Die „Bewegung der ländlichen Arbeiter ohne Land“ (MST), meist kurz als „Bewegung der Landlosen“ bezeichnet, gilt heute als die größte und wichtigste soziale Bewegung Brasiliens, wahrscheinlich ganz Lateinamerikas. Dass ausgerechnet eine Bewegung von Menschen, die über Jahrhunderte entrechtet und marginalisiert worden sind, eine solche Kraft entfalten konnte, ist schon ein kleines Wunder. Ihre Strategie, auf der politischen Ebene mit einem klar formulierten radikalen Diskurs für eine Agrarreform in Brasilien zu kämpfen und gleichzeitig durch gut organisierte Landbesetzungen landlosen Familien eine mittelfristige Perspektive zu bieten, scheint genau die Form politischer Aktivität zu sein, die den Interessen und Bedürfnissen der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen ohne Land, den LandpächterInnen und TagelöhnerInnen entspricht. Die Bewegung hat es im Gegensatz zu vielen traditionell linken Ansätzen offensichtlich verstanden, mythische Elemente im Denken der Menschen nicht einfach als reaktionär und rückständig abzutun, sondern die darin liegenden emanzipatorischen und gemeinschaftsstiftenden Elemente zu mobilisieren.
In der politischen Auseinandersetzung agiert die MST meistens sehr klug. Sie formuliert ihre Ziele, hält konsequent daran fest und vermeidet es, sich die Themen von den Herrschenden aufzwingen zu lassen. Trotz massiver politischer Propaganda der Großgrundbesitzer, der Medienkonzerne und der bisherigen Regierung gegen ihre Forderungen, gelingt es ihr immer wieder, für ihre Aktionen und Anliegen BündnispartnerInnen in den Städten, besonders in den sozialen Bewegungen und bei den Intellektuellen zu finden. Obwohl es politische Affinitäten zur Arbeiterpartei (PT) gibt, hat es die MST stets vermieden, sich politisch vereinnahmen zu lassen. Auch weigert sie sich, ihren Handlungsspielraum durch ängstliche politische Rücksichtnahmen – etwa auf PT-geführte Lokal- und Provinzregierungen – einschränken zu lassen und wird dies auch gegenüber der künftigen Linksregierung in Brasilia wahrscheinlich nicht tun.
Die Bewegung formuliert klar ihre Ansprüche und misst die Regierenden nicht daran, was sie erzählen, sondern was sie konkret für die Veränderung der Kräfteverhältnisse in den ländlichen Regionen tun. Hervorgegangen ist die MST aus der christlichen Landarbeiterpastorale (CPT), zu der sie bis heute enge Verbindungen unterhält. Neben der direkten politischen Aktion legt die MST – besonders in ihren Acampamentos (Landbesetzungen) – großen Wert auf Bildungsmaßnahmen für Kinder und Erwachsene, bei deren Realisierung sie häufig mit kirchlichen Gruppen und Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeitet. Auch zahlreiche kirchliche und nichtkirchliche Gruppen in Deutschland unterhalten Kontakte zur MST und unterstützen ihre Projekte.
Inzwischen ist die brasilianische MST ein Vorbild für Bauern- und Landarbeiterbewegungen in anderen lateinamerikanischen Ländern geworden, ohne dass diese – bislang – ähnlich erfolgreich agieren konnten wie die Bewegung in Brasilien.
Wie so oft wäre auch diese ila nicht ohne Hilfe von außen zu Stande gekommen. Wir danken unserem ehemaligen Redaktionsmitglied Ingo Melchers, der von Brasilien aus einen Teil der Beiträge geschrieben, übersetzt oder organisiert hat.