Medial wurde er schon lange vorbereitet, der Putsch gegen den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Er sei ein Demagoge, ein Ex-Putschist, dazu autoritär und ein Freund Fidel Castros. Ein Diktator also und eine Gefahr für Frieden und Freiheit, und alle, die gegen ihn waren, gehören automatisch zu den „Guten“: die Demokraten, die Verteidiger von Recht und Ordnung, die Zivilgesellschaft. Es kamen ja auch (fast) alle zusammen: Unternehmer, Kirche, demokratische Parteien, sogar die Gewerkschaft und sozusagen als stiller Teilhaber, die Bush-Administration. Als diese honorige Gesellschaft, unterstützt von den Militärs, „die nicht auf ihr Volk schießen wollten“, am 11. April den Putsch gegen Chávez organisierte, geschah das natürlich nur mit den besten Absichten. Die Ehrenmänner aus der Zivilgesellschaft wollten doch nur die Demokratie wiederherstellen. Und wenn sie nicht gescheitert wären, so täten sie’s noch heute…

Der 1998 und 2000 mit großen Mehrheiten zum Präsidenten Venezuelas gewählte Hugo Chávez war den konservativen Kräften Venezuelas seit langem ein Dorn im Auge. Er rührte an den Privilegien der Wirtschaftselite, den Pfründen der traditionellen Parteien ebenso wie am Einfluss der Kirchenhierarchie. Er ging diesen Sektoren nicht wirklich ans Eingemachte, also an ihren Besitz, aber er ging sie verbal an, und sie konnten sich nicht sicher sein, dass es nur bei verbalen Attacken bleiben würde. Schließlich kommen viele seiner AnhängerInnen aus den Armenvierteln.

In Washington war man mindestens genauso alarmiert. Schließlich ist Venezuela der wichtigste Erdöllieferant der USA. Mehr noch, die US-Ölkonzerne konnten bis vor kurzem immer auf die Regierungen in Caracas zählen, wenn es galt, die OPEC-Fördervereinbarungen durch Erhöhung der Fördermengen zu unterlaufen und die Ölpreise zu drücken. Das änderte sich unter Chávez – und zwar so drastisch, dass es sogar zu einer Reaktivierung der OPEC als Anbieterkartell mit regulierten Fördermengen kam. Die Folgen waren steigende Ölpreise. Darüber hinaus steht Chávez der weiteren Ausweitung des Kriegs in Kolumbien im Wege. Anders als etwa die Regierung Ecuadors, die wie weiland die kambodschanischen Militärs im Vietnam-Krieg ihr Land immer stärker in den Konflikt hineinzieht, widersetzte sich Chávez bisher jedem Ansinnen der USA und der kolumbianischen Regierung, Venezuela zu einer Operationsbasis gegen die kolumbianische Guerilla zu machen. Auch die Benutzung des venezolanischen Luftraums für Militäraktionen wurde bisher verweigert. Das bringt ihn aus Sicht der Bush-Regierung in den Verdacht, Sympathisant von Terroristen zu sein.

Schlussendlich unterhält Chávez gute Beziehungen zu Fidel Castro. Dies hat er mit dem kürzlich pensionierten rheinischen Regierungspräsidenten Franz-Josef Antwerpes gemein, den deshalb bisher noch niemand einen Diktator nannte. Allerdings unterhielt Antwerpes zu „seiner“ Wirtschaft im Kölner Raum ganz vorzügliche Beziehungen.

Weil Chávez „sein“ Bürgertum und die USA nicht so hätschelte, wie diese das gewohnt sind, kam es, wie es kommen musste: Die Herrschenden schmiedeten mit freundlicher Unterstützung aus Washington eine Anti-Chávez-Allianz und starteten in ihren Medien (alle privaten Fernsehkanäle und die meisten Zeitungen) eine Propagandakampagne. Als sie merkten, dass Chávez’ Popularitätskurve kräftig sank, schlugen sie los. Sie waren sich wohl etwas zu sicher und mussten erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass Chávez keineswegs am Ende war.

Die Nachrichten über die Rückkehr des legitimen Machthalters in den Präsidentenpalast haben wir mit Genugtuung und Erleichterung registriert. Nicht dass wir die in der letzten ila (Nr. 254) dargelegte Kritik an seinem Regierungsstil über Nacht vergessen hätten. Aber es tat gut zu sehen, wie sich Venezuelas Establishment und Bushs einschlägig bekannte LateinamerikastrategInnen so gründlich verrechnet hatten. Für die meisten VenezolanerInnen und mehr noch für die KolumbianerInnen wäre es verheerend gewesen, hätten sich die Putschisten durchgesetzt.

Allerdings sollten zwei Dinge klar sein: Erstens repräsentiert Chávez – zumindest bisher – kein linkes emanzipatorisches Projekt. Er hat einige begrüßenswerte Maßnahmen ergriffen, bisher aber wenig getan, um die Gesellschaft oder gar die Wirtschaft zu demokratisieren. Als klassischer Populist kann er viele Menschen begeistern, und so lange es gut läuft auch etwas für sie tun, aber in seinen Denkstrukturen scheint es (noch?) unvorstellbar, dass die sozial Entrechteten sich als eigenständige Wesen organisieren und zum Subjekt des gesellschaftlichen Wandels werden könnten.

Zweitens, auch wenn ihr Putsch kläglich gescheitert ist, Chávez’ GegnerInnen in Caracas und Washington werden keineswegs aufgeben. Sie werden aus dem Desaster lernen und beim nächsten Mal klüger agieren.