Ein gescheiterter Putschversuch in Paraguay. In Chile droht der Sohn Pinochets mit dem Sturz der Regierung Lagos durch die Militärs, sollte sein Vater vor Gericht gestellt werden. In Ecuador stürzen Indígenas und Militärs gemeinsam die Regierung, werden aber gleich danach von den tonangebenden Offizieren über den Tisch gezogen. Und in Venezuela verschiebt das Oberste Wahlgericht den Termin für einen Urnengang, bei dem der Präsidentenstuhl von Oberst Hugo Chávez wackeln könnte. Droht Lateinamerika eine neue Welle von Militärputschen und eine neue Zeit der Diktaturen?
Ein Blick zurück: Die Anfang der 90er Jahre zu Ende gegangene Zeit der Militärdiktaturen war geprägt vom Ost-West-Konflikt. Jeder soziale Widerstand gegen die Mächtigen wurde zur Keimzelle sowjetischen Einflusses in Lateinamerika erklärt und mit härtester Repression niedergewalzt. Mit dem Ende des Kalten Krieges kamen auch Militärdiktaturen aus der Mode: Sie entsprachen nicht mehr den Interessen der „Internationalen Gemeinschaft», vor allem nicht mehr denen der USA. Größtenteils waren sie für die neoliberale Wirtschaftsordnung ungeeignet, da die von den Armeen errichteten Ordnungen zu starr und zu stark an den Interessen der Militärs ausgerichtet waren. Anstatt ausländischen Investoren ein sicheres Anlageklima zu garantieren, herrschten Korruption und Selbstbereicherung, die mittlerweile als Handelshemmnisse gelten. – Eine Ausnahme bildete Chile, wo die Militärs unter General Pinochet sich mit den Chicago-Boys um Milton Friedman verbündeten und das Land zum Vorzeigeobjekt neoliberaler Wirtschaftsordnung machten.
Massaker, Repression und Menschenrechtsverletzungen gehörten als Begleitmusik zur Vorherrschaft der freien Welt in Lateinamerika. Doch wo früher Kasernenton herrschte, verkünden moderne Präsidentschaftskandidaten heutzutage, sie wollten das jeweilige Land wie einen Konzern führen. Der vorläufige Sieg des Kapitalismus gegen Ende des letzten Jahrhunderts bedeutete, dass sich die Militärs zurückziehen mussten, zumindest scheinbar. Denn nach wie vor sind sie in fast allen Ländern Lateinamerikas ein wichtiger Faktor politischer Macht und sozialer Kontrolle. Aus den Militärdiktaturen sind „bewachte Demokratien» geworden. Nach wie vor üben die Uniformierten mehr oder weniger direkt Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse aus. Vor allem haben sie sich nicht aus dem ihrer Meinung nach zentralen Auftrag von Militärs zurückgezogen, der Wahrung der Inneren Sicherheit. Nachdem die kommunistische Gefahr besiegt war, brauchten sie allerdings eine neue Legitimation. Denn wer sollte nun als Feind herhalten? Dienlich war und ist da der von den USA entfachte Drogenkrieg, mit dem die Präsenz der Uniformierten in Stadt und Land gerechtfertigt werden kann. Und er dient den Vereinigten Staaten dazu, ihre schleichend immer stärker werdende militärische Präsenz in der Region zu legitimieren. Die massive Unterstützung der für schlimmste Menschenrechtsverletzungen berüchtigten kolumbianischen Militärs im Rahmen des „Plan Colombia» ist dabei nur ein Beispiel.
Der Rückzug der Militärs aus der ersten Reihe der politischen Macht wurde erkauft mit diversen Amnestiegesetzen – sei es nun in Argentinien, Chile oder Guatemala. Außerdem konnten sich die Armeeapparate darauf verlassen, weiterhin interne Angelegenheiten eben intern regeln zu dürfen. Der konsequente Ausschluss von Menschenrechtsverbrechern aus den jeweiligen Streitkräften und ihre Verurteilung, Umstrukturierungen des Militärs mit dem Ziel, es der Zivilgewalt unterzuordnen und seine Aktivitäten zu überwachen, oder gar eine Entmilitarisierung der Gesellschaft haben nirgends stattgefunden. Auch wenn direkte Militärdiktaturen offenkundig nicht mehr in die „Neue Weltordnung» passen, verfügen die Streitkräfte allenthalben über ausreichend Drohpotenzial, um die zivilen Regierungen einzuschüchtern und die Gesellschaften zu lähmen. Von Guatemala bis Argentinien hat die Bevölkerung daher mit dem Erbe der Militärdiktaturen zu kämpfen. Straflosigkeit, unaufgeklärte Menschenrechtsverbrechen und intakte Repressionsapparate, in denen die Peiniger von früher nun in neuen Uniformen agieren.
Droht Lateinamerika also eine neue Welle von Militärputschen und Diktaturen? Folgt man den AutorInnen der folgenden Beiträge, lautet die Antwort „Nein». Sofort möchte man allerdings ein „aber» hinzufügen…