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Medienbilder von Lateinamerika

Angenommen, vor zwanzig Jahren hätte sich in Mexico eine Indígena-Guerilla erhoben. Wie hätten wohl die meisten deutschen Medien reagiert? Höchstwahrscheinlich wäre über den sowjetischen Einfluss im Nachbarland der USA „berichtet“, über cubanische Söldner spekuliert und die EZLN zur Bedrohung der „freien Welt“ stilisiert worden. 1994 standen dann die ZapatistInnen auf. Für die meisten deutschen Redaktionsstuben waren die vermummten Mützenmenschen eine kurzlebige Attraktion, ihr Sprecher Marcos war trotz – oder gerade wegen – seiner Gesichtslosigkeit ein Star und die Aufständischen wurden wegen ihrer professionellen Öffentlichkeitsarbeit als erste mediengerechte Guerilla gefeiert.

Einige im Amt ergraute Kalte KriegerInnen versuchten zwar, die EZLN als ewig Gestrige darzustellen – oder meinten sie sich selbst? –, die anderen berichteten eher wohlwollend über die exotischen RebellInnen. Warum es zu dem Aufstand kam, dass das nordamerikanische Freihandelsabkommen die indigenen Gemeinden noch ärmer machen sollte als zuvor, verschwiegen die meisten Berichte ebenso wie die zapatistischen Vorstellungen von Demokratie und gesellschaftlicher Gegenmacht.

Das wäre zu Zeiten des Kalten Krieges nicht anders gewesen. Bis zum Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus wurde Latein- und besonders Zentralamerika in den Medien meist wahrgenommen, weil die dortigen Konflikte im Rahmen der Systemauseinandersetzung gesehen wurden. Der Ost-West Konflikt ist vorbei, Lateinamerika muss etwas anderes bieten, um in den großen Medien vorzukommen. Bei CNN, RTL & Co. sichern bewaffnete Konflikte immer noch einen relativ guten Sendeplatz, „gut“ sind auch Naturkatastrophen, Wahlen und Papstbesuche. Dazu kommen Sex, Drugs and Crime, für Lateinamerika heißt das Frauenhandel, Drogenmafia und Gewaltkriminalität.
Nachrichtensendungen ordnen sich immer mehr den von Hollywood und anderen Traum- und Ideologiefabriken erzeugten Konsummustern medial erzeugter Wirklichkeiten unter. Eine Nachricht ist nicht wegen ihres Informations- und Bedeutungsgehaltes wichtig, der Unterhaltungswert zählt: Kurz, knackig, aufregend muss sie sein – oder aber, denkt man mehr an die entspannende Feierabendunterhaltung, besinnlich und schön und mystisch. Aber auch da werden die MedienmacherInnen in Lateinamerika fündig: Ist nun der Atitlán in Guatemala oder der Titicaca im Andenhochland der schönste See Lateinamerikas? Wollten Sie nicht schon immer die Geheimkulte der Xinca kennen lernen? Xinca? Wer oder was sind das denn? Menschen? Ja! In Asien, Afrika oder Lateinamerika? Ist doch egal, die Exotik zählt – und damit wären wir auch schon wieder bei den ZapatistInnen.

Klar: Seriös und engagiert zu berichten ist keineswegs einfach. Vor Pauschalisierungen und eurozentriertem Blick ist niemand gefeit, auch wir nicht. Deswegen wollen wir bei aller Medienkritik in diesem Heft nicht zum moralischen Rundumschlag ausholen. Denn einige Redaktionen von Tages- und Wochenzeitungen sowie bei öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsendern sind längst zu Bastionen eines ernsthaften Journalismus in einem Meer von Dumpfheit und Beliebigkeit geworden.

Insgesamt wird die hiesige Medienlandschaft aber immer stärker auf die oben erwähnten Konsumgewohnheiten zugerichtet, für Hintergrundberichterstattung und engagierten Journalismus bleibt kaum Raum. Gerade deswegen ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Berichterstattung der Medien unverzichtbar. Mit diesem Heft wollen wir die bis in die achtziger Jahre hinein geführte Diskussion um Arbeitsweisen und Wirkung der Medien wieder aufnehmen – und auch gerne fortsetzen. Die Medien prägen schließlich die Bilder der Welt, in der wir leben.

