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Seit Mitte der achtziger Jahre wurde Bolivien immer mehr zum Musterschüler der internationalen Finanz-organisationen. Seine Machthaber – vom ehemaligen Führer der 52er-Revolution Victor Paz Estenssoro über seinen Neffen und Hoffnungsträger der Sozialistischen Internationale, Jaime Paz Zamora bis zum nun zivil gewählten Ex-Diktator Hugo Banzer – setzten all das um, was IWF & Co. von ihnen verlangten: Die staatliche Minengesellschaft wurde platt gemacht, ein großer Teil der öffentlichen Angestellten entlassen, die Sozialausgaben drastisch reduziert, die Märkte für alles und jeden geöffnet, die Schuldzinsen pünktlich bezahlt, die Sozialpolitik willfährigen Nichtregierungsorganisationen und ihren ausländischen Geldgebern überlassen.

Die einst mächtigen Gewerkschaften – für die Neoliberalen bekanntlich die Bremser auf dem Weg ins Paradies – verloren durch die Arbeitsplatzvernichtung einen großen Teil ihrer Mitgliedschaft und damit auch ihre Kampfkraft und ihren politischen Einfluss. Also alles bestens. Dass die Leute immer mehr verarmten? Geschenkt! Solange sie sich ruhig verhalten, stört das nicht. Etwas problematischer war da schon, dass sich ein Teil der entlassenen Bergarbeiter in der Chapare-Region ansiedelte, sich dort dem Coca-Anbau widmete und noch dazu die schlagkräftige gewerkschaftliche Organisationsstrukturen aus den Minen mitbrachte. Aber auch dafür gibt es Rezepte für schlanke Staaten. Man lädt die US-Drogenbekämpfungsbehörde ein und stellt ihr Stützpunkte und bolivianische Hilfstruppen zur Verfügung. Dafür gibt es wieder gute Noten.

Eifrige SchülerInnen werden belohnt und so winkt Bolivien ein Teilerlass seiner Auslandsschulden. Dann – so heißt es – muss Bolivien weniger Zinsen zahlen und es käme allen zu Gute, vor allem den Armen. Also wieder alles bestens. Fast. Denn allzuviel merkten die 70 Prozent Armen des Landes nicht davon, so dass sie schließlich satt waren daran zu glauben, dass die oktroyierten „Reformen“ irgendwann zu besseren Lebensbedingungen führen würden.

Im April kam es in der 600 000-EinwohnerInnen-Stadt Cochabamba zu einem Aufstand, als eine internationale Firma die Wasserpreise drastisch erhöhen wollte. Im Oktober legten die Hochland-Campesinos/as das Land durch Blockaden fast völlig lahm und im Chapare eskalierte der Konflikt zwischen Cocabauern/bäuerinnen und dem Militär. Der alte Diktator resp. Zivilpräsident Banzer war empört, ihm, der seit 30 Jahren penetrant das Vaterland rettet, schlug Undank und offener Hass entgegen. Zwei gängige Schimpfwörter machten in Bolivien die Runde: „Politiker“ und „NRO“.

Der sich formierende Widerstand ist bei all seiner Stärke heterogen und gespalten. Da sind Stadtteilorganisationen, da sind die Aymara- und Quechua-Campesinos/as des Hochlands, die mit der städtisch-mestizischen Elite wenig zu tun haben wollen, da sind die Cocaleros/as, die sich durch die Campesinos/as und ihren charismatischen Führer Felipe Quispe („El Mallku“) verraten fühlen, und da sind die Tieflandindígenas, die teilweise ganz andere Interessen haben. Deshalb kann man noch nicht davon sprechen, dass die oppositionellen Gruppen eine Alternative zum Neoliberalismus hätten und kurz- oder mittelfristig die Machtfrage stellen könnten. Aber klar ist, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Mit dem Musterschüler Bolivien dürfte es so oder so vorbei sein.

P.S. Die Herausgabe dieser ila war wieder einmal nur durch zahlreiche externe HelferInnen möglich. Wir danken an dieser Stelle ganz besonders Peter Strack vom terre des hommes-Andenbüro in Cochabamba, der wie immer in den letzten Jahren unser kompetenter Ansprechpartner in Bolivien war; Alix Arnold und Rolf Satzer vom „Solidaritätsfonds Demokratischer Medien in der Dritten Welt“ der IG-Medien, die den Anstoß für diesen Schwerpunkt gaben und viele Texte und Materialien beisteuerten, sowie der Fachabteilung „Eine Welt Medien“ des Gemeinschaftswerks Evangelischer Publizistik, die die Ausgabe durch einen Druckkostenzuschuss unterstützt haben.