Es gab mal eine Zeit, da lag der Entwicklungspolitik das Konzept der „nachholenden Entwicklung“ zugrunde. Die Entwicklungsländer seien in ihrer Entwicklung zurückgeblieben, „unsere“ Kredite und Zuschüsse sollten sie in die Lage versetzen, den Rückstand aufzuholen und zu „uns“ aufzuschließen. Es soll hier jetzt nicht über die latente Arroganz dieses Ansatzes diskutiert werden, sondern darüber, wie sich Bilder in wenigen Jahrzehnten verschoben haben. Früher standen „die“ für die Vergangenheit und „wir“ für dieGegenwart und Zukunft. Wenn solche Weltbilder in der öffentlichen Debatte um die Mohammed-Karikaturen derzeit auch noch einmal aufgewärmt werden, wird von den Hofschranzen des Neoliberalismus längst das genaue Gegenteil gepredigt.
„Wir“ würden an einem veralteten Bild des Staates als Regulierungs- und Verteilungsinstrument hängen, während „die“ im Süden längst weiter wären. Die Länder Lateinamerikas hätten „ihre Hausaufgaben gemacht“ oder seien auf dem besten Weg dahin. In den dynamischsten Staaten seien Kranken- und Rentenversicherung zum Wohle aller privat geregelt, die öffentlichen Dienste vom Nahverkehr bis zur Wasserversorgung in private Hände überführt, während lästige Umwelt- und Gesundheitsauflagen erst garnicht eingeführt worden seien. George Bush bezeichnete das chilenische Modell der Sozialversicherung ausdrücklich als Modell für die USA.
Sofern Lateinamerika auch hinsichtlich der Privatisierung der Wasserversorgung ein Vorbild für Europa sein sollte, könnten wir – inzwischen – einigermaßen beruhigt sein. Zwar wurden in Lateinamerika vielerorts die kommunalen Wasserwerke an internationale Unternehmen verscherbelt, was durchweg deutliche Preiserhöhungen und sehr häufig eine Verschlechterung der Wasserqualität zur Folge hatte (man wollte schließlich verdienen und nicht investieren). Aber seit einiger Zeit scheinen die multinationalen Konzerne in Lateinamerika im Wasserbereich auf dem Rückzug zu sein. Teilweise wurden sie durch Aufstände oder Abstimmungen dazu gezwungen wie im bolivianischen Cochabamba oder in Uruguay, häufig gehen sie aber auch weg, weil die Rendite nicht mehr stimmt, wenn viele Leute die hohen Wasserrechnungen nicht mehr bezahlen – wie in Argentinien. Haben die Konzerne also endlich eingesehen, dass man nicht alles privatisieren kann und das Wasser ein öffentliches Gut bleiben muss? Natürlich nicht! In vielen Regionen Lateinamerikas ist mit privatisierter Wasserversorgung einfach nicht genug zu verdienen. Um die zweistelligen Renditeerwartungen ihrer AktionärInnen erfüllen zu können, investieren die internationalen Unternehmen nur noch da, wo kurzfristig hohe Profite zu realisieren sind. Und das ist nun mal nicht in Lateinamerika, sondern eher in Europa.
Der mögliche Teilrückzug der Wassermultis aus Lateinamerika bedeutet, dass sie verstärkt versuchen werden, sich europäische Wasserwerke unter den Nagel zu reißen. Welche Folgen das dann haben wird, kann in mehreren Beiträgen dieses Schwerpunktes nachgelesen werden. Allerdings sind die Qualität und der demokratische Zugang zu Wasserressourcen nicht nur durch die Privatisierung der öffentlichen Wasserversorgung bedroht. Bergbau, exzessive Land- und Waldwirtschaft oder infrastrukturelle Großprojekte gefährden ebenfalls die Wasserversorgung vieler Menschen, besonders in ländlichen Regionen. Auch darüber wird in dieser ila berichtet. Und auf noch etwas muss hingewiesen werden, weil es manchmal in der linken Diskussion zu kurz kommt: Öffentlicher Besitz allein ist keine Garantie für Qualität und Gerechtigkeit in der Wasserversorgung. Ohne demokratische Kontrolle und Partizipation besteht immer die Gefahr der Korruption und der Pöstchenschieberei.
Wie so oft wäre auch dieser Schwerpunkt nicht ohne Unterstützung von außen zustande gekommen. Dieses Mal danken wir besonders Sophie Esch und Silke Helfrich von der Heinrich-Böll-Stiftung und Danuta Sacher von Brot für die Welt für ihre Mitarbeit. Und natürlich Gerold Schmidt, „unserem Mann in Mexiko“, dem wir eigentlich ständig danken müssten.
Also viel Spaß beim Lesen und seid wachsam, wenn KommunalpolitikerInnen demnächst die Veräußerung der Wasserverbände als Möglichkeit empfehlen, um städtische Haushaltslöcher zu stopfen!