Im Kölner Uniradio hängt einen Liste mit Daten und Ereignissen an der Wand, damit sich die ModeratorInnen der Morgensendungen Ideen für Zwischenmoderationen holen können. Da kann dann zum Beispiel kommentiert werden, dass am gleichen Tag vor 102 Jahren der Dieselmotor erfunden wurde, oder erwähnt werden, welcher UN-Tag gerade ist: etwa der „Welttag der Meteorologie“, der „Weltnichtrauchertag“ oder der „Internationale Tag für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“. Letzterer steht demnächst an, nämlich am 25. November – wer hat’s gewusst? In Lateinamerika ist dieser Tag durchaus präsent, wie auch allgemein das Bewusstsein über Menschenrechte ausgeprägter ist als hierzulande.

Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter, angefangen bei mehr oder minder subtiler Verachtung, über offenen Psychoterror hin zu schlagkräftiger Gewalt und sexuellem Missbrauch. Unübertroffen an Grausamkeit sind die Frauenmorde, die an der mexikanischen/US-amerikanischen Grenze, aber auch immer mehr in anderen mexikanischen Regionen und mittelamerikanischen Ländern für Schlagzeilen sorgen. Das in der spanischen Sprache hierfür gebräuchliche Wort Feminicidios wird jedoch teilweise für verschiedene Tatbestände verwendet. Der vorliegende Schwerpunkt konzentriert sich nicht auf die zweifelsohne besorgniserregende Zunahme von Gewalt gegen Frauen im Allgemeinen und die damit steigenden Mordraten (oft von Angehörigen im engen Verwandtschaftskreis verübt), sondern auf die systematischen, sexualisierten Morde an Frauen. Diese Taten weisen mehrere gemeinsame Merkmale auf: Die Aufklärungsquote ist äußerst niedrig, tendiert gegen null; sie finden in einem Umfeld statt, wo Straflosigkeit förmlich zu weiteren Verbrechen auffordert und die Morde somit Ursache und Folge zugleich sind; es gibt überzeugende Hinweise darauf, dass (Polizei-)Beamte in die Feminicidios verwickelt sind und dass eine Zusammenarbeit mit der organisierten Kriminalität besteht; schließlich wird dieser Typ von Frauenmorden auch als Kommunikationsmittel benutzt, um Nachrichten an die Außenwelt und an die Konkurrenten im Kampf um Einflussgebiete zu vermitteln. Ein besonders krasses Beispiel hierfür ist ein Vorfall, der sich in Ciudad Juárez ereignete: Als die brasilianische Anthropologin Rita Laura Segato ihre Forschungsergebnisse zu den Feminicidios im lokalen Fernsehen vorstellen wollte, fiel genau zu dem Zeitpunkt, als sie für den mutmaßlichen Täterkreis gefährliche Informationen benennen wollte, das Sendesignal für das ganze Stadtgebiet aus.

Auch wenn die Täter keine Mühe scheuen, Öffentlichkeit zu verhindern, wird das Thema langsam auch im internationalen Rahmen beachtet. Nachdem im September eine Delegation mexikanischer Bischöfe Rom besucht hatte, sprach sich Papst Benedikt XVI. gegen den steigenden Einfluss von Drogenhandel und Korruption in Mexiko aus. Über seinen Kommentar vom 15. September, der bei AFP unter dem Titel „Papst besorgt über Korruption in Mexiko; Benedikt XVI. verurteilt Straflosigkeit“ erschien, wurde breit berichtet. Andererseits wird die organisierte Kriminalität aber auch von katholischer Seite in Schutz genommen: Wenige Tage nach Ratzingers Erklärung erregte der katholische Bischof Ramón Godínez aus Aguascalientes in Mexiko Aufsehen mit seiner Bemerkung, dass Almosen oder Spenden von Drogenhändlern „purifiziert“ (gereinigt) würden, wenn sie mit guter Absicht gegeben worden wären.

Nichtregierungsorganisationen und die mexikanische Kongresskommission unter der Leitung von Marcela LaGarde haben die mexikanische Regierung darauf hingewiesen, dass die Feminicidios nicht länger als Phänomen der Grenzstadt Ciudad Juárez bezeichnet werden können. Sie hätten sich längst auf ganz Mexiko ausgedehnt. Öffentlichkeit ist die einzige wirksame Waffe gegen dieses tödliche Geflecht aus Frauenverachtung, Korruption und Straflosigkeit. Dafür soll auch die Rundreise von Marisela Ortíz sorgen, die ab Mitte November den Kampf gegen die Feminicidios und ihre Organisation Nuestras Hijas de Regreso a Casa vorstellen wird. Organisiert wird die Tour vom Ökumenischen Büro für Frieden und Gerechtigkeit (München) – an dieser Stelle auch ein dickes Gracias an die Compañer@s, besonders an Daniel Tapia, für die Mitarbeit an diesem Heft!