P.S. Das ist die letzte ila in diesem Jahr. Wir wünschen euch allen schöne Feiertage und einen netten Jahreswechsel. Im Januar kommt wie üblich keine ila, ihr habt also bis Mitte Februar Zeit, das vorliegende Heft zu lesen. Ach ja, da ist noch die Sache mit dem beiliegenden Spendenaufruf. Ihr wisst, wenn ihr ein paar Mark übrig habt… Und wenn ihr noch Weihnachtsgeschenke sucht, von einem ila-Geschenkabo hat mensch ein ganzes Jahr etwas.

Schwerpunkt

  4    Ereignisaktuell
Lateinamerika in den Medien
von Anton-Andreas Guha

  6    Weit weg
Interview mit dem ARD-Korrespondenten in Buenos Aires, Jochen Nuhn
von Henry Schmahlfeldt

  8    Fußball, Drogen und Guerilla
Reflexionen zur medialen Wahrnehmung Kolumbiens
von Erick Arellana

10    „Ich bin verrückt nach Erotik“
Das Dilemma mit den Klischees – „Frauenhandel“ in den Medien
von Christiane Howe

14    Faszination Kaffee
Lateinamerikabilder in der Kaffee-Werbung
von Eduard Fritsch

17    Tanztheater Bundesliga
Was deutsche Sportzeitungen über lateinamerikanische Fußballer schreiben
von Gert Eisenbürger

18    Entdeck‘ den Cubaner in dir
Ganz Deutschland im Cuba-Fieber: Buena Vista Social Club macht´s möglich
von Britt Weyde

20    OmU erst ab 22 Uhr
Interview mit Pascale Cornuel, Redakteurin für Themenabende bei arte
von Gert Eisenbürger

22    Welche Themen interessieren?
Interview mit Stefanie Kron von der alternativen Nachrichtenagentur Poonal/npl
von Gert Eisenbürger

Berichte & Hintergründe

24    Der kurze Traum vom Wechsel
Im zweiten Wahlgang siegte Uruguays Rechte
von Ernesto Kroch

27    Zurück in die Zukunft?
Rios Montt-Partei gewinnt Wahlen in Guatemala
von Claudia Koch

30    Aufgelesen: Das wiedererlangte Wort
von Esther Andradi

31    Vielleicht dieses Mal
Venezuelas Präsident Chávez wurde vor einem Jahr gewählt
von Steve Ellner

33    Phantastische Antiquitäten
Der brasilianische Oppositionsführer „Lula“ da Silva über Hugo Chávez

34    Im Namen des Geldes
Erneut verheerende Waldbrände in Brasilien
von Klaus Hart

35    Noch sehr jung
Interview zum Unistreik an der UNAM in Mexico-Stadt
von Ingrid Wenzl

37    Verehrt und gehasst
Mexicos bekanntester und umstrittenster Bischof Samuel Ruiz geht in den Ruhestand
von Gerold Schmidt

Eine Welt Wirtschaft

38    Vom Laden an der Ecke nach Rio Grande do Sul
Ein brasilianischer Bundesstaat im Kampf gegen gentechnisch veränderte Sojabohnen
von Janet Bell

Kulturszene

42    Typisch Hoelz
Auszug aus dem Buch „Erzengel“ von Paco Ignacio Taibo II

45    Erzengel
Paco Ignacio Taibo II über zwölf HäretikerInnen der Revolution
von Gert Eisenbürger

46    Es war einmal ein König
Vor dreißig Jahren schoß Pelé sein Tausendstes
von Omar Saavedra Santis

Ländernachrichten / Poonal

49    Guatemala, Chile, Haiti/Dominikanische Republik, Argentinien, Puerto Rico, Brasilien, Kolumbien, El Salvador, Peru, Honduras

Solidaritätsbewegung

52    Es wird Zeit, dass sie rauskommen
Neue Kampagnen zur Freilassung der RAF-Gefangenen

53    Macht BUKO Spaß?
Perspektiven für das Jahr 2000 verzweifelt gesucht
von Britt Weyde

54    Globalisierung von unten
Auftakt zur weltweiten Kampagne für Agrarreform
von Sofia Monsalve und Vilmar Schneider

56    Gezähmte Modemultis?
Buchbesprechung
von Karin Leukefeld

57    Notizen aus der Bewegung

59    Termine, Zeitschriftenschau, Impressum

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