Das Lateinamerika-Magazin

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Afrika und Lateinamerika

Die Beziehungen Lateinamerikas zu Afrika sind fast so alt wie jene zu Europa. Als die europäischen Mächte im 16. Jahrhundert begannen, in ihren Kolonien in Lateinamerika und in der Karibik Plantagen anzulegen, brauchten sie Arbeitskräfte. Die indigenen UreinwohnerInnen hatten sie vielerorts bereits ausgerottet oder stark dezimiert. Nun wurden versklavte AfrikanerInnen mit brachialer Gewalt zur Zwangsarbeit getrieben. Dieses Verbrechen wurde von den europäischen Regierungen und Unternehmen über drei Jahrhunderte immer und immer wieder begangen. Die Sklaverei der AfroamerikanerInnen wurde zur Grundlage der Entwicklung des Kapitalismus in Europa.

Wo sind AfrikanerInnen und Afrika heute in Lateinamerika, wo Lateinamerika und die LateinamerikanerInnen in Afrika präsent? Wie sind die Verbindungen zwischen Afrika und den überwiegend afrikanisch geprägten karibischen Staaten?

Die Idee für dieses Heft entstand aus dem Interesse einiger ila-RedakteurInnen an afrikanischer, karibischer und lateinamerikanischer Musik. Dass der größte Teil der brasilianischen, cubanischen oder karibischen Musik seine Wurzeln in Afrika hat, ist eine Binsenweisheit. Dass aber in der afrikanischen Tanzmusik vielerorts Stile wie Rumba, Salsa, Reggae oder Zouk angesagt sind, die aus Cuba, Jamaika oder Martinique stammen, ist viel weniger bekannt.

In unserem Musik-Schwerpunkt (ila 219) hatte eine Autorin gezeigt, „warum der ghanaische Highlife schon immer ,Welt-Musik’ war“, weil er nämlich in der Auseinandersetzung ghanaischer Musiker mit dem Kaiso und Calypso aus Trinidad (der auf der Musik der westafrikanischen Griots basierte), dem Rumba aus Kongo (der seinerseits auf dem cubanischen Son basierte, dessen Wurzeln natürlich in Afrika liegen) und dem jamaikanischen Reggae entstanden ist. Diese lebendige transatlantische Interaktion fanden wir höchst spannend und wollten mehr darüber wissen.

Aber gibt es auch jenseits der Musik heutzutage afro-latinische Beziehungen? Auf politisch-diplomatischer Ebene relativ wenige. AusLateinamerika ist vor allem Brasilien durch Botschaften und Institute auf dem afrikanischen Kontinent vertreten, in geringerem Umfang auch Cuba. Cuba war es auch, dessen Präsenz in Afrika in den achtziger Jahren weltweit Schlagzeilen machte. Cubanische Soldaten kämpften in Angola gegen südafrikanische Truppen und gegen die vom Apartheid-Regime unterstützte UNITA, in Äthiopien unterstützten cubanische Einheiten das verbrecherische Mengistu-Regime im Krieg gegen die Eritreische Volksbefreiungsfront (EPLF). Das militärische Engagement Cubas in Afrika wurde damals in der Solidaritätsbewegung breit diskutiert. 

Während der cubanische Einsatz in Angola fast durchweg als notwendig angesehen wurde, um die Apartheid zu beenden, wurde der Einsatz in Äthiopien nur von denen gerechtfertigt, die grundsätzlich alles rechtfertigen, was die cubanische Regierung anstellt. Das cubanische Engagement beschränkte sich jedoch nicht nur auf Truppen, in vielen afrikanischen Ländern waren und sind teilweise auch heute noch cubanische ÄrztInnen und TechnikerInnen tätig, viele AfrikanerInnen studieren in Cuba. Bei unseren Recherchen stellten wir fest, dass es nicht nur in Cuba, sondern auch in Brasilien viele afrikanische StudentInnen gibt.

Auf wirtschaftlichem Gebiet wird die Süd-Süd-Kooperation zwar immer wieder beschworen, in der Praxis sind es nur die ökonomischen „Riesen“ der beiden Kontinente, Brasilien, Südafrika und Ägypten, die rege Handelsbeziehungen untereinander und mit Ländern des jeweils anderen Kontinents unterhalten. Ansonsten sind die meisten afrikanischen und lateinamerikanischen Länder jenseits des regionalen Handelsaustausches mit Nachbarländern fast nur auf den Norden fixiert. Dass dies im Norden auch durchaus so gewollt ist, wird im ersten Beitrag dieses Heftes angesprochen.

