darauf hinarbeiten, neben ihrer ökonomischen und politischen Macht auch wieder über eine militärische Option zu verfügen. Seit der Vereinigung hat dieses Ziel höchste politische Priorität. Da kam Jugoslawien gerade recht.
Angesichts dessen sollten wir das tun, was die US-Jugend gegen den Vietnam-Krieg getan hat: PROTESTIEREN!!! Im Rahmen der unzähligen tagtäglich stattfindenden lokalen Aktivitäten und vor allem am 19. Juni in Köln bei der Demonstration gegen den G-7-Gipfel. Zu dieser Demo rufen neben der gesamten Dritte-Welt-Szene und großen Teilen der Öko-Bewegung auch die Gruppen und das Netzwerk der Friedensbewegung auf.
Vor dem Hintergrund des Krieges mutet der umfangreiche Schwerpunkt dieser Ausgabe fast anachronistisch an. Es geht um Tango, seine Geschichte, seine Gegenwart, diesseits und jenseits des Atlantiks. Tango war und ist immer auch eine Form der Krisenbewältigung – und zwar eine sehr lustvolle. Und wer uns kennt, weiß, daß wir kein scheinbar noch so unpolitisches Thema nicht auch hinsichtlich seiner Sozialgeschichte, seines politischen Kontextes, seiner aktuellen Brisanz und der ihm zugrunde liegenden Geschlechterverhältnisse analysieren. Insofern steckt in dieser ila sicherlich mehr politischer Erkenntniswert als in 23 TV-Sondersendungen zum Krieg in Jugoslawien.