Seit 1995 existiert in Bayern das „Gesetz zur Einführung des kommunalen Bürgerentscheids“. Damit können BürgerInnen, wenn sie eine bestimmte Anzahl von Unterschriften zusammenbekommen, gegen Entscheidungen von Stadt- oder Gemeinderäten vorgehen. Standen in der Anfangszeit vor allem Bürgerbegehren in Bezug auf Bebauungspläne oder kommunale Verkehrsprojekte im Vordergrund, wurden in den letzten Jahren Bürgerentscheide über die Privatisierung kommunaler Dienstleistungen immer wichtiger. In vier Kommunen stand dabei die Privatisierung öffentlicher Wasserwerke zur Abstimmung. In allen vier Fällen wurde die von den Räten zuvor beschlossene Privatisierung von den BürgerInnen abgelehnt.
Das Beispiel zeigt, dass trotz des täglichen publizistischen Gedöns, durch Privatisierung werde alles besser und billiger, bei vielen Leuten ein wachsendes Misstrauen gegen eine private Übernahme bislang öffentlicher Dienstleistungen herrscht und dass dieses Misstrauen umso größer ist, je elementarer und wichtiger die Dienstleistung für die Menschen ist. Bei der Privatisierung der Müllabfuhr hat man vielleicht gedacht „was soll’s“ (in Köln oder anderen nordrhein-westfälischen Kommunen würde das heute wohl niemand mehr sagen). Spätestens beim Trinkwasser aber hat der private Spaß ein Ende. Von Niederbayern bis Uruguay meinen die meisten Menschen, hygienisch einwandfreies und für alle verfügbares Wasser erhalte man besser und gerechter von den Kommunen (auch wenn die manchmal bürokratisch sind) als von (nicht bürokratischen, dafür geldgierigen) privaten Lieferanten.
Die Verteilung von Wasser wurde seit Jahrtausenden in nahezu allen Kulturen nur in Ausnahmen nicht gemeinschaftlich geregelt. Wenn es dabei auch immer besitzbedingte Privilegierungen oder Benachteiligungen gab, herrschte doch das Grundverständnis vor, allen das notwenige Wasser – bei Knappheit zumindest anteilig – zukommen zu lassen. Dieses Prinzip wird heute zur Disposition gestellt. Wenn Zugang zu Trinkwasser kein Recht mehr, sondern eine Ware ist, gilt das Prinzip aller Waren: Zugriff nur für die, die bezahlen können. Damit der Preis stimmt, muss das Angebot natürlich auch entsprechend reguliert und manipuliert werden, wobei z.B. künstliche Verknappung geschaffen wird. Längst geht es beim Wasser schon nicht mehr nur um die private Übernahme einzelner Wasserversorgungsunternehmen, sondern um den Zugriff auf das gesamte Wasser eines Staates. Zur Aufrechterhaltung der Ökonomie und des Bankenwesens benötigte Uruguay im letzten Jahr einen IWF-Kredit, für den das Land seine Süßwasserreserven verpfänden musste.
Die Privatisierungswut grabscht buchstäblich nach allem, was bisher noch nicht privat besetzt werden konnte – derzeit stehen vor allem Naturressourcen hoch im Kurs. Aber auch andere Ressourcen – von genetischen Informationen über die private Verfügung von Saatgut bis zur Vergabe von Fischereirechten an internationale Großunternehmen – sind hochbegehrt. In jedem Fall werden frei zugängliche Naturressourcen, die von der lokalen Bevölkerung zur Sicherung ihres Lebensunterhalts und ihrer Gesundheitsversorgung in der Regel ökologisch sinnvoll genutzt wurden, plötzlich von internationalen Unternehmen und Forschungsinstituten exklusiv beansprucht, weil damit lukrative Geschäfte zu machen sind. Die lokalen Bevölkerungen und letztlich die VerbraucherInnen weltweit sind die VerliererInnen solcher wahrhaft „feindlichen Übernahmen“.
Dagegen formieren sich überall Gegenströmungen. Seien es Widerstände in Lateinamerika, etwa von traditionellen HeilerInnen gegen Biopiraterie in Chiapas oder von den BewohnerInnen Uruguays gegen die Wasserprivatisierung, seien es Kampagnen bei uns, wie die BUKO-Kampagne gegen Biopiraterie oder die Kampagne gegen Gentechnologie des fairen Handels, oder seien es internationale Vernetzungstreffen wie das Panamazonische Sozialforum in Bélem oder das Weltsozialforum in Porto Alegre. Aber auch wenn die Bewegung gegen die Privatisierung natürlicher Ressourcen und die Kapitalisierung öffentlicher Aufgaben wächst, ist sie noch längst nicht in der Lage, die beschriebenen Prozesse umfassend zu stoppen oder umzukehren.
Auch diese ila wäre nicht ohne wichtige Impulse und Beiträge von „außen“, was nur sagen will „außerhalb der Redaktion, aber innerhalb unserer politischen Zusammenhänge“, zustande gekommen. Besonderer Dank gebührt Gregor Kaiser und – obwohl er eigentlich in fast jeder Ausgabe fällig wäre – unserer „Hauptkorrespondentin“ Gaby Weber am fernen Río de la Plata.