266

Der Zucker ist ein Kolonialprodukt par excellence. Mit der Einführung der Zuckerproduktion durch portugiesische und spanische Kolonisatoren im 16. Jahrhundert in Brasilien und der Karibik begann der transatlantische SklavInnenhandel, mit dem über drei Jahrhunderte lang Millionen von AfrikanerInnen aus ihren Heimatregionen verschleppt und zur Zwangsarbeit auf den Zuckerplantagen gezwungen wurden. Erst die Produktion von Zucker aus Rüben in Europa beendete die Sklaverei in den lateinamerikanischen und karibischen Zuckeranbauregionen. Doch damit endeten längst nicht die elenden Arbeitsbedingungen in der Zuckerwirtschaft.

Das für die „New Economy“ konstatierte Phänomen der „Working Poor“, der Menschen, die schwer arbeiten und dennoch wegen ihrer niedrigen Einkommen unterhalb der Armutsgrenze leben, war in lateinamerikanischen und karibischen Zuckerregionen schon immer Realität. Der Nordosten Brasiliens, neben Cuba und Hispaniola (die Insel, auf der Haiti und die Dominikanische Republik liegen) über Jahrhunderte die wichtigste Zuckerregion Lateinamerikas, ist ebenso lange der Hungergürtel Brasiliens. Während Cuba im Zuge einer tiefgreifenden Reform seiner Landwirtschaft die Zuckeranbauflächen um die Hälfte reduzieren wird (vgl. dazu ila 263), könnte es in Brasilien eine neue Konjunktur des Zuckers geben.

Dabei setzt man auf zwei Entwicklungen. Da ist zunächst die Wiederbelebung des Zucker-Alkohol-Programms, das in den frühen achtziger Jahren gestartet wurde, um die Abhängigkeit Brasiliens von Rohölimporten zu reduzieren. Innerhalb weniger Jahre wurden große Teil des Auto-, Lkw- und Busverkehrs auf alkoholbetriebene Fahrzeuge umgestellt. Die niedrigen Rohölpreise in den neunziger Jahren ließen die Nachfrage nach Alkohol als Treibstoff deutlich zurückgehen. Doch angesichts der immer offensichtlicher werdenden Begrenztheit der Ölvorkommen könnten die Ölpreise bald wieder anziehen und die Nachfrage nach Alkoholtreibstoff und damit Zucker steigen lassen.

Ein weiterer Impuls für eine Ausweitung des Zuckerrohranbaus in Brasilien könnte von der Liberalisierung des Welthandels ausgehen. Damit steht auch der europäische Zuckermarkt zur Disposition. Bis zum Jahr 2006 ist er relativ abgeschottet und schützt die europäischen ZuckerrübenproduzentInnen und die ZuckerrohrproduzentInnen aus den ehemaligen europäischen Kolonien in Afrika, der Karibik und im Pazifik, den so genannten AKP-Staaten. Käme es zu einer Öffnung des europäischen Zuckermarktes, hätte der hiesige Rübenzucker kaum eine Chance, da der Rohrzucker in den meisten Anbaugebieten deutlich billiger produziert wird. Das heißt, die ZuckerrohrexporteurInnen hätten erweiterte Exportmöglichkeiten.

Doch ob dies den Menschen in den Zuckeranbaugebieten zu Gute käme, ob es nicht vielleicht sogar mehr Armut und Hunger bedeuten würde, wenn die Zuckerrohranbauflächen erweitert würden, ist eine ganz andere Frage. Aber genau um diese Frage, die bei Handelsrunden natürlich nie gestellt wird, weil da statt ZuckerrohrschneiderInnen die HändlerInnen oder ihre Lobbyisten aus der Politik an den Verhandlungstischen sitzen, soll es in dieser Ausgabe der ila gehen.

Was bedeutet die Zuckerproduktion für die Leute, die in ihr arbeiten und in den Zuckerrohrregionen leben? Wie könnte eine Zuckerpolitik aussehen, die nicht primär an den Interessen der Großkaufleute und Großgrundbesitzer ausgerichtet ist? Kann es überhaupt eine Alternative im Zuckeranbau geben oder muss – wie die Landlosenbewegung MST in Brasilien meint – überhaupt nach Alternativen jenseits des Zuckers gesucht werden? Was müsste geschehen, damit alle Beschäftigten im Zuckersektor genug verdienen, um menschenwürdig leben zu können? Natürlich können wir diese Fragen nicht abschließend beantworten, aber sie werden in den Beiträgen dieser Ausgabe thematisiert.

Und natürlich thematisieren wir auch die Politik jener, die seit jeher ihre Interessen rücksichtslos mit allen Mitteln durchsetzen, im konkreten Fall der Zuckerwasserproduzent Coca-Cola und der Zuckerschnapsproduzent Bacardi.