Nachdem sich die Infostelle Guatemala vor knapp zwei Jahren aufgelöst hat, wollten wir Guatemala noch einmal genauer unter die Lupe nehmen. Vor neun Jahren brachte die ila ihr letztes Guatemala-Heft heraus, kurz vor Ende des Bürgerkrieges lagen die Schwerpunkte auf den RückkehrerInnensiedlungen, den Friedensverhandlungen und Landbesetzungen.
Den hiesigen Medien ist Guatemala höchstens eine Randnotiz wert. Das Bild dieses Landes ist im Ausland in erster Linie durch seine touristische Attraktivität geprägt. Schließlich ist der Tourismus neben den Einnahmen aus Kaffee-, Bananen- und Zucker-Export sowie den Überweisungen von den in den USA lebenden Landsleuten die wichtigste Geldquelle des Landes. Indígenas in hübschen bunten Kleidern, Maya-Ruinen inmitten eines üppig wuchernden Urwalds und die malerische Vulkankulisse des Atitlán-Sees – ein Hochglanzprospekt kann da kaum mit der Wirklichkeit mithalten. Nicht zu vergessen die frühere koloniale Hauptstadt Antigua, in welche die TouristInnen nach ihrer Ankunft am Flughafen von Guatemala-Stadt direkt transportiert werden, um ja nicht länger als nötig im Moloch der Hauptstadt zu verweilen. Denn dort ist die Szenerie viel weniger fotogen. Nur wenige TouristInnen verirren sich in die Drei-Millionen-Metropole. Hüttensiedlungen ziehen sich an den steilen Schluchten, welche die Stadt geographisch begrenzen, entlang.
Die Reichen verschanzen sich in so genannten „Condominios“, eingemauerten und überwachten Siedlungen. Kriminalität und Gewalt sind die großen Themen in den Zeitungen, aber auch in den Gesprächen der EinwohnerInnen. Die Jugendbanden der Mara 18 (benannt nach der Stadtzone) und die Mara Salvatrucha versetzen die Menschen in Angst und Schrecken. Und in der Tat werden täglich bis zu sechs Personen in der Stadt umgebracht. Wer ein Auto besitzt, verdunkelt seine Scheiben – aus Sicherheitsgründen. Wer keins hat, muss mit den legendären roten Stadtbussen fahren, welche die Luft verpesten, die Straßen blockieren und gleichzeitig ein beliebtes Ziel für Überfälle sind.
Doch es lässt sich auch Positives über „Guate“ berichten. Seit dem Friedensschluss von 1996 entwickelte sich eine neue dynamische Kulturszene. In der zweiten Etage der Hauptpost existiert seit drei Jahren ein Zentrum für kulturelle Aktivitäten. Die „Caja Lúdica“ organisiert akrobatisches Straßentheater, während die Leute von „Folio 114“ Lyriklesungen organisieren. Die seit 1999 bestehende guatemaltekische Sektion der Jugendbewegung HIJOS organisiert Aktivitäten zum Gedenken an die Ermordeten und „Verschwundenen“. Im Sommer dieses Jahres war HIJOS auch an einer Hausbesetzung in Guatemala-Stadt beteiligt. Allgegenwärtig ist bei all diesen Aktivitäten die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, das heißt dem 36 Jahre andauernden Bürgerkrieg.
Die Wunden Guatemalas aus dem längsten lateinamerikanischen Bürgerkrieg der Geschichte sind noch längst nicht verheilt. 200 000 Tote, 20 000 Vermisste und eine Million Flüchtlinge zeichnen ein deutliches Bild der grausamen Vergangenheit Guatemalas. Die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú Tum machte die Unterdrückung und Ausbeutung der indigenen Mehrheit des Landes international bekannt. Wie auch andere bekannte MenschenrechtsaktivistInnen gehört sie seit diesem Jahr als „Botschafterin des guten Willens“ zum Kreis der neuen Regierung. Die Regierung Berger wird jedoch vor allem von den oligarchischen Kreisen der Großgrundbesitzer unterstützt. In der Wirtschaftspolitik dürfte es also eine deutliche Hinwendung zu Freihandelsabkommen mit den USA und – wie auch bereits geschehen – mit den anderen mittelamerikanischen Ländern geben.
Bei der Durchsicht des alten ila-Heftes zu Guatemala wurde uns deutlich, dass die drängendsten Themen von damals noch heute dieselben sind. Gerade die FRG-Regierung unter dem Gespann von Präsident Portillo und dem Ex-Diktator Ríos Montt (Januar 2000 bis Januar 2004) hatte zu einem Stillstand geführt. Die neue Regierung unter Präsident Berger wird sich nun vor allem daran messen lassen müssen, wie ernst sie die Aufarbeitung der Vergangenheit nimmt. Der guatemaltekische Literaturnobelpreisträger Miguel Angel Asturias formulierte es so: „Die Augen der Verscharrten schließen sich gemeinsam am Tag der Gerechtigkeit, oder sie werden sich gar nicht schließen“.
Ein anderes historisches Kapitel ist am 31. Oktober 2004 abgeschlossen worden: die fast 200 Jahre währende Zweiparteien-Kungelei in Uruguay. An diesem Tag hat das linke Parteienbündnis Frente Amplio zum ersten Mal die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Wir freuen uns mit allen uruguayischen Freundinnen und Freunden und wären natürlich gerne bei der gigantischen Party auf den Straßen der Hauptstadt am Wahlabend dabei gewesen. Hoffentlich kehrt nicht bald Katerstimmung ein …