Drei Beiträge des Schwerpunktes beschäftigen sich mit afroamerikanischen Religionen (Candomblé, Santería, Rastafarianismus), unter deren AnhängerInnen es heute ganz unterschiedliche Sichtweisen auf Afrika und das „Afrikanische“ in den Religionen gibt. Also viel Stoff, der Schwerpunkt platzt mit 32 Seiten mal wieder aus allen Nähten und kann doch nur eine erste Annäherung an das Thema sein. Wie immer wäre auch dieses Heft nicht ohne Unterstützung von außen zustande gekommen. Unser ganz besonderer Dank gilt diesmal Marlis Gensler.


Schwerpunkt

4  Teile und herrsche
Die EU zerstört die zaghaften Ansätze einer Süd-Südkooperation Afrika-Lateinamerika
 – Interview mit Tsigereda Walelign  / von Gaby Küppers

7  Latein-Afrikanische Solidarität
Cubas zivile Zusammenarbeit in Angola  / von Christine Hatzky

10  45 Jahre Süd-Süd-Solidarität
Cubanische MedizinerInnen in Afrika, afrikanische Studierende in Cuba
/ von Hauke Dorsch und Katrin Hansing

13  Venezuela will Beziehungen zu Afrika ausbauen  / von Humberto Márquez

14  Manchmal bleiben wir sechs Monate ohne Geld
Studierende aus Guinea-Bissau in Brasilien  / von Johannes Augel

18  Von dort kommen wir
AfrokolumbianerInnen besuchen Afrika  / von Argentina Jaraba und Arie Aragón

20  Afrika in der Neuen Welt
Die transnationale Religion Candomblé  / von Christiane Pantke

23  Afrikanische, afrocubanische oder cubanische Religion?
Santería in Cuba  / von Claudia Rauhut

26  Ignoriert, negiert, reaktiviert
Die haitianische Revolution von 1804 als transatlantisches Widerstandssymbol gestern und heute
/ von Heike Drotbohm

29  Ein schwarzer König wird kommen
Haile Selassie I. von Äthiopien und die Rastas in der Karibik  / von Gert Eisenbürger

31  Rumba aus dem Kongo
Wie der cubanische Son zur panafrikanischen Musik wurde  / von Wolfgang Bender

33  Salsa-Thiéboudiene
Cubanische Musik und ihre anhaltende Präsenz in Westafrika
/ von Markus Coester und Günter Gretz

Berichte & Hintergründe

36  Größere NAFTA und erweiterter Mercosur?
Der Amerikagipfel von Mar del Plata bedeutete wohl das Ende des Projektes ALCA  / von Oliver Matz

38  Selbst die Hand Gottes war zur Faust geballt
Gegenaktivitäten zum Amerikagipfel in Mar del Plata  / von Silke Helfrich und Beat Schmid

40  MAS strebt andinen Kapitalismus an
Bolivien wählt Präsident und Parlament  / von Willy Hüter

41  Die internationalen Organisationen nutzen unsere Armut aus
Interview mit der bolivianischen Kinderrechtlerin und  Ex-Vizeministerin Elisabeth Patiño 
/ von Gert Eisenbürger und Peter Strack

44  Wahl zwischen zwei Übeln
Der liberale Kandidat Manuel „Mel“ Zelaya gewinnt Wahlen in Honduras  / von Sandra Castellanos

45  Wir kämpfen für die Verteidigung des Lebens
Die Linkspartei Unificación Democratica (UD)  / von Günter Pohl

46  Wahlkampf-Terror
Paramilitärische Aktionen gegen Zapatistas nehmen zu  / von Luz Kerkeling

47  Dichtung und Wahrheit
Neun Monate linke Regierung in Uruguay  / von Ernesto Kroch

50  Freie Software für eine freiere Gesellschaft?
Die Bewegung für Freie Software in Argentinien  / von Silke Helfrich 

54  Wut und Aufstand
Die Vorstadtkämpfe in Frankreich – Eine Intervention  / von Helmut Reinicke

Ländernachrichten / Poonal

57  Guatemala, Brasilien, Argentinien, Peru, Kolumbien, Nicaragua, Ecuador,Chile, Haiti, Uruguay

Kulturszene

60  Ein sentimentaler Mann
Versuch einer Annäherung an den bolivianischen Juristen, Politiker und Erzähler Gonzalo Lema
/ von Peter Strack

Buchbesprechungen

62  WTO macht Hunger
Eine Broschüre zum internationalen Agrarhandel  / von Werner Rätz

63  Jetzt bin ich hier ohne Wurzeln…
Die Erzählungen Brigitte Alexanders aus dem mexikanischen Exil  / von Simone Hantsch