Mit stoffgewordener Sonnenenergie (umgangssprachlich: Kohle) befeuerten sie ehedem die Kessel der ersten Dampfmaschinen und Schiffe und beheizten damit den ersten Weltkrieg. Mit flüssiger Sonnenenergie (umgangssprachlich: Öl) erhoben sie sich in die Lüfte und schleuderten den brennenden und strahlenden Tod auf die Erde. Und schließlich begannen sie mit flüssiger Sonnenenergie die Regenwälder zu zersägen und die Landschaften und Städte in eingezäunte Rennbahnen zu verwandeln. Fossile Brennstoffe erst haben die heutige Mobilität möglich gemacht, mit allen ihren Konsequenzen. Jeder Aufstieg zu einer „höheren» gesellschaftlichen Ordnung – in der jetzigen Phase der Aufstieg von der Industrie- zur Dienstleistungs- gesellschaft – wird bezahlt mit einem entsprechenden Quantum an neuerlicher Unordnung: mit einer bedrohlichen Zunahme von CO2 in der Atmosphäre, mit radioaktiven Abfällen aus der Kernenergie, mit überquellenden Müllbergen allerorten…

Zweifellos ist die ila mit ihrem Schwerpunktthema „Öl» wieder einmal am Puls der Zeit. War es nicht ein bemerkenswerter politischer Weitblick, dass wir bei der Heftplanung vor einem knappen Jahr bereits ein Thema diskutierten, was jetzt in aller Munde ist? Sollten wir etwa verneinen, dass wir mitunter politisch schlau sind und etwas weiterdenken als bis zur Veröffentlichung der Quartalsdaten irgendwelcher Firmen und Notenbanken, wie es die Börsenfuzzis zu tun pflegen.

Zugegebenermaßen jedoch stand zu Beginn des Jahres noch in keiner magischen Kugel zu lesen, dass sich die Realität unseren Schwerpunktvorbereitungen anpassen würde. Wir sahen staunend der selffulfilling prophecy made by ila zu (oh, jetzt verfällt auch noch die ila in Neudeutsch): Die seit langem brennende Lunte erreichte das Pulverfass, im September legen europaweite Proteste gegen hohe Sprit- und Energiepreise den Verkehr lahm, die OPEC berappelt sich unter maßgeblichem Einfluss von Venezuela wieder, der Ölpreis erreicht ein neues Hoch, fast ist das Leben wieder immobil wie anno dazumal. Soviel Phantasie lag uns doch fern. Klar war uns dagegen schon im letzten Januar, dass von der gegenwärtigen Bundesregierung kein Umsteuern in der Energiepolitik zu erwarten sei. Geschenkt, mögen da viele sagen: Wer wird schon vom Autokanzler Schröder etwas anderes erwarten und wer glaubte spätestens 1998 noch ernsthaft, die Grünen würden dem etwas entgegensetzen.

Aber lassen wir Selbstironie und Eigenlob. Bei der Festlegung auf das Themenheft „Erdöl» dachten wir vor allem an die ökologischen und sozialen Implikationen der Ölförderung in Lateinamerika. Erdöl ist ein traditioneller Stoff zur Gewinnung von Energie und Chemikalien. Daher haben wir das Thema auch einer traditionellen Behandlung unterzogen und soziale Fragen miteinbezogen, auch wenn das der neuen Mitte nicht mehr zeitgemäß erscheint. Die in diesem Sinne unmodernen Stichworte sind: Kampf um die letzten Ölreserven – Exploration ohne Rücksicht auf die BewohnerInnen der entsprechenden Regionen – Zerstörung von Ökosystemen und natürlichen Ressourcen – militärische Kontrolle der Förderregionen und Transportwege (Tschetschenien-Krieg, Plan Colombia) – Gefährdung der Weltmeere und Küstenregionen durch die Öl-, Gift- und Chemikalientransporte in maroden Tankern.

Mit dem Agieren von Venezuelas Staatspräsident Chávez auf dem OPEC-Gipfel in Caracas ist wieder in den Blick gekommen, dass Erdöl auch in Lateinamerika eine große Rolle spielt. In Ländern wie Mexico, Guatemala, Venezuela, Kolumbien und Ecuador wird es – unter teils unsägliche Bedingungen – gefördert und auf dem Weltmarkt verkauft. Wem das Öl aber gehört und in Zukunft gehören wird, ist damit noch nicht gesagt. Dass die Multis allenthalben einen dicken (Militär-) Stiefel in der Tür haben, wird sich auf den folgenden Seiten leider bestätigen. Trotzdem gute Lektüre.

P.S. Alle Jahre wieder in der November- und Dezember-ila liegt der ila ein Spendenaufruf bei. Derzeit ist unsere Finanzsituation zwar nicht so desolat wie vor zwei Jahren, als wir kurz vor dem finanziellen Aus standen, aber ohne kleinere und größere Finanzspritzen und neue Abos kann unsere Lage sehr schnell wieder kritisch werden. Deswegen der alljährlich Appell an alle, die unsere Arbeit schätzen und für unterstützenswert halten. Überlegt doch einfach mal, ob ihr ein paar Mark für die ila übrig habt, ein Abo verschenken wollt oder uns helfen könntet, neue AbonnentInnen zu finden.

Titelbildgestaltung: Aldi