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Havanna

Cuba ist in. Überall cubanische Partys, auf den Tanzflächen massenhaft TeutonInnen, die bemüht die Hüften schwingen. Bei Mojito und Daiquirí unterhalten sich sonnenverbrannte Bleichgesichter angeregt über den letzten Cuba-Urlaub – Warst du auch in Havanna? Klar, zwei Tage von Varadero aus, abends im Tropicana. – Kennst du auch die Bodeguita del Medio? Logo. – Überhaupt Havanna: der Malecón, die geilen alten Ami-Schlitten, die Altstadt, die netten Mädels und Jungs. – Dumm nur, dass der Dollar derzeit so hoch steht, ohne die grünen Scheine läuft in Cuba ja gar nichts mehr…

Havanna ist längst ein touristisches Highlight, aber es ist noch ein bisschen mehr als das. Es ist der Wohnort von fast zwei Millionen CubanerInnen, deren Lebenswelt mit dem der TouristInnen herzlich wenig zu tun hat. Und gerade deswegen sind es der Lebensstil und die ökonomischen Möglichkeiten der sonnenhungrigen Gäste aus Europa und Canada, von denen viele CubanerInnen träumen und die ihnen den Alltag als noch schwieriger erscheinen lassen.

„No es fácil», es ist nicht einfach, ist daher auch eine allgegenwärtige Redewendung in Havanna. Mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers ist die cubanische Ökonomie in eine tiefe Krise geraten. Plötzlich versiegten die Öllieferungen aus der Sowjetunion, aus Ungarn blieben die Ersatzteile für die cubanische Busflotte aus, für die Milchpulverlieferungen aus der DDR fühlte sich das wiedervereinigte Deutschland nicht mehr zuständig und wichtige pharmazeutische (Vor-)Produkte aus Osteuropa kamen auch nicht mehr. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Die Konsequenzen für die cubanische Bevölkerung waren erdrückend: wegen des Treibstoffmangels kam der Verkehr fast zum Erliegen und Strom gab es nur noch stundenweise, wegen ausbleibender Lieferungen und des eingeschränkten Transports auf der Insel wurden die Lebensmittel knapp, das bis dahin vorbildliche Gesundheitssystem litt, weil wichtige Medikamente fehlten.
Eine Lateinamerikanisierung Cubas setzte ein. Wie andernorts versuchte die Bevölkerung der roten Insel ihr Überleben im informellen Sektor zu sichern: Klein- und Kleinsthandel, Zimmervermietung an TouristInnen, kleine Privatrestaurants, Herstellung und Verkauf von Kunstgewerbe, Taxis mit und ohne Motor, ambulante Dienstleistungen, Prostitution, eben jene „neuen Berufe», mit denen sich heutzutage immer mehr Menschen in Lateinamerikas Großstädten durchschlagen. Und zu den relativ Privilegierten gehören – ebenso wie in anderen Ländern Mittelamerikas und der Karibik – diejenigen, die regelmäßig Banküberweisungen von Verwandten im reichen Norden erhalten.

Während sich das wirtschaftliche System grundsätzlich wandelt (neben der Zulassung privater Kleinunternehmen setzt man zunehmend auf die Kooperation mit ausländischem Kapital, vor allem im Tourismus), änderte sich politisch sehr wenig. Die kommunistische Parteibürokratie beansprucht weiterhin das Machtmonopol und versucht unterdessen, die ökonomische Umstrukturierung irgendwie zu lenken und sozial abzufedern. Inwieweit ihr das gelingt, wird man erst mittelfristig beurteilen können. Immerhin scheint das Ganze weniger chaotisch und sozial deklassierend zu laufen als in der ehemaligen Sowjetunion und weniger despotisch und ausgrenzend als in der VR China.

Viele CubanerInnen innerhalb und außerhalb von Havanna sehen ihre Zukunft dennoch ziemlich düster. Auch wenn sich die Stimmung in den letzten Jahren verbessert zu haben scheint, träumen weiterhin viele davon wegzugehen. Das hat weniger politische Gründe, vielmehr erhoffen sich vor allem junge und gut ausgebildete CubanerInnen ohne familiären Anhang bessere ökonomische Perspektiven.

In Cuba ist heute einiges in Bewegung. Das spürt man vor allem in Havanna: Hier konzentriert sich das ausländische Kapital, hier hoffen MusikerInnen darauf von ausländischen Plattenfirmen entdeckt 
zu werden, hier werden die meisten Filme gedreht, hier tauchen täglich Tausende von TouristInnen 
auf. Alle sind sie dabei Cuba zu verändern. Und die Habaner@s versuchen sich den Entwicklungen anzupassen und gleichzeitig nicht davon überrollt zu werden. Davon berichtet dieses Heft.

