Bei der Wahl zwischen „Pest und Cholera“, so ein politischer Freund, „entscheiden wir uns meist für Himbeereis.“ Will heißen: Die Wahl, vor die uns Bush, Blair und Schröder stellen wollen, nehmen wir nicht an. Die Rede vom Zusammenprall der Kulturen ist gemeingefährlich, die Einteilung der Welt in Gut und Böse ultra-steinzeitlich, die Alternative zwischen zivilisierter Welt und terroristischer Barbarei falsch gestellt, weil es die terroristische Barbarei zwar gibt, die Welt des Pentagon und der Hardthöhe aber, der Ledernacken und des Kommandos Sonderkräfte und der Wall Street und des Frankfurter Bankenviertels, die sie verteidigen, weder zivilisiert noch unsere Welt ist.
Nichts haben wir zu tun mit Leuten, die glauben, für ihre politischen Überzeugungen beliebig viele willkürlich betroffene Menschen in den Tod reißen zu dürfen. Das ist, wer immer die Täter tatsächlich waren, eine faschistische Logik; und nicht zufällig wurde der letzte große Terroranschlag in den USA von (einem?) US-Faschisten ausgeführt.
Nichts haben wir aber auch zu tun mit denen, die jetzt Tausende neuer Tode planen und bis zum Erscheinen dieser ila vielleicht schon mit der Ausführung begonnen haben werden. Die für beliebig viele beliebig blutige Aktionen in der Vergangenheit verantwortlich waren und auch aktuell für ihre Interessen weltweit willkürlich Menschen sterben lassen.
Beiden gelten Menschenleben nichts. Da tröstet es kein bisschen, dass im Pentagon und im World Trade Center auch einige Menschen den Tod gefunden haben könnten, die in ihrem Leben für Gewalt und Elend mitverantwortlich waren. Nicht nur, dass die meisten Opfer Sekretärinnen, kleine Angestellte, Putzfrauen, Feuerwehrleute oder sonst was waren, auch Börsianer oder Abteilungsleiter im Pentagon sind kein legitimes Ziel von Mordanschlägen. Wir müssen sie kritisieren, ihr Tun verurteilen, wir sollen sie daran hindern, es weiterhin tun zu können, aber das ist etwas anderes als Massenmord.
Wir lassen uns weder zum Schulterschluss mit Schreibtischtätern in Nadelstreifen oder Uniform noch in die Solidarität mit angeblichen, selbsternannten und menschenverachtenden Kämpfern gegen ersterer Politik treiben. Der Feind unseres Feindes ist nicht unbedingt unser Freund. Auch dann nicht, wenn wir uns vorstellen können, wie die konkrete wirtschaftliche, politische, soziale und kulturelle Herrschaftsausübung der Konzerne und ihrer willfährigen Wettbewerbsstaaten Menschen so deformierten, dass sie Taten wie diese Anschläge begehen.
Die USA sind dabei ja keineswegs allein. Kein Nato-Land hat den Golfkrieg und die andauernde Ermordung irakischer ZivilistInnen verurteilt; alle waren in Jugoslawien/Kosovo, alle sind in Mazedonien dabei; alle bauen Mauern um Wohlstandseuropa und schieben jeden ab, den sie nicht haben wollen. Und alle Verantwortlichen betonen ihre Abscheu vor Tat und Tätern von New York, Washington und Pittsburgh und ihre Solidarität mit den Opfern, die sie im nächsten Atemzug unter die magische, immer für die Berliner Luftbrücke und nie für Vietnam stehende Formel „Amerika“ subsummieren.
Solidarität mit den Opfern? Welche Solidarität sollte das sein, die zum Krieg und nicht zur Umkehr führt? Was ist von einer Trauer zu halten, die, noch bevor die Tränen der eigentlich Betroffenen versiegt sind, auf Wiederherstellung der Vormachtstellung sinnt? Was haben jene aus den Ereignissen des 11. September gelernt, die ständig davon reden, dass die Welt nach diesem Datum eine ganz andere ist, und doch alles dafür tun, dass sie gleich bleibt – eine Welt, in der die Reichen reicher und die Armen ärmer werden und alle, die entweder versuchen, einfach aus dem Elend zu fliehen oder den Reichtum der Nationen einfach so zu organisieren, dass alle etwas davon haben, bekriegt werden.
Für uns heißt die Alternative nicht „zivilisierte“ Welt von gestern bis ans Ende aller Tage oder Barbarei, sondern – wir zitieren Rosa Luxemburg – Sozialismus oder Barbarei.
Information und Wissen sind bedeutende Elemente der Emanzipation – heute wie gestern. Wenn aberwitzige Summen für – objektiv gegen die Armen dieser Welt gerichtete – Kriege ausgegeben werden, weil neoliberale Ideologie als Weltgesellschaftskitt nicht mehr ausreicht, wird Wissen für die Armen überlebenswichtig. In diesem Sinne ist unser Schwerpunktthema „Bibliotheken“ ein antizyklischer Beitrag gegen den Zeit(un)geist. Er will einen Einblick geben in die vielfältige Bibliothekslandschaft Lateinamerikas und einige solidarische Initiativen der internationalen Zusammenarbeit vorstellen.