Mal ehrlich: Wer hat nicht schon Situationen erlebt, im Krankenhaus, bei der Bahn oder auf der Post, in denen man dachte, König oder Königin möchte man sein, Kunde oder Kundin eben. Über Bürokratismus, Unfreundlichkeit oder Inkompetenz des Personals, das oft nicht zu wissen scheint, dass es Dienste anbietet, könnte man sich so manches Mal schwarz ärgern. Ein kräftiger Schuss Privatisierung und „die“ könnten sich das so nicht mehr leisten, mag sich da manch eineR denken.

Dieser Tage gab es einen Bericht der Verbraucherzentrale, dass private VersicherungsvertreterInnen miserabel ausgebildet sind und meist gar nicht wissen, was ihre KundInnen wirklich versichern wollen. Der Systemlogik entsprechend ist das auch nicht nötig, weil sich die Nützlichkeit für die VerkäuferInnen nach der Höhe der Provision richtet. Die Gesetzliche Krankenversicherung in der BRD hat innerhalb des gesetzlichen Systems Verwaltungskosten von etwa zwei Prozent, mancherorts in Lateinamerika stecken sich private Versicherungen bis zu 40 Prozent der Beiträge als „Verwaltungskosten“ in die Taschen.

Es wäre unsinnig, öffentliche Daseinsvorsorge umstandslos von Mängeln freizusprechen und die Notwendigkeit von Veränderungen generell zu bestreiten. Allerdings sind Kompetenz, Effizienz oder BenutzerInnenfreundlichkeit keineswegs „natürliche“ Domänen privater Dienstleistungsanbieter. Betrachtet man die sozialen Folgen der Privatisierung, schneiden die Privaten alles andere als gut ab. Warum etwa sollten private Investoren ein Interesse an der Pflege von langfristiger Infrastruktur etwa bei den Schienennetzen oder Rohrleitungssystemen haben? Es bringt doch deutlich höhere Gewinne, wenn die Kosten für ihre Erneuerung gespart werden. Sind die Kanäle oder Wasserleitungen verrottet, hat der Investor immer die Wahl, das dann „abgeschriebene“ System zerfallen zu lassen und das gesparte Investitionskapital in Luftfahrtaktien, Staatspapieren oder in der dann vielleicht ganz privatisierten deutschen Rentenversicherung anzulegen.

Wer Geld investiert, möchte Gewinn erzielen. Entgegen der – recht einfältigen – neoliberalen Behauptung, dass alle gewinnen, wenn alle aus dem System Vorteile ziehen können, gewinnen tatsächlich nur einige wenige. Wo Schwächere geschützt werden sollen, müssen Stärkere belastet werden. Wer also eine gute Gesundheitsversorgung, einen zuverlässigen öffentlichen Nahverkehr, sichere Energieangebote oder sauberes Wasser für alle haben will, muss das in öffentlicher Verantwortung organisieren.

In Lateinamerika läuft die Verscherbelung öffentlichen Eigentums an private Investoren schon seit mehr als zwei Jahrzehnten. Von der etablierten Politikwissenschaft, die ihre vornehmste Aufgabe in der Legitimation der herrschenden Verhältnisse sieht, wird immer lapidar behauptet, die neoliberalen Umstrukturierungen seien in Angriff genommen worden, weil der nationale Entwicklungsstaat und das Konzept der importsubstituierenden Industrialisierung gescheitert seien. Dass derartige Entwicklungskonzepte in eine Krise geraten waren, ist eine Sache – die radikale Öffnung der lateinamerikanischen Märkte und Volkswirtschaften durchzusetzen, indessen eine ganz andere. Dazu bedurfte es nämlich in den meisten Ländern blutiger Militärdiktaturen und der Zerschlagung von Gewerkschaften und linken Organisationen, die ganz andere – nämlich soziale – Konzepte zur Überwindung der Krise der lateinamerikanischen Ökonomien vertraten. Die Pinochets, Videlas, Banzers und Co. haben das, was heute als „notwendige Reformen“ bezeichnet wird, in Lateinamerika überhaupt erst möglich gemacht.

Wie die Dinge abgelaufen sind, teils gewaltsam, teils koordiniert über gigantische Propagandakampagnen, war und ist Teil der ila-Berichterstattung. Wie etwa die „Interamerikanische Entwicklungsbank“ (zu deren größten Anteilseignern übrigens die deutsche Bundesregierung gehört) die Privatisierung von staatlichem oder kommunalem Besitz einfädelt und betreibt, schildert der Schwerpunkt dieser Ausgabe. Er berichtet aber auch darüber, dass Menschen überall in Lateinamerika diese Politik nicht einfach hinnehmen. Gewerkschaften und soziale Bewegungen organisieren den Widerstand dagegen, sicher nicht ohne Widersprüchlichkeiten und Niederlagen, aber auch mit beachtlichen Erfolgen, vor allem dort, wo es gelingt, klar zu machen, wer von den so genannten Reformen profitieren und wer dabei verlieren wird.

Übrigens: in Lateinamerika lässt sich gut beobachten, was Privatisierung in der öffentlichen Daseinsvorsorge auch bei uns anrichten wird, wenn wir uns nicht erfolgreich dagegen wehren.