P.S. Wir danken wie immer allen AutorInnen und allen, die uns mit Tipps und der Vermittlung von Kontakten geholfen haben. Besonders danken wir Bila Tinapp, die uns den größten Teil der in dieser ila veröffentlichen Fotos zur Verfügung gestellt hat.

P.S.S. Der Schwerpunkt ist wieder sehr umfangreich geworden. Aber keine Angst, diesmal habt ihr/haben Sie zwei Monate Zeit zum Lesen. Und vielleicht ins Kino zu gehen, denn Ende Juni ist bundesweit der Dokumentarfilm „Habana mi amor» des deutschen Filmstudenten Uli Gaulke über Liebe, Alltag und Telenovelas in Havanna angelaufen. Im August ist wie üblich Sommerpause, die nächste ila erscheint im September. Euch/Ihnen und uns schöne Ferien!

Titelbild: Aldi, unter Verwendung eines Fotos von Bila Tinapp

Schwerpunkt

4  Havanna – Der Rest ist Landschaft
Erinnerung an eine Kindheit und Jugend in Havanna
/  von José E. Conde Masdiaz

8  Von Havanna lernen
/  von Kerstin Sack

11  Die Stadt neu denken 
Fehler der Vergangenheit – Chancen für die Zukunft
/ von Mario Coyula

13  Stadtsanierung und Tourismus
Ein Historiker dollarisiert die Altstadt
/ von Sönke Widderich und Rainer Wehrhahn

16  150 Jahre Geschichte
Havannas Chinesenviertel erwacht zu neuem Leben
/ von Knut Henkel

18  Das tägliche Überleben
Neun O-Töne aus Havanna  / von Bila Tinapp

21  Schwarzenegger in Havanna
Ein privates Fitness-Studio im Barrio Reparto Casino
/  von Abel Gilbert

23  Fahrräder und Kamele 
Der Transport ist eines der größten Probleme
/ von Heike Dickhut und Cornelia Heydenreich

25  Es gibt keinen Ort, wo wir hingehen können
Lesbische Frauen in Havanna  /  von Radio St. Paula und  Laura Held

27  Mehr Qualität, weniger Quantität
Der Regisseur Eddy Socorro über Havannas Theaterszene
/ von Gert Eisenbürger, Gaby Küppers und Britt Weyde

30  Immer wieder „La Bamba» in Habana Vieja
/ von Patrick Fröhlicher

33  CubaHop
Rap a lo cubano beschreitet neue Wege  / von Patrick Fröhlicher

34  Sein oder Schein?
Ein kurzer Einblick (nicht nur) in die Welt des Kinos  / von Klaus Brieskorn

35  Der zweite Entdecker
Die Rezeption Alexander von Humboldts in Cuba  / von Joachim Gartz

37  Georg Weerth – ein deutscher Besucher 1853 in Havanna

Berichte & Hintergründe

38  Erschöpft, aber optimistisch
Interview mit Julia und Ricardo vom zentralen Streikrat (CGH) der UNAM
/ von Britt Weyde

40  Fujimoris letztes Gefecht?
Der Protest gegen den andauernden Machtmissbrauch wird stärker
/ von Esteban Cuya

42  Handel oder was? 
Gespräch mit Vertretern von Transfair-Kaffeeproduzenten
/ von Werner Lamottke

44  Aufgelesen: Intoleranz ist eine Hölle  / von Esther Andradi

45  Simón bleibt verschwunden
In Uruguay wird die Forderung nach Aufklärung der Diktaturverbrechen immer lauter
/ von Comcosur und Gert Eisenbürger

46  Frontaler Angriff auf Verfassungsrechte?
Interview mit Armando Valbuena von der kolumbianischen Indígenaorganisation ONIC
/ von Theodor Rathgeber

Ländernachrichten / Poonal

47  Argentinien, Chile, Ecuador, Guatemala, Haiti, Honduras, Kolumbien, Mexico, Paraguay

Solidaritätsbewegung

50  Wie Männer Geschichte machen wollen
Stellungnahme aus global feministischer Perspektive zum Kongress am 20./21. Mai in Göttingen
/ von Corina Toledo

53  Lufthansa in Turbulenzen
Erfolgreiche Aktion von „Kein Mensch ist illegal»
/ von Florian Schneider

55  Nationalstaaten kein Gegengewicht zum Kapitalismus!
Offener Brief des BUKO an das „Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte»

56  Umkämpfte Orte oder Wege in die Vielfalt
Guatemala: Interkulturelle Bildung in einer ethnisch gespaltenen Gesellschaft (Buchbesprechung)
/ von Stefanie Kron

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