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Davos ist nicht Seattle, titelten Ende Januar die Schweizer Tageszeitungen. Schade eigentlich, möchte man meinen. Denn das Weltwirtschaftsforum (WEF) in dem Engadiner Nobelurlaubsort ist ein fast schon intimes Tête-à-Tête der obersten 3000 dieser Welt. Und wie man weiß, werden Entscheidungen im Privatissimum leichter getroffen als im Rampenlicht der Öffentlichkeit. In Davos ist man endlich mal unter sich und muss sich nicht um irgendwelche demokratischen – oder so genannten – Spielregeln kümmern. Dann kann man es sich auch einmal leisten, mit der Zivilgesellschaft zu reden und davon, dass die Globalisierung die Menschen berücksichtigen solle. Und schon wird der neue Geist von Davos beschworen …, der anscheinend darin besteht, dass die versammelte Hochfinanz nicht sofort Zeter, Mordio und Kommunismus schreit.

Endlich gibt es also wieder Positives zu berichten aus der Welt der Weltwirtschaft. Das war auch bitter notwendig. Schließlich war das WTO-Treffen in Seattle sowohl medial als auch politisch für die Veranstalter ein Fiasko. Die Bilder, die im letzten Dezember um die Welt gingen, waren eindeutig: Unter anderem der Widerstand der Straße ließ die beabsichtigten Deregulierungen im globalen Handel scheitern. Wer hätte gedacht, dass die Straße eine derartige Renaissance erfährt, und das ausgerechnet in den Vereinigten Staaten von Amerika?

Aber der Erfolg, in Seattle die WTO-Verhandlungen zum Erliegen gebracht zu haben, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es „nur“ ein symbolischer war. Denn die Liberalisierung des Welthandels ist und bleibt das zentrale Anliegen der transnationalen Konzernherren und -herrinnen und ihrer Verbündeten in den verschiedenen Regierungen und internationalen Organisationen. Diese waren denn auch in Davos auf Schadensbegrenzung aus – siehe oben.

Gleichzeitig zum Weltwirtschaftsforum traf sich dagegen in Kanada ein anderer Kreis, nicht ganz so erlaucht wie die WinterfrischlerInnen, doch sehr arbeitsam. Mit viel Ach und Krach schafften es die DiskutantInnen jenseits des Atlantiks, sich auf einen Text für das sogenannte Internationale Biosafety-Protokoll zu einigen. Dieses soll den internationalen Handel mit genetisch veränderten Organismen regeln. Unter anderem war hier umstritten, ob Staaten das Recht haben sollen, die Einfuhr von Genmanipuliertem zu verbieten. Sollen sie, heißt es nun. Aber: Das letzte Wort soll die WTO haben. Also doch nicht! Spätestens seit letzten Dezember ist die WTO zum Inbegriff für den Abbau von Handelshemmnissen und Sozialstandards in aller Munde.

Darüber darf nicht vergessen werden, dass es nach wie vor auch noch solche Institutionen gibt wie die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds. Denn alle haben ein gemeinsames Motto: Der Markt soll es richten und staatliche Intervention ist von Übel. Davos ist nicht Seattle – aber die Macht des Geldes regiert an beiden Orten. Die Opposition gegen Wirtschaftsliberalisierung und soziale Ausgrenzung stand bei beiden Anlässen vor der Frage, wie grundsätzlich soll der eigene Widerstand sein: „Fix it or nix it“ heißt das dann auf Neudeutsch. Reformieren oder abschaffen? Aber lässt sich die WTO reformieren? Kaum, meinen viele! Aber gibt es derzeit eine sich abzeichnende politische Kraft, die in der Lage wäre, eine Macht wie die WTO abzuschaffen? Kaum, meinen auch wieder viele! Ist also die Forderung, die WTO und Konsorten abzuschaffen, eher eine Bestätigung der eigenen linksradikalen Identität?

Unterstützen diejenigen, die die internationalen Gremien reformieren wollen, nicht einen Prozess der weiteren Zentralisierung von Macht und Einfluss, ohne ihn wirklich beeinflussen zu können? Betreiben sie nicht nur ein wenig Kosmetik. Viele Fragen, gewiss, die da auf Antworten warten. Positiv zu vermelden ist aber auf alle Fälle, dass seit Seattle niemand mehr sagen kann, das mit dem Demonstrieren bringe ja sowieso nichts.