Lima „la horrible“, Lima ist die Schreckliche, wie schon in den sechziger Jahren der Schriftsteller Sebastián Salazar Bondy feststellte. Auch der bekannteste peruanische Schriftsteller, Mario Vargas Llosa, findet deutliche Worte für die Wüstenmetropole: „Wenn man in Lima lebt, muss man sich entweder an das Elend und den Schmutz gewöhnen oder verrückt werden oder sich umbringen.“

Lima hat heute acht Millionen EinwohnerInnen. Die Hälfte davon lebt in Hütten-Siedlungen in den Außenbezirken, in der Sandwüste an den Ausläufern der Anden. Lima erstreckt sich von Norden nach Süden und erreicht eine Ausdehnung von 60 Kilometern. 85 Prozent der Verkehrsmittel sind dem öffentlichen Verkehr zuzurechnen und damit der so genannten „cultura Combi“: Aggressiv und schnell muss es zugehen, nur das Recht des Stärksten zählt. Lima, die ungeliebte Stadt, Lima, die Aufständische, Lima und ihr trüber Himmel, Lima, die Trostlose, Lima, die nach Río und Bogotá gefährlichste Stadt Südamerikas. Lima und ihre vielen neu entstandenen Siedlungen, die die reichen Viertel fast zu ersticken drohen. Nur die Menschen, die dort wohnen, kennen diese Siedlungen, deren enge und dunkle Gassen für Außenstehende bedrohlich wirken und deren Geruch nur schwer zu ertragen ist.

Lima scheint nicht gerade ein Paradies zu sein. Ausgrenzung und Hoffnungslosigkeit sind Alltag für die meisten Jugendlichen. Die Zahl der Jugendbanden ist auf 390 angestiegen, die Banden-Mitglieder werden immer jünger und die Gewaltbereitschaft steigt. Die Jugendlichen wollen gefürchtet und respektiert werden. Schon die Namen ihrer Gangs sprechen eine klare Sprache: „Los Zombies“ z.B. haben ihr Terrain im Süden Limas, „Infierno Central“ im Osten. Die Ursachen für die zunehmende Gewalt liegen nicht selten in der Vergangenheit, als sich Sendero Luminoso und Militär unerbittliche Auseinandersetzungen lieferten. Der Bürgerkrieg führte dazu, dass viele seiner Opfer in Lima Zuflucht suchten.

Dennoch, die „Schreckliche“ hat auch schöne Seiten. Die alten kolonialen Bauten und die vielen prachtvollen, großangelegten Plätze sind hübsch anzusehen. Auch der aktuelle Bürgermeister Alberto Andrade wollte etwas für die Ästhetik des historischen Zentrums tun: Alle zwei Wochen sollte es mit frischen Blumen bestückt werden. Clever von ihm, denn der Zulieferbetrieb gehört seiner Frau. Aber auch ohne überbordende Floristik ist Lima bunt, trotz des staubigen Wüsten-Ambientes: Besonders im Zentrum spiegeln sich die Gesichter des ganzen Landes, ja der ganzen Welt wider. Die einzelnen Viertel Limas sind jedoch nicht mehr so vielfältig, wie es auf den ersten Blick in der Innenstadt erscheint. Die Gebiete sind klar abgesteckt. In Miraflores und Barranco, den reichen Vierteln an der Küste, ist die Bevölkerung rein europäischer Herkunft. Hinter hohen Mauern und auf dem riesigen Golfplatz scheint die Armut weit weg. Andere Stadtteile sehen aus, als ob ganze andine Dörfer gemeinsam nach Lima geflüchtet seien. Die Stadtstruktur spiegelt den Rassismus gegenüber den MestizInnen und besonders den quechuasprachigen Hochland-Indígenas. So wenig wie die verschiedenen Bevölkerungsgruppen miteinander leben, so wenig respektieren und akzeptieren sie sich. Lima, die Stadt der Kontraste: Superreich und bitterarm leben nah beieinander, manchmal braucht man nur die Straßenseite zu wechseln, um in eine andere Welt einzutreten.

Mit dem Schwerpunktthema „Lima“ wollen wir zum ersten Mal eine Hauptstadt an der Westküste Südamerikas vorstellen, einen kleinen Einblick in die Geschichte der Wüstenstadt geben, die Probleme darstellen, mit denen Lima heute nach Ende des Bürgerkrieges und nach dem Sturz des Diktators Fujimori zu kämpfen hat, und vor allem die vielseitige Kultur der Menschen vermitteln.

Wir danken besonders Hildegard Willer, die von Lima aus viele Beiträge für diese Ausgabe beigesteuert hat, und dem peruanischen Schriftsteller und ila-latina-Redakteur Walter Lingán, der uns von Köln aus Lima literarisch näher brachte.