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Alten Frauen die Handtasche zu stehlen gilt allgemein als wenig ehrenvolle Tätigkeit, auch wenn mancheR aus Not keine Alternative zu haben meint. Dagegen setzt sich in gutsituierten Kreisen inzwischen die Auffassung durch, dass es durchaus seriös sei, alten Menschen die Aussicht auf ein akzeptables Alterseinkommen zu verbauen: Was Privatisierung und Kapitalmarktfinanzierung der Altersversorgung genannt wird, erweist sich in der Regel als gigantisches Umverteilungsprogramm, das durchaus oft Züge modernen Raubrittertums annimmt.

Da werden Gelder bei Pensionskassen einbezahlt, die nicht einmal ihre zinslose Rückerstattung garantieren müssen. Da werden Verwaltungsgebühren und Kommissionen fällig, die locker das Zehn-, gelegentlich bis zum Fünfzehnfachen öffentlicher Systeme erreichen. Da werden Programme aufgelegt, die lediglich die Einnahmen an die Privatanbieter leisten, die Ausgaben aber, also die Rentenzahlungen, beim Staat belassen. Dagegen erscheint sogar die bundesdeutsche Praxis, der Versicherungswirtschaft jährlich über 20 Milliarden DM zu schenken, statt damit steuer- und versicherungspflichtige Jobs zu schaffen, noch vergleichsweise harmlos.

Wer glaubt, wir würden hier übertreiben, soll die Texte des Dossiers Rente & Rendite lesen. Wir hätten manches vor unseren Recherchen selbst nicht geglaubt. Gar zu plump gestalten sich oft die Mechanismen privater Bereicherung, gar zu dreist das Komplizentum staatlicher Politik. Und gar zu interessengeleitet und verlogen sind die offiziellen Begründungen. Als ob es einen Unterschied machen würde, ob die wachsende Zahl alter Menschen sich ihren Lebensbedarf von Geldern kaufen muss, die aus den Einkünften der Arbeitenden oder denen der KapitalbesitzerInnen stammen: So oder so müssen Produkte da sein, die mit dem Geld gekauft werden können, und so oder so muss die Gesellschaft entscheiden, einen wie großen Anteil daran sie den Alten zukommen lassen will. Weltweit wurde mit umlagegestützten Rentensystemen, in dem die jetzt Arbeitenden die Einkommen derer zahlen, die früher gearbeitet haben, Alter als systematischer Armutsgrund zurückgedrängt. Natürlich gab es auch da Probleme, vor allem für diejenigen, die keine Erwerbsarbeit ausübten, Frauen in erster Linie.

Statt nun aber diese Schattenseiten des Systems anzugehen, werden die Gelder auch der Arbeitenden privaten Sammelstellen übergeben, deren einziges Bestreben es ist, die Einkünfte ihrer AnteilseignerInnen zu erhöhen. So werden mit den eigenen Geldern der Erwerbstätigen nicht nur ihre zukünftigen Renten, sondern auch ihre heutigen Arbeitsplätze gefährdet und zerstört. Nicht dass wir einen Arbeitsplatz etwa bei Mannesmann für einen Lebenstraum hielten, aber besser als unversichert Pizza auszufahren ist er immer noch.

In den Sozialversicherungssystemen werden viele Billionen umgesetzt, ohne dass jemand da allzu viel dran verdient – allein das gesetzliche Umlage-Rentensystem der Bundesrepublik verteilt jährlich etwa 500 Milliarden DM an RentnerInnen bei etwa zwei Prozent Verwaltungskosten. Auf dieses Geld haben es die Finanzkonzerne abgesehen. Das ist der ganze Sinn des ideologischen Geschwätzes von demografischen oder sonst was für Problemen. Das ist der rationale Grund für eine Politik der finanziellen Ausblutung der Solidarsysteme.

Die nächsten Schritte dieses Raubzuges stehen ins Haus: Eine „Gesundheitsreform“ ist angekündigt, die die „Eigenverantwortung“ stärken soll. Das ist immer die Orwellsche Umschreibung dafür, dass die Versicherten weitere Teile ihres Einkommens den Banken und Versicherungskonzernen überantworten sollten. Wehren wir uns!